Zigeuner – Waas i nix!
Wie Marika Schmiedts Film „Eine lästige Gesellschaft“ zeigt Simone Schönett mit ihrem Roman „Im Moos“ ein Stück Aufarbeitung von Familiengeschichte und eine Spurensuche nach einer Vergangenheit, die sich zu einem schwerwiegenden Teil mit industrieller Vernichtung durch die Nationalsozialisten beschäftigen muss. Das wirkt immer noch nachhaltig – durch Vernichtung und zwanghafte Seßhaftmachung erwuchsen in der Folge Kulturverlust und gesellschaftliche Unsichtbarkeit. Ein Interview mit Simone Schönett.
Die Geschichten von Marikas Familie und deiner unterscheiden sich vor dem oben genannten Hintergrund möglicherweise insofern, als dass Marikas Spurensuche zu einem großen Teil eine Familiengeschichte der Vernichtung ist und dir es in deinem Roman überhaupt einmal gelingen kann, ein unruhig-turbulentes Bild von IndividualistInnen und buntem Familienverband zu zeichnen, der zuallererst überlebt hat. Ist das so, bzw. wo sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verzeichnen?
Von der persönlichen Geschichte her ist es tatsächlich so, dass meine Familie die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hat. Das war aber nur möglich, indem die traditionelle Lebensweise vollständig aufgegeben wurde. Ich muss hinzufügen, dass meine Familie schon ab den 1920iger Jahren weitgehend sesshaft lebte, bzw. mehr oder weniger feste Wohnsitze hatte. Die Urgroßeltern hatten einen Geschirrhandel, sind auf Märkte gefahren und haben natürlich auch hausiert. Doch um damals legal zu handeln, brauchte man einen „Heimatschein“ – den erhielt man nur, wenn man 10 Jahre lang durchgängig an einem Ort gemeldet war; insofern fand der erste Bruch in der Tradition schon vor 1938 statt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich vollzog sich dann der zweite, nachhaltig wirkende Einschnitt – Stichwort „Berufsverbot“ (Hausierverbot), und die Kategorisierung des „Materials“ Mensch in Rassen und Klassen. Jenische galten damals ja als „einheimische Landfahrer“, also nicht „fremdrassig“; allerdings fielen sie unter die Kategorie „Asozial“ und galten tendenziell als Erbträger eines auszumerzenden Menschenschlags. Wenn Jenische verfolgt und vernichtet wurde – und das ist ja tatsächlich auch vielfach geschehen – dann nicht als Jenische, sondern als „Asoziale“ und vor allem auch als „Zigeunermischlinge“, denn Vermischung zwischen Roma, Sinti, Jenischen hat es immer schon gegeben. In meinem Roman waren es vor allem die psychischen Auswirkungen, die mich interessiert haben. Wie Menschen „ticken“, die sich selbst um den Preis des Überlebens verleugnen mussten – und wie das weiterwirkt über die Generationen. Ich denke, es gibt seit Jahrhunderten schon viele Gemeinsamkeit zwischen den „schwarzen“ und „weißen“ Zigeunern, in der Lebensweise, in den Berufsfeldern usw. Dennoch bleiben Unterschiede – in der Sprache, in der Kultur und letztlich auch in der (Verfolgungs-)Geschichte. Aber es verbindet uns mehr, als uns trennt.
Die Jenischen waren sehr sichtbar als „fahrendes Volk von Händlern und Scherenschleifern“, jetzt wird von der unsichtbaren Ethnie der Jenischen gesprochen, vom Volk im Verborgenen. Du schreibst in einer wissenschaftlichen Arbeit neben dem Verdrängen der „weißen Zigeuner“ aus der öffentlichen Wahrnehmung auch von Strategien, wieder als handelnde Subjekte mit eigener Geschichte zu agieren. Welche Strategien entstehen aus kulturellem Verlust und Verborgen-Sein?
