Den Linzer Superlativ gibt es überall

Bei der diesjährigen Ausgabe von Crossing Europe stellte das Linzer Kommunikationsbüro Die Fabrikanten seinen neuen Film „Trivial Europe“ vor. Darin lassen sie sich von Locals bei Nacht durch fünf europäische Städte führen. Ihre Gastgeber sind deklarierte Stadtmenschen, die, mit Stirnlampen ausgerüstet, den Spot auf ihre ganz persönlichen Orte richten. Ein Gespräch mit Wolfgang Preisinger über den Film, Europa bei Nacht und das beleuchtete Linz.

In „Trivial Europe“ bewegt man sich in nächtli­chen Spaziergängen durch Thes­saloniki, Novi Sad, Linz, Essen und Liverpool. Ist diese Auswahl zufällig ge­troffen worden oder hat dies einen Hintergrund in der laufenden Arbeit der Fabrikanten?
Das hat schon einen Hintergund. Wir haben Städte zweiter oder dritter Ord­nung ausgewählt. Nicht die Metropolen, sondern Städte mit indus­tri­­­el­ler Prä­gung, die in irgendeiner Form mit Linz ver­gleich­bar sind. Städte an de­nen man eher vorbeifährt, denn mit solchen kennen wir uns ja aus. Von solchen Städten lässt man sich dann vielleicht auch nicht so leicht verführen, ihnen kann man auf den Grund gehen und sie geben auch eine gu­te Ver­gleichsbasis ab. Der zweite Grund für die Aus­wahl war, dass Gerald Har­ringer (Co-Re­gis­seur und -Produzent, Anm.) immer gerne Ge­ra­den auf Land­­­­karten zieht und die fünf Städte lie­gen ja ziem­lich genau auf einer Linie quer durch Euro­pa.

Ihr habt Leute aus dem Kreativbereich, Archi­tek­ten, Künstler, Regisseure ge­wonnen, euch durch ih­re Stadt zu führen. Waren das bestehende Kon­takte, die ihr schon hattet oder habt ihr für das Pro­jekt gezielt nach neuen Men­schen gesucht?
Wir haben für das Projekt schon gezielt neue Kon­takte gesucht. Wir haben zwar in den jeweiligen Städten schon Leute gekannt, aber die eben gebeten, uns jemanden weiterzuvermitteln, damit wir auch ein bisschen über den ei­genen Dunstkreis hinauskommen. Es war uns sehr recht, Menschen aus der Kreativbranche zu haben, weil wir eben Plätze sehen wollten, auf die man nicht so leicht kommt, die auch den üblichen touristischen Kli­schees weniger entsprechen. Wiewohl es im Film dann doch viele Klischees gibt! Es war für uns selbst sehr überraschend, dass neben den Plät­zen, die in jeder Stadt sein könnten, auch solche dabei waren, wo wir uns gedacht haben: „Das ist ja typisch“. Wobei, wir haben das Ganze ja auch in Linz ausprobiert und hier einen Rollentausch ge­macht. Wir waren die Gastgeber und haben Leu­te aus den baltischen Ländern durch unsere Stadt ge­führt. Da ist man dann schon versucht, die Post­kartenklischees und -sujets, die es eigentlich gar nicht gibt, trotzdem zu finden. Man möchte einfach von der Stadt, auf die man doch irgendwie stolz ist, ob zu Recht oder zu Unrecht, etwas her­zeigen, das irgendwie doch super ist. Wenn wir im angewandten Bereich ar­bei­ten und dabei auch manchmal repräsentative Sachen machen sollen, spre­che ich gerne vom „Linzer Superlativ“. Wir ha­­ben die steilste Ad­hä­si­ons­bahn und den größten Hauptplatz, usw. Ich finde das ist ja ein total provinzielles Phänomen, dass man sich da mega-sampelt, um das Gefühl zu ha­ben, man ist wer. Und das war dann auch in allen Städten so; dieses Phä­no­men, Anstrengungen zu unternehmen um groß zu sein, gibt es überall.

