Den Linzer Superlativ gibt es überall
In „Trivial Europe“ bewegt man sich in nächtlichen Spaziergängen durch Thessaloniki, Novi Sad, Linz, Essen und Liverpool. Ist diese Auswahl zufällig getroffen worden oder hat dies einen Hintergrund in der laufenden Arbeit der Fabrikanten?
Das hat schon einen Hintergund. Wir haben Städte zweiter oder dritter Ordnung ausgewählt. Nicht die Metropolen, sondern Städte mit industrieller Prägung, die in irgendeiner Form mit Linz vergleichbar sind. Städte an denen man eher vorbeifährt, denn mit solchen kennen wir uns ja aus. Von solchen Städten lässt man sich dann vielleicht auch nicht so leicht verführen, ihnen kann man auf den Grund gehen und sie geben auch eine gute Vergleichsbasis ab. Der zweite Grund für die Auswahl war, dass Gerald Harringer (Co-Regisseur und -Produzent, Anm.) immer gerne Geraden auf Landkarten zieht und die fünf Städte liegen ja ziemlich genau auf einer Linie quer durch Europa.
Ihr habt Leute aus dem Kreativbereich, Architekten, Künstler, Regisseure gewonnen, euch durch ihre Stadt zu führen. Waren das bestehende Kontakte, die ihr schon hattet oder habt ihr für das Projekt gezielt nach neuen Menschen gesucht?
Wir haben für das Projekt schon gezielt neue Kontakte gesucht. Wir haben zwar in den jeweiligen Städten schon Leute gekannt, aber die eben gebeten, uns jemanden weiterzuvermitteln, damit wir auch ein bisschen über den eigenen Dunstkreis hinauskommen. Es war uns sehr recht, Menschen aus der Kreativbranche zu haben, weil wir eben Plätze sehen wollten, auf die man nicht so leicht kommt, die auch den üblichen touristischen Klischees weniger entsprechen. Wiewohl es im Film dann doch viele Klischees gibt! Es war für uns selbst sehr überraschend, dass neben den Plätzen, die in jeder Stadt sein könnten, auch solche dabei waren, wo wir uns gedacht haben: „Das ist ja typisch“. Wobei, wir haben das Ganze ja auch in Linz ausprobiert und hier einen Rollentausch gemacht. Wir waren die Gastgeber und haben Leute aus den baltischen Ländern durch unsere Stadt geführt. Da ist man dann schon versucht, die Postkartenklischees und -sujets, die es eigentlich gar nicht gibt, trotzdem zu finden. Man möchte einfach von der Stadt, auf die man doch irgendwie stolz ist, ob zu Recht oder zu Unrecht, etwas herzeigen, das irgendwie doch super ist. Wenn wir im angewandten Bereich arbeiten und dabei auch manchmal repräsentative Sachen machen sollen, spreche ich gerne vom „Linzer Superlativ“. Wir haben die steilste Adhäsionsbahn und den größten Hauptplatz, usw. Ich finde das ist ja ein total provinzielles Phänomen, dass man sich da mega-sampelt, um das Gefühl zu haben, man ist wer. Und das war dann auch in allen Städten so; dieses Phänomen, Anstrengungen zu unternehmen um groß zu sein, gibt es überall.
Dennoch hat man das Gefühl, dass die Personen im Film sehr stark ihre eigenen Bewegungsradien zeigen. Man wird an viele persönliche Erinnerungsorte geführt und Plätze für bestimmte Communities spielen auch eine Rolle. Auffällig ist, dass dies sehr oft Plätze sind, die nicht mehr da sind oder sich verändert haben.
Absolut. Ein Ansatz war es, dem Phänomen Europa näher zu kommen. Das beschäftigt uns ja schon länger, da gibt es auch andere Projekte dazu. Die Aufgabenstellung war, nicht nur seine eigene Stadt, sondern seine eigene Stadt mit den persönlichen Bezugspunkten und den zugehörigen Geschichten zu zeigen. Wir erfahren im Film sehr viel über Plätze, die man gar nicht sieht, weil es dunkel ist – und dadurch sehr viel über die Personen, die hier leben. Das ist ja auch ein ganz wesentlicher Bestandteil von dem, was Europa auch immer sein mag. Die Stadt, das Lebensgefühl, die Leute und wie sie sich in der Stadt bewegen, das hat uns einfach interessiert. Inklusive all der Leerstellen.
Wieviel Zeit habt ihr mit den einzelnen Leuten verbracht, die als Guides fungiert haben? Wieviel Material habt ihr tatsächlich gedreht, im Verhältnis zu dem, was im Film zu sehen ist?
