Freie Netze zwischen Anarchie und Hierarchie

Die Praxis Freier Community Netze ist neben der technologischen Umsetzung vor allem durch deren alltägliche soziale Organisation und Struktur geprägt, die je nach Netz irgendwo zwischen Hierarchie und Anarchie pendelt. Inwiefern die gesetzten Ziele in Free-Network Projekten dabei tatsächlich erreicht werden können, hängt vor allem vom Zusammenspiel von technologischer und sozialer Vernetzung ab. servus.at, Kunst und Kultur im Netz, vermittelte den Beitrag.

Flexible Regulierungen im Bereich der Funkfrequenzen haben eine starke Verbreitung der Wireless-LAN-Technologie bewirkt und mit fallenden Hard­warepreisen sind die Möglichkeiten einer einfachen und kostengünstigen Vernetzung auch über die Grenzen von einzelnen Gebäuden hinweg gestiegen. Diese Potenziale werden seit einigen Jahren von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft aufgegriffen: Während kommerzielle Internet Service-Pro­vi­der WLAN für spezifische lokalbezogene und mobile Services verwenden, wird die Technologie auf kommunalpolitischer Ebene für die deckende In­ter­net-Versorgung von Städten (Beispiel San Francisco) eingesetzt, wodurch sich standortpolitische Vorteile ergeben. Freie Community-Netze hingegen werden weder von parteipolitischen noch von wirtschaftlichen Interessen gesteuert und stellen eine zivilgesellschaftliche Nutzung von Wireless LAN durch BürgerInnen dar, die damit auf selbstorganisierter und freiwilliger Ba­­sis Freie Netze über Stadtteile und Regionen hinweg aufbauen und be­trei­ben. Die Freiheit, auf die sich drahtlose Community-Netzwerke beziehen, ist die persönliche Kommunikationsfreiheit der User und AktivistInnen im jeweiligen Netz und wie bei Freier Software nicht mit „gratis“ gleichzusetzen. Die gesellschaftspolitische Komponente spielt dabei eine zentrale Rol­le, wie Julian Priest, Mitbegründer der Londoner Pionier-Community consume.net, be­tont: „If you can own your own radio network you have control over how you operate it and how you connect. We recognised that network con­nec­tions, how we make them and the terms under which we make them, are political acts as much as anything else.“
Freie Netze sind kein rein technologisches Phänomen, sondern vielmehr so­zial getriebene Projekte, die sich Technologie zu Nutze machen und sie für ihre Zwecke adaptieren. Formen der Organisation, Finanzierung und Umset­zung Freier Netze sind in einem sehr hohen Maß von den gesteckten Zielen sowie dem Kontext, in den sie eingebunden sind, abhängig. Sie variieren zwi­schen sehr hierarchisch organisierten und stark individualistischen An­sät­zen, verfügen aber dennoch über ein gemeinsames Set an Idealen und organisatorischen Prinzipien. Die Bandbreite an unterschiedlichen Heran­ge­hens­­weisen wird anhand der beiden erfolgreichen Fallbeispiele Djurs­lands.net (Dänemark) und OLSR-Experiment (Freifunk Netz Berlin) besonders deutlich.

Ein Ziel, zwei Wege
Djursland ist eine infrastrukturell schwache Region in Dänemark, in der sich Telcos weigern, Breitband-Internet anzubieten. 2002 hat eine Gruppe von NetzaktivistInnen rund um Bjarke Nielsen begonnen, das Problem selbst in die Hand zu nehmen und auf Basis freiwilligen Engagements Teil für Teil der Region mit WLAN zu vernetzen. Djurslands.net ist heute als Verein mit klaren formalen Strukturen organisiert. Das technologische Netzwerk ba­siert auf einer hierarchisch aufgebauten Netzinfrastruktur im Hub-and-Spoke-Stil. Finanzierung, Organisation und technologische Umsetzung bedingen sich dabei gegenseitig, da ein derartig aufgezogenes Netzprojekt klar definierte Verantwortung und Kompetenz benötigt. Die geringen Anschluss­ge­bühren für User sind kostendeckend kalkuliert und liegen deutlich unter den Preisen kommerzieller Internetprovider. Bjarke Nielson, Gründer von Djurslands.net, erklärt die Situation zu Beginn des Netzprojektes: „We were not meant for having this DSL-technology. So we would sit back with modems and would be left behind with very slow connections while the cities would have this high-speed connections. For this reason all kind of development will not come to the rural areas. Being social about it, we figured out how to make connections which is as high-speed as the DSL in the cities.“
Das vorweg definierte Ziel, die Region Djursland vor einem Zurückfallen in der Informationsgesellschaft zu bewahren, konnte mit dieser Form der organisierten Planung und Umsetzung rasch in Angriff genommen werden. Bis Ende 2006 waren mehr als 4000 Haushalte der Region mit symmetrischer Breitbandanbindung versorgt und ein riesiger lokaler freier Kommuni­ka­ti­ons­raum geschaffen.

