Tiefenrausch und Nachhaltigkeit

Nach der vorjährigen „Schaurausch“-Ausstellung zeigt „Tiefenrausch“ als zweiten Teil der dreiteiligen „Rausch“-Kooperation vom O.K und Linz09 dieses Jahr ein breit ge­fächertes Spektrum von Kunst in den Tiefen der Stadt. Das Gespräch entwickelte sich in weiten Teilen zu Reflexionen über Linz09: Christian Herzenberger im Interview mit Rainer Zendron, stellvertretender Rektor der Kunstuniversität und vom O.K beauftragter Kurator der Schau.

Wie steht es um die Kunstuniversität und Linz 09? Eine symbiotische oder mehr eine synthetische Be­zie­hung?
Rainer Zendron: Bis Dato gibt es kein Uni-Pro­jekt mit Linz 09. Obwohl natürlich eine größere An­­zahl an Projektvorschlägen eingereicht wurde. Aber es konnte leider bisher keinerlei Einigung er­zielt werden.

Dann ist wohl die Kunstuni bei „Tiefenrausch“ we­niger Wegbereiter als Weg­begleiter?
RZ: „Tiefenrausch“ ist glasklar ein OK-Projekt. Von diesem wurde auch die Kunstuni – einzelne Künst­lerInnen als auch Studienrichtungen – mit einigen Umsetzungen beauftragt. Konkret handelt es sich dabei um die Ab­tei­lungen raum&designstrategien, sowie Bildhauerei/Transmedialer Raum. Zwi­schen Linz 09 und der Universität gab es auch diesbezüglich keine Kon­tak­te. Unsererseits aber auch kein Bedauern über deren Fehlen.

Worin besteht dein persönlicher Zugang zur Lin­zer Unterwelt? In der Vor­be­richterstattung war u.a. Mutter Zendron zum Thema präsent ...
RZ: In erster Linie bin ich natürlich ein vom OK be­auftragter Kurator für den „Tiefenrausch“. Mei­ne Mutter ist inzwischen 80, und hat die Linzer Stollen mit 16 als Luftschutzbunker erlebt. Mir hat sie diese Zeit aber keines­wegs als „traumatisch“ vermittelt – mehr als abenteuerliche Geschich­ten. Schon allein, weil ich als Kind keine richtigen Vor­stellungen vom Krieg hat­te. Zwei Sommer lang war ich dann als 15, 16-jähriger selbst recht ausgiebig in den Stollen unterwegs, in die ich mir mit Freun­den, natürlich verbotenen, Zugang verschafft hat­te.

Als „altgedientem“ Linzer scheint einem manches an „Tiefenrausch“ vertraut – aus schon länger zu­rück­liegenden Zeiten der Ars Electronica bei­spiels­wei­se, oder auch den obligaten Tagen der offenen Tür?
RZ: Das liegt sicher auch daran, dass es immer wie­der OK-Beteiligungen an der Ars Electronica ge­ge­ben hat. Ich glaube außerdem nicht, dass es all­zu viele „spannende“ Räume in Linz gibt, die man ganz neu bespielen könnte. Deswegen be­steht, glau­be ich, trotzdem ein großes Interesse, dort, wo es solche Orte gibt – wie eben in den Stol­len von Linz – neue Projekte zu entwickeln; sie als Bühne zu benutzen, auf der man kontextbewusst Inhalte neu ausstellen und reflektieren kann.