Dennoch hat man das Gefühl, dass die Personen im Film sehr stark ihre eigenen Bewegungsradien zei­gen. Man wird an viele persönliche Erinne­rungs­­orte geführt und Plätze für bestimmte Communi­ties spie­len auch eine Rolle. Auf­fällig ist, dass dies sehr oft Plätze sind, die nicht mehr da sind oder sich ver­än­dert haben.
Absolut. Ein Ansatz war es, dem Phänomen Eu­ro­pa näher zu kommen. Das beschäftigt uns ja schon länger, da gibt es auch andere Projekte da­zu. Die Aufgabenstellung war, nicht nur seine eigene Stadt, sondern seine eigene Stadt mit den persön­li­chen Be­zugspunkten und den zugehörigen Ge­schich­­ten zu zeigen. Wir erfahren im Film sehr viel über Plät­ze, die man gar nicht sieht, weil es dunkel ist – und dadurch sehr viel über die Per­so­nen, die hier leben. Das ist ja auch ein ganz we­sent­li­cher Be­standteil von dem, was Europa auch im­mer sein mag. Die Stadt, das Lebensgefühl, die Leute und wie sie sich in der Stadt bewegen, das hat uns ein­fach interessiert. Inklusive all der Leer­stellen.

Wieviel Zeit habt ihr mit den einzelnen Leuten verbracht, die als Guides fungiert haben? Wieviel Ma­terial habt ihr tatsächlich gedreht, im Ver­hält­nis zu dem, was im Film zu sehen ist?
Es gab im Vorfeld mit den einzelnen Leuten einen sehr intensiven Email­ver­kehr, bis wir beschlossen haben, etwas gemeinsam zu machen. Die „Ver­suchsanordnung“ war da­bei immer die gleiche. Meis­tens gab es einen ersten Termin, an dem wir uns in ihrer Stadt ge­troffen und mit ihnen über das Projekt gesprochen haben. Dann sind wir wie­dergekommen, zu einem Treffen mit den verschie­denen Gastgebern einer Stadt, die sich zuvor meist nicht gekannt haben, und zum Dreh. Oft wurde be­­fürchtet, dass jemand einen Ort herzeigen könn­te, den man selber vorstellen wollte. Das war aber kein Problem, vielmehr ist es so zu charmanten Über­schneidun­gen gekommen, wenn ein Ort zwei­mal vorgestellt wurde. Wir sind jedenfalls immer zu viert angereist, haben vier Gastgeber getroffen, und dann wa­ren wir in Zweiergruppen eine Nacht lang un­ter­wegs. Am Ende hatten wir 40 Stunden Ma­te­ri­al aus dem eine Stunde Film geworden ist. Aber wir haben das nie als reines Filmprojekt ge­sehen, sondern als Annäherung an Europa. Wäre es ein reines Filmprojekt gewesen, würde es be­stimmte Stellen so nicht geben. Wir sind etwa oft durch dun­kle Gassen gegangen, den Gastgebern mit der Ka­mera hinterher, die hatten das Licht und man selbst versuchte, möglichst nicht zu stolpern und die Ka­mera gerade zu halten. Das würde man im Nor­malfall viel besser ausleuchten und auch mehr Leute dabeihaben. Es ist uns aber mehr um die Intimität des Zweierteams gegangen. Wir ha­ben uns zum Beispiel auch die Regel auferlegt, dass alle Kameras auf Autofokus bleiben, damit man nicht ständig mit dem Scharfstellen beschäftigt ist, sondern sich auf das Gespräch mit seinem Ge­genüber konzentrieren kann. Es gab einfach ein paar Regeln, damit es in der kurzen und komprimierten Zeit funktionieren konnte.