Einen gänzlich anderen Weg schlagen die Freifunk-AktivistInnen mit dem OLSR-Experiment in Berlin ein. Das Projekt ist ein loser Zusammenschluss von NetzaktivistInnen ohne formalisierte Strukturen, was sich technologisch mit dem Einsatz des Mesh-Networking widerspiegelt. Mesh-Netzwerke verfügen nicht über die klassische hierarchische Netzwerktopologie, sondern sind flache, vermaschte ad-hoc Netzwerke. An einigen Punkten besteht An­schluss zum Internet, der geteilt und für das gesamte Netz zur Verfügung gestellt wird. Einen guten Teil der Organisation von Mesh-Netzwerken übernimmt das mesh-routing Protokoll selbst (beispielsweise OLSR oder B.A.T.­M.A.N.), womit eine zentrale Administration, wie sie in Djursland nötig ist, hinfällig wird. Auch die Einhebung und Verteilung von Gebühren und Gel­dern ist in Berlin kein Thema, da es sich beim OLSR-Experiment um eine no-budget-Organisation handelt. Grundlegende Entscheidungen werden nach dem „Prinzip des Ideen-Darwinismus“ (Jürgen Neumann, Freifunk) gefällt. Diese lose und unbürokratische Struktur ermöglicht es schließlich, dass eine Breite unterschiedlicher User (von IT-Profis über Kulturschaffende bis hin zu Leuten, die einfach nur gratis ins Netz wollen) gemeinsam unter einem Label zusammenarbeiten und dabei sowohl die eigenen Interessen verfolgen als auch das Netz an sich stärken.

Unabhängig? Nicht ganz.
Trotz dieser unterschiedlichen Herangehensweisen werden bei Djurs­lands.
net und dem OLSR-Experiment die gleichen grundlegenden Ziele verfolgt: Auf kooperativer Basis nachhaltig Netzinfrastrukturen aufzubauen und zu be­treiben, die dem Ideal einer zivilgesellschaftlichen Bottom-up-Selbst­orga­nisation entsprechen und von staatlichen sowie marktwirtschaftlichen Me­chanismen weitgehend unabhängig sind. Eine völlige Unabhängigkeit ist da­bei allerdings nicht möglich. Spätestens am Punkt der Anbindung ans Internet muss auf einen externen ISP zurückgegriffen werden, die benötigte Hardware wird fast ausschließlich von kommerziellen Unternehmen entwickelt und die Politik hat nicht zuletzt durch die Schaffung von Rah­men­bedingungen – wie Frequenzregulierung oder Haftungsfragen bei offenen WLANs – direkt Einfluss auf Freie Netze. Es stellt sich also vordergründig nicht die Frage, ob es Abhängigkeiten zu Staat und Wirtschaft gibt, sondern wie dieses Verhältnis gestaltet wird. Ist es möglich, Sponsorgelder von Un­ter­nehmen oder staatliche Subventionen zu beziehen und dennoch ein Ma­ximum an Unabhängigkeit zu wahren? Während vor allem die Anfangs­pha­se des dänischen Djurslands.net nicht unerheblich durch EU-Fördergelder finanziert wurde, war in diesem Bereich die Kooperation von Freifunk mit einem Hardwarehersteller bei der Entwicklung des Mesh-Cube von Be­deu­tung. Das Unternehmen stellte die Hardware bereit, während die Com­mu­ni­ty die Entwicklungsarbeit leistete, was für beide Seiten Vorteile brachte. Da das Produkt dennoch zu teuer blieb, scheiterte die Markteinführung und somit auch die Kooperation mit Freifunk. „Es hat sich eine Synergie ergeben zwischen den Firmen und uns, aber das hat zu keiner Abhängigkeit geführt. Das Netz hätte sich wahrscheinlich langsamer entwickelt, wenn wir dieses Sponsoring nicht bekommen hätten, und wir wären nicht in kurzer Zeit so weit gekommen“, erklärt die Berliner Netzaktivistin Elektra.

In beiden Fällen war die Unabhängigkeit des Netzes weitgehend gesichert: Die Verbindlichkeiten von Djurslands.net gegenüber der EU endeten mit der Abrechnung der Subventionen und die Mesh-Cubes von Freifunk.net können jederzeit durch billigere Hardware ersetzt werden. Durch die Größe der Community befinden sich Freie Netze zudem in einer gestärkten Ver­hand­lungsposition etwa gegenüber ISPs oder Hardwareunternehmen, was für klar abgegrenzte Agreements von großem Vorteil sein kann. Nichtsdesto­trotz ist ein Mindestmaß an Vorsicht angebracht wie Armin Medosch, Autor des Buches Freie Netze – Free Networks betont: „Ich glaube nicht, dass Busi­ness intrinsisch böse ist, aber man lässt sich auf etwas ein, das sich plötzlich als Sackgasse herausstellt und dann muss man sehen, wie man möglichst schlau agiert. Das ist ein sehr, sehr schwieriges Terrain und es gibt dort die verschiedensten Fallgruben.“

Mit Blick nach vorne
In den wenigen Jahren, in denen die Free-Networks-Bewegung nun aktiv ist, ist die technologische Entwicklung extrem schnell voran geschritten, was zu deutlich mehr Stabilität und geringeren Zutrittsbarrieren für technisch weniger versierte User geführt hat. Damit besteht nun das Potenzial für eine Erweiterung um einige neue, nicht-technische Aspekte, was sich einerseits bereits jetzt durch großes Engagement der Community im Bereich der Entwicklungshilfe abzeichnet und andererseits durch spezifische lokale Anwendungen und Inhalte (Local Content), die innerhalb der Netze angebo­ten werden, noch gestärkt werden kann. Beispiele für eine derartige Nut­zung der freien Kommunikations-Infrastruktur sind etwa Medien mit spezifisch lokaler Ausrichtung wie Netzradios, Netzines oder auch HIVE Net­works, an denen aktuell vor allem in den Londoner Communities gearbeitet wird.

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