Während sich „Schaurausch“ im Vorjahr recht gut dem allgegenwärtigen Kauf­rausch des Alltags über Auslagengestaltungen beistellen ließ, assoziiert man mit „Tiefenrausch“ oder auch dem nächst­jährigen „Höhenrausch“ krank­haf­te Symp­to­me, die zum To­de führen können? „40.000 Liter Attersee“, als eine zentrale Veranstaltung am OK-Platz, verstärkt diese Assoziation eher noch ...
RZ: Es muss natürlich klar gesagt werden, dass es sich bei der Titel­fin­dung der genannten Ver­an­staltungs-Trilogie um eine Marketingmaßnahme zu Linz 09 handelt. Und ich sehe das auch als absolute Notwendigkeit: Dass möglichst viele Men­schen möglichst viel Interessantes zu sehen kriegen; dass man sie dorthin bringt. Die zu Grunde liegenden Überlegungen sind eigentlich banal: Wäh­rend der „Schaurausch“ die Leute „ebenerdig“ in ih­rem Alltag abholen sollte, widmen sich die bei­den anderen Veranstaltungen dem Drüber und Drunter – jenen Bereichen, wo man für gewöhnlich nicht so hinschaut; dorthin, wo der im Alltag oft sehr eingeschränkte Blickwinkel die Höhen und Tiefen ausklammert. Besonders hervorzuheben sind dabei die beiden Projekte „Museum der Unterwelt“ und „Strom des Vergessens“. Exem­pla­risch in ihrem Zugang zu all dem, was man mit Unterwelt im weitesten Sinne assoziiert.
Das Attersee-Projekt hingegen finanziert sich nicht aus dem Kunstbudget, sondern dahinter steht der OÖ Fremdenverkehrsverband bzw. die Touris­mus­­region Attersee. Sollte sich daraus eine Assozi­a­tion des „Scheiterns“ ab­leiten, dann ist das vielleicht ein Problem für diese Region. Für das künst­lerische Anliegen, Bezüge zwischen den Be­griffen Unterwelt, Vergessen, Ge­fahr und Schrec­ken her­zu­stellen, sehe ich hingegen kein Problem.

Vorrangig scheinen Tourismus, Hotelerie und Gas­tronomie als die eigentlichen Profiteure von Linz 09 dazustehen. Letztendlicher Sinn und Zweck einer Kulturhauptstadt?
RZ: Ja, das scheint mir ein wichtiges, aber vorran­gig strukturelles Problem von Kulturhaupt­städ­ten zu sein. Wobei man ja nicht 100 Kulturhaupt­städte gesehen haben muss, um Schlussfolge­run­gen für eigenes Handeln ableiten zu können. Al­lein in Graz zeigten sich schon im Vorfeld ähnliche Tendenzen, die wir auch hier in Linz wiederfinden, wiedererkennen können. So gab’s auch in Graz Probleme bezüglich der Nachhaltigkeit der getroffenen Maß­nah­men; wurden auch dort Künst­lerInnen und Kulturschaffende über Jahre danach ausgehungert. Ähnliches fürchte ich eben auch für Linz: Groß­ins­ti­tu­tionen erfahren einen In­vestitionsschub. Was auch durchaus sinnvoll sein kann. Aber dies stellt sich gleichzeitig auch als nachhaltiger Verlust für die Kunst­schaf­fen­den dar. Diesbezüglich richtet sich meine Kritik zwar auch an Heller, mehr noch aber an die Kul­turpolitik: Ihr Versagen angesichts von Graz. Ihr Nichtreflektieren der dortigen Erfahrungen.
Eine der größten Stärken von Linz war über die Jahrzehnte – trotz oder ge­rade wegen weniger Groß­institutionen – die relativ hohe Menge an frei (!) ver­fügbaren, projektorientierten Kunstgel­dern. In Zukunft schaut es so aus, dass diese allein für den Betrieb, für die laufenden Kosten der gerade entstehenden Großprojekte aufgewendet werden müssen. Was dann natürlich für die freie Szene oder auch Sonderprojekte fehlen wird.

Was wäre die Alternative?
RZ: Stelle ich mir vor, die Gelder, die derzeit in Groß­projekte verbaut werden, in einer Kultur­stif­tung zu parken, dann ließe sich über einen Zeit­raum von, sagen wir, 25 Jahren eine breite Viel­falt an Kunst und Kultur mit namhaften Beträgen nachhaltig (!) fördern.
Wäre ich z.B. an Stelle von Gerfried Stocker, und stünde ich vor der Wahl, ein schönes neues Haus hingestellt zu bekommen – wo ich seriöser Weise eigentlich das dreifache Budget für eine adäquate Bespielung einfordern müsste –, oder lieber 20 Mio. pro Jahr frei verfügbar zu haben, dann würd’ ich sagen: Scheiß auf des Häusl!

