Es lebe die globale Angst!
Zunächst eine Beschreibung der Installation in vier Räumen: Man betritt die Kellerräume und steht in einem dichten, vertrockneten Maisfeld, das mit grellgelben Licht bestrahlt ist. Auf das Szenario ist eine Überwachungskamera gerichtet, die sich ein paar Meter weiter sogleich als Fake erweist: Auf dem s/w-Monitor läuft punktuell ein schwarzer oder weißer Hund durch das Maisfeld – Hunde, die real nicht vorhanden sind. Im nächsten Raum löst ein Sensor ein Wassertröpfeln von der Decke aus, das unter einem dunkel bleibenden Luster eine Pfütze bildet. Der Blick richtet sich auf einen auseinandergeschnittenen Wohnwagen: Alles ist weiß überlagert, es bildet sich beständig Schaum im Wasserbecken, es sind zahlreiche Details zu sehen, wie Schalter, Eieruhr, Heizung, Wandschränke und -haken. Licht strahlt aus Kästen und von hinten in den Wohnwagen wieder nach außen: Sich bewegende Autoscheinwerfer spiegeln sich im Wasser, werfen Schatten nach vorne. Ein Kiesweg führt beim Weitergehen in den nächsten Raum unter ein Vorgartendach, das durch ein Gebläse leicht bewegt wird. Es knistert. Eine Nische eröffnet sich, mit aufgelegtem Anzug, Krawatte, Wäsche, Schuhe. Davor zwei kleine Schutthaufen. Realer Rauch kommt aus der Halsöffnung des Anzugs und verdunkelt die Filmprojektion von Sonne und Wolken dahinter, es entsteht eine Art Verdoppelungseffekt. Im letzten Raum steht ein massiger Baumstamm in der Mitte, mit Sicherungskasten und kleinen LCD-Bildschirmen, die verkürzte Schriftbotschaften aus Erkenntnisphilosophie vs. Psychoanalyse zeigen. Wieder Kies rundherum, schwarzes Fell liegt auf kabelartigem Dichtungsmaterial davor. In einer Art Hundehütte mit gelblich leuchtender Kautschukblase führen zwei Leuchtschienen. Gegenüber ist ein Brunnen mit dunklem Wasser und mit knapp darüber hängender Glühbirne. Im Rost des Brunnenrandes ist „Knee down“ als Aufforderung zu lesen, den Ort des Niederkniens bildet ein weißes Fell davor. Das Wasser wird in Intervallen vibriert, ein Gerät brummt laut dazu. Diverse Schatten des Brunnenrandes und von in die Wand geschlagenen Nägeln sind im düsteren Raum zu sehen. Durch eine halboffene Tür könnte es wieder in den ersten Raum ins gelbe Maisfeld gehen, die Tür ist allerdings mit einer roten Kordel verhängt.
Eine erste Annäherung an „Das Goldene: Fliess“ assoziiert übervolle Räume und Ambivalenzen. Formal tun sich diese zuerst in einer Anzahl von Polaritäten und Dichotomien auf – beispielhaft seien hier die Farbmarkierungen schwarz/weiß erwähnt oder Raumachsen, die sich durch ein oben und unten von Wasserquellen ergeben; ein Baumstamm wächst beiderseits ins Gemäuer. Eine Überwachungskamera erweist sich als Täuschung und gibt zwei Hunde vor, die im letzten Raum nur mehr als abgezogene Felle oder als restliche „Biomasse“ in einer Hundehütte zu erahnen sind. Zwischen den Räumen stellt sich eine allgemeine Orientierungslosigkeit ein, eine verbindende Anwesenheit des Abwesenden: Die Räume werden durch Geräuschkulissen und Lichtstimmungen zusammengehalten; oder durch eine „nicht anwesende Präsenz“ von etwas, das Michael Petri im Interview als Nebel und Erinnerung bezeichnet. Angesprochen auf die durchaus humoresken Einschübe der vorhandene Raumelemente wie Kamera oder Sicherungskasten im Baum antwortet Petri mit einer Arbeit als „Symbiose mit dem Raum, die durchaus eine Aufladung durch Ironie möglich macht“. Aber alles in allem: Etwas ist geschehen, weiß überdeckt wie eine Wohnwagenruine der Erinnerung, aggressives Gelblicht, das jede Farbe schluckt; alles scheint plötzlich verlassen, unversöhnlich zweigeteilt oder ekelhaft gleichgemacht.