Es gab im Vorfeld mit den einzelnen Leuten einen sehr intensiven Emailverkehr, bis wir beschlossen haben, etwas gemeinsam zu machen. Die „Versuchsanordnung“ war dabei immer die gleiche. Meistens gab es einen ersten Termin, an dem wir uns in ihrer Stadt getroffen und mit ihnen über das Projekt gesprochen haben. Dann sind wir wiedergekommen, zu einem Treffen mit den verschiedenen Gastgebern einer Stadt, die sich zuvor meist nicht gekannt haben, und zum Dreh. Oft wurde befürchtet, dass jemand einen Ort herzeigen könnte, den man selber vorstellen wollte. Das war aber kein Problem, vielmehr ist es so zu charmanten Überschneidungen gekommen, wenn ein Ort zweimal vorgestellt wurde. Wir sind jedenfalls immer zu viert angereist, haben vier Gastgeber getroffen, und dann waren wir in Zweiergruppen eine Nacht lang unterwegs. Am Ende hatten wir 40 Stunden Material aus dem eine Stunde Film geworden ist. Aber wir haben das nie als reines Filmprojekt gesehen, sondern als Annäherung an Europa. Wäre es ein reines Filmprojekt gewesen, würde es bestimmte Stellen so nicht geben. Wir sind etwa oft durch dunkle Gassen gegangen, den Gastgebern mit der Kamera hinterher, die hatten das Licht und man selbst versuchte, möglichst nicht zu stolpern und die Kamera gerade zu halten. Das würde man im Normalfall viel besser ausleuchten und auch mehr Leute dabeihaben. Es ist uns aber mehr um die Intimität des Zweierteams gegangen. Wir haben uns zum Beispiel auch die Regel auferlegt, dass alle Kameras auf Autofokus bleiben, damit man nicht ständig mit dem Scharfstellen beschäftigt ist, sondern sich auf das Gespräch mit seinem Gegenüber konzentrieren kann. Es gab einfach ein paar Regeln, damit es in der kurzen und komprimierten Zeit funktionieren konnte.
Ist die, plakativ gesprochen, Instrumentalisierung der Nacht im Film auch ein Mittel zum Zweck gewesen, um das Architektonische der Städte auszublenden?
Ja. Vor allem genau diese Skylines oder Hauptplatzpanoramen und sonstiges. Wenn die uns wer zeigen will, so haben wir uns gedacht, steht der dann vor dem Dunkel, man sieht seine Stirnlampe und er kann nur darüber reden. Das ist ein einfaches stilistisches Mittel gewesen, um nicht den schönen Sehenswürdigkeiten aufzusitzen.
Hätte es auch andere Elemente des Films gegeben, die bei Tag so nicht funktioniert hätten?
Sicher, ganz viele. Weil diese Dunkelheit eben auch ganz viel Intimität schafft. Es zeigt sich eine andere Geschwindigkeit in der Nacht, es ist auch ein anderes Getriebe in der Stadt, und man ist in der Dunkelheit mehr auf sich selbst zurück geworfen. Sicher gibt es jetzt Leute, die die Stirnlampen im Film aufdringlich finden, aber wir haben eben Licht gebraucht. Erstens weiß man so beim Blick durch die Kamera immer, wo der andere ist, und zweitens geht das Licht auch in die Blickrichtung der Leute mit, wenn sie etwas erklären.
Bei den Linzer Sequenzen fällt auf, dass vor allem beleuchtete Orte aufgesucht wurden, wie die Eisenbahnbrücke oder das Lentos. Und dann sagt der hiesige Guide Florian Sedmak auch noch, dass das meiste in Linz bei Nacht schöner sei.
Ich denke, dass dies mittlerweile selbst die Stadtväter so sehen und immer mehr Gebäude in der Nacht beleuchtet werden. Dafür ist eine gewisse Marketingmaschinerie verantwortlich, die immer einen schöneren Schein sucht, als es tatsächlich der Fall ist, und dieser Schein ist in der Nacht, mit all dem Licht dann auch gegeben!
„Trivial Europe“ und die Botschaft Europa
Mit „Trivial Europe“ gelingt den Fabrikanten ein intimer Blick in eine Handvoll mittlerer Industriestädte und zugleich ein Soziogramm, das städtische Veränderungen und deren Auswirkungen auf das urbane Leben skizziert. Seien es die gesprengten Hochhäuser am Harter Plateau oder die zerbombte und wiedererrichtete Brücke von Novi Sad, Neues muss erst wieder in den Körper der Stadt einverleibt werden. Der Film schafft mit der Unmittelbarkeit der Kamera und einem minimalen Lichteinsatz eine ungezwungene Nähe zu Menschen und Orten. Die simple filmische Umsetzung der nächtlichen Rundgänge funktioniert, nicht zuletzt weil beim Schnitt schöne Zusammenhänge und Querverweise entstanden sind. Eine sture Aneinanderreihung von Stadtepisoden hat man wohlweislich vermieden und die 60 Minuten lieber thematisch verknüpft. So gelangt man vom Vereinslogo von Rot-Weiß-Essen nahtlos zum Bolzplatz in Liverpool, vom Glockengeläut der dortigen Kathedrale zum orthodoxen Seelenhirten in Novi Sad. Und damit quer durch ein Europa abseits der bekannten Pfade. Ebendiese verlassen auch die anderen beiden Teile der Triologie „Botschaft Europa“: Die eigene Stadt wurde in Buchform („Botschaft Linz“) verortet, mit Fotos und Texten zu ausgewählten Lieblingsplätzen der Locals. Das zuletzt gestartete Online-Projekt „Blind Spot“ hingegen versammelt Kurzfilme, in denen blinde BewohnerInnen europäischer Städte VideokünstlerInnen durch ihre Stadt führen.
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