Leidet die Linzer Kunst und Kultur an Selbst­über­schätzung (Copyright Hel­ler) oder bedarf sie jener Selbstbehauptung, mit der z.B. Harry Gebhartl das Phönix aus dem Linz 09-Spiel genommen hat?
RZ: Keiner der beiden Standpunkte ist mein Stand­punkt. Mir fehlt ehrlich ge­sagt das drängende Ver­langen der freien Szene nach einer Realisierung ihrer Projekte. Jeder Ruf nach konkreten Inter­ven­tionen für Einzel­projek­te durch PolitikerInnen ist abzulehnen. Die Be­auf­tra­gung von Fachjurys statt Interventionitis ist eine wichtige Errungenschaft, die auch in „Kri­sen­situ­a­tionen“ nicht leichtfertig ge­opfert werden darf.
Der Politik kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, den an sich glasklaren Kultur­entwick­lungs­plan, der die Bereiche, 1. Freie Szene, 2. Digitale Kunst sowie 3. Parität der Geschlechter als zentrale Entwicklungsstränge formuliert, der 09-In­ten­danz nicht als Vorgabe mit auf den Weg gegeben zu haben. Wenn man, wie Heller, vielleicht der Meinung ist, dass sich bestehende Ein­rich­tungen nicht am Höhepunkt ihres Schaffens be­finden – diesen vielleicht auch schon überschritten haben –, bedürfte es eines behutsameren Zu­gangs, der die Betroffenen dazu einlädt, gemeinsame, auch andersartige, Wege zu beschreiten, als sie mit vor­gefertigten Konzepten vor den Kopf zu stoßen.
Meiner Meinung nach verfügt die Linzer Kultur­sze­ne durchaus über eine richtige Selbst­ein­schät­zung, „fürchtet“ sich aber, innere Probleme nach außen zu transportieren. Strukturell vergleichsweise recht gut abgesichert, muss man sehr wohl auch eine gewisse Erstarrung konstatieren. Wo­bei ich beides als zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachte. Weil andererseits: Ohne Ab­sicherung wäre auch keine bedeutsame und kontinuierliche Kulturarbeit möglich.

Wie weit kann/darf sich Kunst verweigern?
RZ: Kunst darf sich immer verweigern! Die Fra­ge ist: Kann man sich’s mental und finanziell leisten.
Ich sehe ja eine positive Entwicklung der freien Sze­ne in den letzten 5 Jahren – mit einem Gene­ra­tionenwechsel in den jeweiligen Führungen und auch einem Wechsel der Rollenverständnisse. Was noch fehlt, ist ein Finden neuer, frischer, geänder­ter Linien und Perspektiven. Und das wird durch Linz 09 keineswegs gefördert, sondern mehr hin­tertrieben. Hier liegt das Hauptversäumnis von Hel­ler: Zu fragen, was die Institutionen und de­ren Per­sonal für neue Höhenflüge bräuchten, um dies dann auch nachhaltig über 09 hinaus zu verankern.

Die Vorbereitung auf Linz 09 wird auch durch me­diales „Gesudere“ auffällig kommentiert ...
RZ: Die lautstarke Kritik an Heller und Linz 09 in den Medien fällt für mich unter klassischen Kam­pagnenjournalismus: Füllmaterial, wo es zwangs­­läu­fig nix Konkretes zu berichten gibt, über einige Monate hinweg. Gestartet von den OÖN, die Kro­­ne im Schlepptau. In den Nach­rich­ten schon ab­ge­ebbt, in der Krone vielleicht noch über den Som­mer gezogen. Im Herbst wird’s dann wohl zur Part­nerschaft der OÖN mit 09 kommen. Recht­zei­tig zum Start – zum Wohle aller Betei­lig­ten. Und si­cher wird’s ganz schön werden! Weil: Wenn man mit 60 Mio. kein vernünftiges Pro­gramm hinbekä­me – wobei ich gestehe, dass sich selbst mir als nicht ganz Unbeteiligtem das bislang vorliegende Programm inhaltlich noch nicht erschließt – dann wäre das wohl ein deutliches Zeichen für Un­fä­hig­­keit. Und ich halte Heller si­cher NICHT für un­fä­hig. Nur: Das Programm ist für mich auch nicht das Pro­blem, sondern mich bewegt allein die Fra­ge der Nachhaltigkeit. Und hier zeichnet sich eine Bindung zukünftiger Budgets an fixe Insti­tu­tio­nen ab. Zwangsweise vorrangig zu deren Erhal­tung, weniger wohl für eine adäquate Bespielung.

