Tiefenrausch und Nachhaltigkeit
Wie steht es um die Kunstuniversität und Linz 09? Eine symbiotische oder mehr eine synthetische Beziehung?
Rainer Zendron: Bis Dato gibt es kein Uni-Projekt mit Linz 09. Obwohl natürlich eine größere Anzahl an Projektvorschlägen eingereicht wurde. Aber es konnte leider bisher keinerlei Einigung erzielt werden.
Dann ist wohl die Kunstuni bei „Tiefenrausch“ weniger Wegbereiter als Wegbegleiter?
RZ: „Tiefenrausch“ ist glasklar ein OK-Projekt. Von diesem wurde auch die Kunstuni – einzelne KünstlerInnen als auch Studienrichtungen – mit einigen Umsetzungen beauftragt. Konkret handelt es sich dabei um die Abteilungen raum&designstrategien, sowie Bildhauerei/Transmedialer Raum. Zwischen Linz 09 und der Universität gab es auch diesbezüglich keine Kontakte. Unsererseits aber auch kein Bedauern über deren Fehlen.
Worin besteht dein persönlicher Zugang zur Linzer Unterwelt? In der Vorberichterstattung war u.a. Mutter Zendron zum Thema präsent ...
RZ: In erster Linie bin ich natürlich ein vom OK beauftragter Kurator für den „Tiefenrausch“. Meine Mutter ist inzwischen 80, und hat die Linzer Stollen mit 16 als Luftschutzbunker erlebt. Mir hat sie diese Zeit aber keineswegs als „traumatisch“ vermittelt – mehr als abenteuerliche Geschichten. Schon allein, weil ich als Kind keine richtigen Vorstellungen vom Krieg hatte. Zwei Sommer lang war ich dann als 15, 16-jähriger selbst recht ausgiebig in den Stollen unterwegs, in die ich mir mit Freunden, natürlich verbotenen, Zugang verschafft hatte.
Als „altgedientem“ Linzer scheint einem manches an „Tiefenrausch“ vertraut – aus schon länger zurückliegenden Zeiten der Ars Electronica beispielsweise, oder auch den obligaten Tagen der offenen Tür?
RZ: Das liegt sicher auch daran, dass es immer wieder OK-Beteiligungen an der Ars Electronica gegeben hat. Ich glaube außerdem nicht, dass es allzu viele „spannende“ Räume in Linz gibt, die man ganz neu bespielen könnte. Deswegen besteht, glaube ich, trotzdem ein großes Interesse, dort, wo es solche Orte gibt – wie eben in den Stollen von Linz – neue Projekte zu entwickeln; sie als Bühne zu benutzen, auf der man kontextbewusst Inhalte neu ausstellen und reflektieren kann.
Während sich „Schaurausch“ im Vorjahr recht gut dem allgegenwärtigen Kaufrausch des Alltags über Auslagengestaltungen beistellen ließ, assoziiert man mit „Tiefenrausch“ oder auch dem nächstjährigen „Höhenrausch“ krankhafte Symptome, die zum Tode führen können? „40.000 Liter Attersee“, als eine zentrale Veranstaltung am OK-Platz, verstärkt diese Assoziation eher noch ...
RZ: Es muss natürlich klar gesagt werden, dass es sich bei der Titelfindung der genannten Veranstaltungs-Trilogie um eine Marketingmaßnahme zu Linz 09 handelt. Und ich sehe das auch als absolute Notwendigkeit: Dass möglichst viele Menschen möglichst viel Interessantes zu sehen kriegen; dass man sie dorthin bringt. Die zu Grunde liegenden Überlegungen sind eigentlich banal: Während der „Schaurausch“ die Leute „ebenerdig“ in ihrem Alltag abholen sollte, widmen sich die beiden anderen Veranstaltungen dem Drüber und Drunter – jenen Bereichen, wo man für gewöhnlich nicht so hinschaut; dorthin, wo der im Alltag oft sehr eingeschränkte Blickwinkel die Höhen und Tiefen ausklammert. Besonders hervorzuheben sind dabei die beiden Projekte „Museum der Unterwelt“ und „Strom des Vergessens“. Exemplarisch in ihrem Zugang zu all dem, was man mit Unterwelt im weitesten Sinne assoziiert.
Das Attersee-Projekt hingegen finanziert sich nicht aus dem Kunstbudget, sondern dahinter steht der OÖ Fremdenverkehrsverband bzw. die Tourismusregion Attersee. Sollte sich daraus eine Assoziation des „Scheiterns“ ableiten, dann ist das vielleicht ein Problem für diese Region. Für das künstlerische Anliegen, Bezüge zwischen den Begriffen Unterwelt, Vergessen, Gefahr und Schrecken herzustellen, sehe ich hingegen kein Problem.
Vorrangig scheinen Tourismus, Hotelerie und Gastronomie als die eigentlichen Profiteure von Linz 09 dazustehen. Letztendlicher Sinn und Zweck einer Kulturhauptstadt?