Es ist ja so, dass das Überleben des NS-Wahnsinns auch einen Preis hatte, die Aufgabe nicht weniger als der eigenen Kultur und der Sprache und der Lebensweise und des Berufs. Die Erfahrungen von damals haben Spuren hinterlassen. Und die wirken natürlich fort – wirken weiter, hinein bis in die so genannte „dritte Generation“. Dass man als „minderwertig“ gilt, wenn man sich zu seiner Herkunft bekennt oder einen fahrenden Beruf hat, das blieb in den Köpfen der Überlebenden, die nur deshalb überlebten, weil sie sich „total“ anpassten.
Sicher war die „Assimilation“ zumeist nur ein Anpassen nach außen hin; doch wenn Kultur und Sprache nur noch im engsten, innersten Kreis stattfinden, dann kommen sie allmählich zum Ersticken; und die Menschen, die ersticken – um in dem Bild zu bleiben – ja auch irgendwie dabei. Heute weiß kaum jemand mehr, dass es überhaupt Jenische gibt. Und das ist mitunter nicht einmal den Jenischen selbst mehr klar; eine weitere, langfristig wirkende Anpassungs=Überlebensstrategie war ja auch, den eigenen Kindern ihre Jenische Identität nach 1945 und später auch in der „Zweiten Republik“ zu verschweigen (Stichwort: „Asozial“ und „Fürsorgewesen“). Jenische waren zwar nach 1945 wieder sichtbar, allerdings verlieren sich die letzten sichtbaren Spuren in den späten 1970iger Jahren. Allerdings begannen danach Jenische nicht nur in Österreich, die Fragmente ihrer Kultur aufzuschreiben, zu sammeln, bewusst zu erhalten, das ist auch eine Art von „Strategie“, die aus dem kulturellen Verlust entstand. Diese wenigen „Aktivisten“ (zumeist Künstler und Intellektuelle) suchten und suchen ganz bewusste den Weg aus dem Verborgen-Sein heraus; gingen „neue Wege“, gründeten Vereine, Organisationen. Dadurch ist wieder eine „Vernetzung“ von Jenischen entstanden, die über die nationalen Grenzen hinausgeht. Und das finde ich sehr gut, als „Gegenstrategie“ sozusagen.
Sprache ist Kultur: „Jenisch wird nicht mehr gesprochen“ heißt es im Buch, das Jenische wird als reiche Sprache wie ein Geheimnis gehütet. Sprache zwischen Reichtum und Schande: Wie gehst du, besonders als Schriftstellerin, mit diesem Bewusstsein um?
Gerade an der Sprache wird das Ungeheuerliche, das Gemeine, das Perfide der Nazi-Ideologie sichtbar. Die jenische Sprache, die ja keine eigene Grammatik besitzt, sondern sich immer der Grammatik der jeweiligen Mehrheitssprache anpasst – in unserem Fall eben Deutsch – ist eine rein gesprochene Sprache, wurde also nur mündlich überliefert. Da ist im Zuge der Zwangsanpassung wirklich viel verloren gegangen; sozusagen die Tilgung der oft letzten sichtbaren Spur, die zum Anderssein führte. Das Hüten der Sprache, das ist ein Streitthema, innerhalb der Jenischen. Traditionell wurde nichts aufgeschrieben, traditionell war das die eigene, die „geheime“ Sprache. Traumatisiert von zweifelhaften Forschern, die sich in früheren Zeiten „einschlichen“, um das Jenische aufzuschreiben, gilt heute noch vielerorts: Das ist unseres, und sobald das aufgeschrieben wird, könnte es in falsche Hände geraten (und gegen uns verwendet werden). Ich stehe dazwischen. Einerseits aufgewachsen mit dem Gebot „darüber“ zu schweigen, anderseits mit dem Wissen, das vieles längst verloren gegangen wäre, wäre es nicht aufgeschrieben worden. Das Jenische ist einfach eine rein gesprochene Sprache und funktioniert auch nur so, aber sicher, dieser Sprachschatz birgt für mich sehr viel Poesie, und wenn notwendig, verwende ich in meinen Texten schon das eine oder andere Wort, einfach, um diesen Bilderreichtum zu verdeutlichen. Aber ich versuche, das nicht zu übertreiben, um so – wenigstens in dieser Hinsicht – meinen Respekt vor der Tradition zum Ausdruck zu bringen.
