Aus der Ferne – Vom Verschwinden

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Hier und Jetzt sind wir ja erst geworden, mit allen Traditionen, ob die jetzt genetisch, geschichtlich, persönlich oder sonst irgendwie ge­sche­hen sind. Das gehört ebenfalls zu unserer Hier- und Jetztheit; auf die kann man hören, wenn man Lust hat. Man kann auf sich hören und man kann es natürlich auch ablehnen, auf sich zu hören – dann hängt man in einer Art Va­kuum, was im Übrigen leider vielen Men­schen passiert.
Heinz von Foerster, 2002, Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen.

Wer sich umsieht, in der jüngeren Geschichte, der wird feststellen, dass eines nur mehr selten vorkommt: Ver­schwin­den. Alles wird auf­­gezeichnet, alles ist gespeichert, alles ab­rufbar. Offenbar ist das Verschwinden also verschwunden. Wohin allerdings noch verschwinden kann, was omnipräsent ist, ist mir nicht klar. „Dataloss“ war vor ein paar Jah­ren ein Thema, das Nirvana, in das sich Daten aufmachen, ist die Festplatte einmal gelöscht. Ich weiß zuwenig darüber, um mich eingehend damit auseinanderzusetzen, al­les was mir bleibt, ist zu beobachten. Und dieses Be­o­bach­ten macht manchmal die Au­gen groß und weit vor Stau­nen, manchmal treibt es auch Tränen in dieselben. Dann, wenn das Bild eines Menschen vor seinen Au­gen verschwindet. Dann, wenn Gewohntes verschwindet und nicht unbedingt adäquat Vertrautes an seiner Stelle auftaucht. Und nach mei­nem Dafürhalten verschwindet zurzeit ein bisschen zu viel. Men­schen, Freundschaften, Liebe – vieles löst sich auf, verrinnt zwischen den Fingern und alles was bleibt, ist ein Hauch von Er­in­nerung an ein angenehmes Gefühl. Bleibt zu hoffen, dass jene an einem anderen Ort ihre Heimat finden, glücklich werden.

Bleibt zu hoffen, dass wenigstens manche sich freiwillig da­zu entschlossen haben, wie jene Sängerin Mo Vador, die sich anstelle eines Auftritts in Linz im Rahmen von Crossing Eu­rope einfach dazu entschlossen hat, nicht aufzutauchen, nicht hierher zu kommen, son­dern vielmehr andere Priori­tä­ten zu setzen, andere Ziele zu finden. Eine Randnotiz, und doch ein unfassbar wichtiges Statement. Ich möchte auch verschwinden und nicht vermisst werden und wenn doch, dann erst gefunden werden, wenn ich das für richtig halte.

Bei allem Pathos ist Verschwinden allerdings dann nicht so übel, wenn es sich um Ungeliebtes handelt, von dem man womöglich zum Zeitpunkt des Ungeliebtseins schon weiß, dass es gesichert irgendwann wieder verschwindet – eine Form von Sicherheit, an der man sich gegebenenfalls ja mal festhal­ten kann. Unerwünschter Besuch zum Beispiel oder ungehobelte Gäste, denen es nur darum geht, herumzumäkeln, wie be­scheiden doch die Wohnung eingerichtet sei oder wie schal das Essen schmecke. Dieser verschwindet spätestens, wenn der Alkohol und das angeblich schlechte Essen knapp werden, das weiß man aus Erfahrung. Und beim nächsten Mal wer­den die einfach nicht mehr eingeladen.
Geliebt-Verschwundenes kann allerdings zum Glück auch wie­der­kommen, ob das mit dem Grad des Vermissens zusam­men­hängt, kann ich hier nicht feststellen, man könnte es aber aus­probieren. Wenn also ganz viele, in einer Art kollektivem Ver­missungsritual etwas vermissen, dann könnte dies zur Be­wusst­werdung des Ver­schwundenen reichen und es wieder auf­tauchen lassen. Soweit ich weiß, gibt es in der katholischen Kirche ja sogar einen Heiligen, der für Verschwundenes (oder zumindest Verlorenes) zuständig ist, das klingt natürlich bedeutend einfacher. Religionen haben es ja gerne einfach, vielleicht könnten die katholischen Leser und Leserinnen un­ter euch den ja mal anrufen und ordentlich heftig vermissen.

Ein paar Beispiele gäbe es da nämlich: Wieder auftauchen, weil verschwunden, könnte der Umgangston, der gute. Ver­schwinden könnte an seiner Stelle dafür der raue Ton. Der herrscht nämlich grade in der Stadt. Da gibt sich etwa beleidigt, wer ob seiner Position Con­tenance bewahren könnte und eigentlich unbedingt sollte. Da wird hinter verschlossenen Tü­ren geäußerte, demokratiepolitisch völ­lig legitime und notwendige Kritik plötzlich beinahe zum Gegenstand von Klags­dro­hun­gen. Eine verdammt wilde Zeit offenbar, in der man sich als Linzer Bürgerin erstmal daran gewöhnen muss, dass angenehme, manchmal zwar zugegebenermaßen hemmende aber meistens respektvolle und beständige Übereinkommen was Kom­muni­ka­tionsformen betrifft, nichts mehr wert sind. Wie­der auftauchen, weil verschwunden könnte auch jenes Wis­sen darum, dass Neid und Miss­gunst innerhalb einer eher über­schaubaren Gruppe von irgendwie zumindest Gleichge­sinn­ten nicht so angebracht sind, weil dann die Mitglieder der eh schon nicht so großen Gruppe noch weniger werden. Ver­schwin­den könnte dafür ganz schnell wieder eine recht leicht durchschaubare Taktik, eben Neid und Missgunst innerhalb einer Gruppe zu streuen, damit sich vieles von alleine re­gelt.
Im Foersterschen Sinne also bitte mal auf die Hier- und Jetztheit hö­ren, damit man nicht im Vakuum – genau: Ver­schwindet. (An die ge­neigten Physiker unter euch Leserinnen und Lesern: Mir ist schon klar, dass im Vakuum nichts verschwindet, es hat sich halt grade so schön angeboten).

Und nun noch etwas in eigener Sache: Oh ja, das tut wirklich gut, ver­misst zu werden, danke all jenen, die sich ob meines April-Aus­setzers gefragt haben, wie es mit mir und der Kolumne weitergeht. Obwohl mich das natürlich schreck­lich unter Druck setzt ... Und nein, auch wenn sich hin und wieder Verweise auf mein Privatleben darin finden, diese Kolumne verkommt nicht zur monthly soap und ich muss nicht verkuppelt werden, danke der Nachfrage.

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05/08
FotoautorInnen: 
Wiltrud Hackl

Die Autorin rechts unten sitzend als Zwerg verkleidet vor 35 Jahren, als sie zum ersten Mal gerne auf der Stelle verschwinden wollte und die Hier- und Jetztheittheorie Heinz von Foersters zum ersten Mal massiven Zweifeln aussetzte.

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