Und welche Rolle wird die Kunstuni spielen – 09 und danach?
RZ: Für die Studierenden wird 09 sicher ein gu­tes Jahr – auch finanziell. Ich seh’ das als Ars Elec­tronica-Phänomen: Viel Geld für sehr viel Hilfs­arbeiten; über ein ganzes Jahr gerechnet. Dazu die Chance für die Studierenden, sich auf hohem Niveau und in einer großen Breite reflexiv mit den Angebotenen auseinandersetzen zu können. Für die Positionierung der Kunstuni gegenüber der Gesellschaft – wie sie prozesshaft, spannend und experimentell als Projekt vorgeschlagen war – ist’s natürlich eine vertane Chance. Einige nicht ganz unwesentliche Multiplikatoren für eine ge­lungene Außenkommunikation könnte die Stadt sicher gut gebrauchen. Im Moment überwiegt al­lerdings der Verdruss gegenüber 09. Die Leute sind echt sauer auf die Kulturhauptstadt.

Tiefenrausch
Kunst und Führungen in den Linzer Unterwelten

30.05. bis 13.07. 2008
Ein Projekt des OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich mit Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas.
Eröffnung: Do, 29. Mai 2008

Museum der Unterwelt im OK.
•    Kulturhistorische Ausstellung
von Brigitte Felde­rer: Seltene und wertvolle Dokumente, Objekte und Kunst­werke aus privaten und öffentlichen Samm­lun­gen, künstlerische Projekte sowie multimediale Mate­ri­alien, aber auch Werke zeitgenössischer Künstler, wie Hans Schabus oder Pipilotti Rist.
    Akustik-Ausstellung: Von der Geschichte der nationalsozialistischen Stollenanlagen bis zum geplanten Westring-Tunnel basierend auf Interviews mit Zeit­zeug­Innen
•    Die Unterwelt goes Hollywood: Medieninstallation mit found footage Material aus mainstream-Kinofilmen von Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind.

Strom des Vergessens: Videos und Installationen im Lin­zer Aktienkeller (Stollensystem unter dem Botanischen Garten)
KünstlerInnen: Lida Abdul, Heimrad Bäcker, Fernando Sán­chez Castillo, Chieh-jen Chen, Christop Draeger, Joanna Dudley, Vera Frenkel, Thorsten Goldberg, Peter Hauen­schild/Georg Ritter, Kurt Hentschläger, Renate Herter, Sejla Kameric, Xuan Kan, Klub Zwei, Anne und Patrik Poirier, Ruth Schnell, Tim Sharp, Hito Steyerl, Kruno Stipesevic', Herwig Turk, Sarah Vanagt, Peter Weibel, Ursula Witzany u.a.
 
Linz Untertage: Führungen durch: Donau Düker, Trink­was­serspeicher, in die Krypten der Innenstadtkirchen, in den Limonistollen.

Tiefenbohrung: Künstlerisch bespielte Plastikrohre an­stelle von Kanaldeckeln als Einstieg in die Unterwelt der Strom-, Fernwärme- und Abwasserleitungen.

40000 Liter Attersee am OK-Platz.

www.ok-centrum.at, www.linz09.at
 

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05/08
FotoautorInnen: 
Pressematerial O.K

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