Stichwort „Realitäten, mit denen Zigeuner heute in Europa konfrontiert sind“ … Wie lebst du oder deine Familie, wo ist das „fahrende Volk“ für dich heute zwischen Klischee und Realität angesiedelt? Zweites Stichwort moderne Gesellschaft, Nomadismus und Identitätsverlust für alle … was bleibt generell, nur noch Konsum?
Der totale Konsum, ja, das ist leider eine gesellschaftliche Realität aller. Und mit wachsender Beunruhigung verfolge ich diesen Wahn, der auf der anderen Seite ja schon wieder längst überwunden Geglaubtes wie die aktuellen Hungerrevolten hervorbringt. Der Preis dafür ist zwar hoch – doch noch, noch zahlen ihn ja die anderen, während sich Europa immer mehr „einmauert“. Das macht mir Sorgen, und der immer heftiger aufflackernde Antiziganismus vor allem im Osten Europas ist ja bekanntlich eine traurige Realität. Dass „Zigeuner“, in einer Welt, in der es ja scheinbar um Mobilität usw. geht, immer schon und schon wieder als „Sündenböcke“ herhalten müssen, lässt manchmal das Schlimmste befürchten. „Das Fahrende Volk“ existiert aber anders als in der Vorstellung von Lagerplätzen, Pferden. Abseits der Romantik und der Klischees existiert es mit ziemlich zerborstenen Strukturen, die man als Außenstehender gar nicht wahrnimmt, aber es funktioniert. Und noch immer ist die Familie das Allerwichtigste. Wenn man, so wie ich, mit vier Generationen im Familienverband lebt, dann ist das eine Realität, die bei manchen zwar romantische Vorstellungen hervorruft, in der Realität ist das aber wirklich jenseits von jeglichen Klischees. So zu leben, das gibt mir Sicherheit und Freiheit gleichzeitig, und ich bin froh, das meiner Tochter mitgeben zu können. Die Sache mit den Klischees hat ja auch mit dem Konsumwahn zu tun; man konsumiert ein gewisses Maß an Zigeunerromantik, ein bisserl Gipsy-Sound hier, ein wenig Wohnwagenromantik da, mit der Realität hat das natürlich nichts zu tun. Die sieht längst anders aus als in den „Inszenierungen“, für die man auch gerne bereit ist, etwas zu zahlen.
Die Angehörigen des „fahrenden Volkes“ sind zumeist eben nicht mehr Kartenleger oder Pferdehändler von Beruf, sondern heute vielleicht Vertreter oder Künstler, alles ändert sich fortwährend, und würde man stillstehen, man würde überrannt werden von der ganzen, großen Maschinerie. Was bleibt? Die Hoffnung. Und der Humor, den man sich unbedingt bewahren muss. Nach Karl Valentin heißt es: „Fremde unter Fremden sind: Wenn Fremde über eine Brücke fahren und unter der Brücke fährt ein Eisenbahnzug mit Fremden durch, so sind die durchfahrenden Fremden Fremde unter Fremden, was sie vielleicht so schnell gar nicht begreifen werden.“
Was erwartet ihr euch vom Workshop?
Wie sagt man? Erwarte das unerwartete. In diesem Sinne – .
Interview mit Marika Schmiedt unter: www.servus.at/VERSORGER
# 0076 „Von Roma und anderen Hendlverbrechern“
Fr 23. Mai, 19.00 h, „Eine lästige Gesellschaft“ Dokumentarfilm von Marika Schmiedt, „Im Moos“ Lesung von Simone Schönett, Diskussion
Sa 24. Mai, 14.00 h, Workshop „Zigeuner – Waas i nix“.
Info unter www.stwst.at,
Anmeldungen bis 15. Mai unter stwst@servus.at
Lebensmittelinstallation als Teil des Workshops.
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