RZ: Ja, das scheint mir ein wichtiges, aber vorrangig strukturelles Problem von Kulturhauptstädten zu sein. Wobei man ja nicht 100 Kulturhauptstädte gesehen haben muss, um Schlussfolgerungen für eigenes Handeln ableiten zu können. Allein in Graz zeigten sich schon im Vorfeld ähnliche Tendenzen, die wir auch hier in Linz wiederfinden, wiedererkennen können. So gab’s auch in Graz Probleme bezüglich der Nachhaltigkeit der getroffenen Maßnahmen; wurden auch dort KünstlerInnen und Kulturschaffende über Jahre danach ausgehungert. Ähnliches fürchte ich eben auch für Linz: Großinstitutionen erfahren einen Investitionsschub. Was auch durchaus sinnvoll sein kann. Aber dies stellt sich gleichzeitig auch als nachhaltiger Verlust für die Kunstschaffenden dar. Diesbezüglich richtet sich meine Kritik zwar auch an Heller, mehr noch aber an die Kulturpolitik: Ihr Versagen angesichts von Graz. Ihr Nichtreflektieren der dortigen Erfahrungen.
Eine der größten Stärken von Linz war über die Jahrzehnte – trotz oder gerade wegen weniger Großinstitutionen – die relativ hohe Menge an frei (!) verfügbaren, projektorientierten Kunstgeldern. In Zukunft schaut es so aus, dass diese allein für den Betrieb, für die laufenden Kosten der gerade entstehenden Großprojekte aufgewendet werden müssen. Was dann natürlich für die freie Szene oder auch Sonderprojekte fehlen wird.
Was wäre die Alternative?
RZ: Stelle ich mir vor, die Gelder, die derzeit in Großprojekte verbaut werden, in einer Kulturstiftung zu parken, dann ließe sich über einen Zeitraum von, sagen wir, 25 Jahren eine breite Vielfalt an Kunst und Kultur mit namhaften Beträgen nachhaltig (!) fördern.
Wäre ich z.B. an Stelle von Gerfried Stocker, und stünde ich vor der Wahl, ein schönes neues Haus hingestellt zu bekommen – wo ich seriöser Weise eigentlich das dreifache Budget für eine adäquate Bespielung einfordern müsste –, oder lieber 20 Mio. pro Jahr frei verfügbar zu haben, dann würd’ ich sagen: Scheiß auf des Häusl!
Leidet die Linzer Kunst und Kultur an Selbstüberschätzung (Copyright Heller) oder bedarf sie jener Selbstbehauptung, mit der z.B. Harry Gebhartl das Phönix aus dem Linz 09-Spiel genommen hat?
RZ: Keiner der beiden Standpunkte ist mein Standpunkt. Mir fehlt ehrlich gesagt das drängende Verlangen der freien Szene nach einer Realisierung ihrer Projekte. Jeder Ruf nach konkreten Interventionen für Einzelprojekte durch PolitikerInnen ist abzulehnen. Die Beauftragung von Fachjurys statt Interventionitis ist eine wichtige Errungenschaft, die auch in „Krisensituationen“ nicht leichtfertig geopfert werden darf.
Der Politik kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, den an sich glasklaren Kulturentwicklungsplan, der die Bereiche, 1. Freie Szene, 2. Digitale Kunst sowie 3. Parität der Geschlechter als zentrale Entwicklungsstränge formuliert, der 09-Intendanz nicht als Vorgabe mit auf den Weg gegeben zu haben. Wenn man, wie Heller, vielleicht der Meinung ist, dass sich bestehende Einrichtungen nicht am Höhepunkt ihres Schaffens befinden – diesen vielleicht auch schon überschritten haben –, bedürfte es eines behutsameren Zugangs, der die Betroffenen dazu einlädt, gemeinsame, auch andersartige, Wege zu beschreiten, als sie mit vorgefertigten Konzepten vor den Kopf zu stoßen.
Meiner Meinung nach verfügt die Linzer Kulturszene durchaus über eine richtige Selbsteinschätzung, „fürchtet“ sich aber, innere Probleme nach außen zu transportieren. Strukturell vergleichsweise recht gut abgesichert, muss man sehr wohl auch eine gewisse Erstarrung konstatieren. Wobei ich beides als zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachte. Weil andererseits: Ohne Absicherung wäre auch keine bedeutsame und kontinuierliche Kulturarbeit möglich.
Wie weit kann/darf sich Kunst verweigern?
RZ: Kunst darf sich immer verweigern! Die Frage ist: Kann man sich’s mental und finanziell leisten.