Ist die, plakativ gesprochen, Instrumentalisierung der Nacht im Film auch ein Mit­tel zum Zweck ge­we­sen, um das Architektonische der Städte auszu­blenden?
Ja. Vor allem genau diese Skylines oder Haupt­platz­panoramen und sonstiges. Wenn die uns wer zeigen will, so haben wir uns gedacht, steht der dann vor dem Dunkel, man sieht seine Stirn­lam­pe und er kann nur darüber reden. Das ist ein ein­­faches stilistisches Mittel gewesen, um nicht den schönen Sehenswürdigkeiten aufzusitzen.

Hätte es auch andere Elemente des Films gegeben, die bei Tag so nicht funktioniert hätten?
Sicher, ganz viele. Weil diese Dunkelheit eben auch ganz viel Intimität schafft. Es zeigt sich eine andere Geschwindigkeit in der Nacht, es ist auch ein an­de­res Getriebe in der Stadt, und man ist in der Dunkelheit mehr auf sich selbst zurück ge­wor­­fen. Sicher gibt es jetzt Leute, die die Stirn­lam­­pen im Film aufdringlich finden, aber wir ha­ben eben Licht gebraucht. Erstens weiß man so beim Blick durch die Kamera immer, wo der an­dere ist, und zweitens geht das Licht auch in die Blickrichtung der Leute mit, wenn sie etwas er­klären.

Bei den Linzer Sequenzen fällt auf, dass vor allem beleuchtete Orte aufgesucht wurden, wie die Ei­sen­­bahnbrücke oder das Lentos. Und dann sagt der hie­­sige Guide Florian Sedmak auch noch, dass das meiste in Linz bei Nacht schöner sei.
Ich denke, dass dies mittlerweile selbst die Stadt­väter so sehen und immer mehr Gebäude in der Nacht beleuchtet werden. Dafür ist eine gewisse Mar­ke­tingmaschinerie verantwortlich, die immer einen schöneren Schein sucht, als es tatsächlich der Fall ist, und dieser Schein ist in der Nacht, mit all dem Licht dann auch gegeben!

www.fabrikanten.at

„Trivial Euro­pe“ und die Bot­schaft Europa
Mit „Trivial Europe“ gelingt den Fabrikanten ein intimer Blick in eine Handvoll mittlerer In­dus­triestädte und zu­gleich ein Soziogramm, das städtische Veränderungen und de­ren Aus­wirkungen auf das urbane Leben skizziert. Seien es die gesprengten Hochhäuser am Har­ter Plateau oder die zerbombte und wiedererrichtete Brücke von Novi Sad, Neues muss erst wie­der in den Körper der Stadt einverleibt werden. Der Film schafft mit der Unmittelbarkeit der Kamera und einem minimalen Lichteinsatz eine ungezwun­gene Nähe zu Menschen und Orten. Die simple filmische Umsetzung der nächtlichen Rundgänge funktioniert, nicht zu­letzt weil beim Schnitt schöne Zusam­men­hän­ge und Quer­verweise entstanden sind. Eine sture An­einander­rei­hung von Stadtepisoden hat man wohlweislich vermieden und die 60 Minuten lieber thematisch verknüpft. So ge­langt man vom Vereinslogo von Rot-Weiß-Essen nahtlos zum Bolzplatz in Liverpool, vom Glocken­ge­läut der dortigen Kathedrale zum orthodoxen Seelen­hir­ten in Novi Sad. Und damit quer durch ein Europa abseits der bekannten Pfade. Ebendiese verlassen auch die anderen beiden Teile der Triologie „Botschaft Euro­pa“: Die ei­gene Stadt wurde in Buchform („Botschaft Linz“) verortet, mit Fotos und Tex­ten zu ausgewählten Lieblingsplätzen der Locals. Das zu­letzt gestartete Online-Projekt „Blind Spot“  hingegen versammelt Kurzfilme, in denen blinde BewohnerInnen euro­pä­i­scher Städ­te VideokünstlerInnen durch ihre Stadt führen.

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05/08
FotoautorInnen: 
Die Fabrikanten

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