Ich sehe ja eine positive Entwicklung der freien Szene in den letzten 5 Jahren – mit einem Generationenwechsel in den jeweiligen Führungen und auch einem Wechsel der Rollenverständnisse. Was noch fehlt, ist ein Finden neuer, frischer, geänderter Linien und Perspektiven. Und das wird durch Linz 09 keineswegs gefördert, sondern mehr hintertrieben. Hier liegt das Hauptversäumnis von Heller: Zu fragen, was die Institutionen und deren Personal für neue Höhenflüge bräuchten, um dies dann auch nachhaltig über 09 hinaus zu verankern.
Die Vorbereitung auf Linz 09 wird auch durch mediales „Gesudere“ auffällig kommentiert ...
RZ: Die lautstarke Kritik an Heller und Linz 09 in den Medien fällt für mich unter klassischen Kampagnenjournalismus: Füllmaterial, wo es zwangsläufig nix Konkretes zu berichten gibt, über einige Monate hinweg. Gestartet von den OÖN, die Krone im Schlepptau. In den Nachrichten schon abgeebbt, in der Krone vielleicht noch über den Sommer gezogen. Im Herbst wird’s dann wohl zur Partnerschaft der OÖN mit 09 kommen. Rechtzeitig zum Start – zum Wohle aller Beteiligten. Und sicher wird’s ganz schön werden! Weil: Wenn man mit 60 Mio. kein vernünftiges Programm hinbekäme – wobei ich gestehe, dass sich selbst mir als nicht ganz Unbeteiligtem das bislang vorliegende Programm inhaltlich noch nicht erschließt – dann wäre das wohl ein deutliches Zeichen für Unfähigkeit. Und ich halte Heller sicher NICHT für unfähig. Nur: Das Programm ist für mich auch nicht das Problem, sondern mich bewegt allein die Frage der Nachhaltigkeit. Und hier zeichnet sich eine Bindung zukünftiger Budgets an fixe Institutionen ab. Zwangsweise vorrangig zu deren Erhaltung, weniger wohl für eine adäquate Bespielung.
Und welche Rolle wird die Kunstuni spielen – 09 und danach?
RZ: Für die Studierenden wird 09 sicher ein gutes Jahr – auch finanziell. Ich seh’ das als Ars Electronica-Phänomen: Viel Geld für sehr viel Hilfsarbeiten; über ein ganzes Jahr gerechnet. Dazu die Chance für die Studierenden, sich auf hohem Niveau und in einer großen Breite reflexiv mit den Angebotenen auseinandersetzen zu können. Für die Positionierung der Kunstuni gegenüber der Gesellschaft – wie sie prozesshaft, spannend und experimentell als Projekt vorgeschlagen war – ist’s natürlich eine vertane Chance. Einige nicht ganz unwesentliche Multiplikatoren für eine gelungene Außenkommunikation könnte die Stadt sicher gut gebrauchen. Im Moment überwiegt allerdings der Verdruss gegenüber 09. Die Leute sind echt sauer auf die Kulturhauptstadt.
Tiefenrausch
Kunst und Führungen in den Linzer Unterwelten
30.05. bis 13.07. 2008
Ein Projekt des OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich mit Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas.
Eröffnung: Do, 29. Mai 2008
Museum der Unterwelt im OK.
• Kulturhistorische Ausstellung von Brigitte Felderer: Seltene und wertvolle Dokumente, Objekte und Kunstwerke aus privaten und öffentlichen Sammlungen, künstlerische Projekte sowie multimediale Materialien, aber auch Werke zeitgenössischer Künstler, wie Hans Schabus oder Pipilotti Rist.
Akustik-Ausstellung: Von der Geschichte der nationalsozialistischen Stollenanlagen bis zum geplanten Westring-Tunnel basierend auf Interviews mit ZeitzeugInnen
• Die Unterwelt goes Hollywood: Medieninstallation mit found footage Material aus mainstream-Kinofilmen von Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind.
Strom des Vergessens: Videos und Installationen im Linzer Aktienkeller (Stollensystem unter dem Botanischen Garten)
KünstlerInnen: Lida Abdul, Heimrad Bäcker, Fernando Sánchez Castillo, Chieh-jen Chen, Christop Draeger, Joanna Dudley, Vera Frenkel, Thorsten Goldberg, Peter Hauenschild/Georg Ritter, Kurt Hentschläger, Renate Herter, Sejla Kameric, Xuan Kan, Klub Zwei, Anne und Patrik Poirier, Ruth Schnell, Tim Sharp, Hito Steyerl, Kruno Stipesevic', Herwig Turk, Sarah Vanagt, Peter Weibel, Ursula Witzany u.a.
Linz Untertage: Führungen durch: Donau Düker, Trinkwasserspeicher, in die Krypten der Innenstadtkirchen, in den Limonistollen.
Tiefenbohrung: Künstlerisch bespielte Plastikrohre anstelle von Kanaldeckeln als Einstieg in die Unterwelt der Strom-, Fernwärme- und Abwasserleitungen.
40000 Liter Attersee am OK-Platz.
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