Starten wir den Versuch, das Konstrukt in Kurzform zu umreißen. Petri: „In einem Satz ausgedrückt, geht es um die Angst einer Generation, die aus einer a-ideologischen Haltung und dem autobiographischen Erinnern bis hin zum Mythos des goldenen Fliess alles zusammenschließt“. Wobei der Mythos des goldenen Fliesses hier als Platzhalter dienen könnte, der, wenn man den autobiographischen Ansatz folgt, an Petris persönliche Erinnerung geknüpft ist: Er bekam die Geschichte von „Jason und den Argonauten“ als Kind von seinem Vater erzählt, in einem Wohnwagen auf dem Bauch des Vaters liegend, mit dem einen Ohr dem Bauchgrummeln lauschend, mit dem anderen der Geschichte. Also eine weiß überzogene, kindliche Erinnerungslandschaft, in deren Gegenwart für Petri immer wieder „Vorverdautes einfließt“. Als zentrales Schlagwort im Gespräch erweist sich der Begriff der Depression, die in der Installation als nicht unbedingt individuell zu lesende Orientierungslosigkeit interpretiert werden kann. „Steht man inmitten eines Maisfeldes, scheint es egal, welche Richtung man einschlägt. Es ist für mich ein Bild aus der Kindheit und andererseits geradezu eine Parabel für Depression“. Die Hunde, die Petri ins Feld geschickt hat, „können aufbrechen, weil sie im Jetzt gefangen sind“; eine positive Eigenschaft des Instinkts, die Menschen unter Umständen durch ihre geschichtliche Vorbelastung vorenthalten bleibt. Denn um den Mythos des goldenen Fliesses startet eine Geschichte von Begehrlichkeiten, die so beginnt: Die Erdenmutter will die beiden Kinder des Zeus verschlingen. Ein fliegender Ziegenbock trägt die Kinder hinfort, eines fällt aus der Höhe ins Wasser, das andere wird nach Aia gebracht, in den heutigen Kaukasus. Dort wird der Widder geopfert und sein Fell an einen Baum geschlagen. Für Petri ist das insofern interessant, als dass die Griechen als erstes Volk unserer Zivilisationsgeschichte in die Welt aufgebrochen sind und in einer Gegend gelandet sind, wo das Goldwaschen mit Fellen praktiziert worden ist. Und wenngleich auch dieser Zugang eklektisch anmuten mag, importiert dieses Bild ein Stück Globalisierungsgeschichte. Eine Wirtschaftsgeschichte, die in einer Hundehütte aus Export- und Obstkisten einen nur mehr ärmlichen und flüchtigen Verschlag für deformierte Individuen bildet; globale Krise inklusive.
Mit dem Brunnen taucht wieder das Depressionsbild auf: Das Spiegelbild auf einer Wasseroberfläche vermag durch das Vibrieren das eigene Spiegelbild nur mehr zerrissen zu zeigen. Gleichzeitig erweise sich durch eine quasi narzisstische Selbstbetrachtung die Depression als „Selbstverliebtheit in Schmerz“, wobei hier angefügt werden soll, dass eben der Verlust des Selbst den Schmerz ausmacht … eine paradoxe Schleife, aus der es schwerlich auszusteigen ist. Eine derartige paradoxe Geschlossenheit zeichnet sich auch durch den vermeintlichen Rundgang. Auf die Frage nach der Tür, die den letzten Raum Raum mit einer Kordel vom ersten trennt, sagt Petri, dass die Installation weder eine Linearität noch einen Zyklus darstellen soll. Vielmehr gehe es auch hier um Ambivalenzen der B-Seite oder des Rückwärtsganges.
Noch einmal die Stichwörter Fülle und Überlagerung. Es sei einerseits Glücksfall gewesen, diesen Raum fünf Monate zur Verfügung zu haben, um mit vielseitiger Hilfe diese Arbeit umsetzen zu können. Und sich prozesshaft an etwas annähern zu können, das sich als Kritik an Reduktion in der Kunst, an Globalisierung, und nicht zuletzt gegen das Blickregime des Films lesen lässt; das sich aus einem zunächst unbekannten subjektiven Inneren erst in vielen Details als eigene Erzählung in einer Umgebung stimmig herausarbeiten musste. Und das mit einer Markierung des vorhandenen Raums gearbeitet hat: Er habe „Sachen markiert, die vorher da gewesen sein könnten, aber nicht mehr da waren“. Überhaupt scheint es nicht nur um Dinge zu gehen, die konkret vorhanden sind, sondern um etwas subjektiv Empfundenes. Eine Frage, die auf ein Detail des Szenarios eingeht, soll dies verdeutlichen: Warum etwa der Schaum, der aus dem Abwaschbecken des Wohnwagens quillt? Auch hier zunächst eine Annäherung: Er habe versucht, mit Milch zu arbeiten, was wegen des schnellen Verderbens des Produkts nicht ins Bild gepasst habe. Dann sei er über Theoriefragmente von Peter Sloterdijk auf „Blasen“ gekommen, und damit auf einen „Schaum“, der sich durch die Verbindung von vielen kleineren Blasen vom marginalisierten „Abschaum“ über einen Paradigmenwechsel zu den vielseitigen „Blasen und Sphären“ gewandelt habe. Letztlich sei dies aber sein Zugang – der sich so lesen lasse. Für den Betrachter soll aber lediglich ein atmosphärisches Bildgeschehen erzeugt werden, das die Poesie des Ambivalenten sinnlich vergegenwärtigt.
Angesprochen auf den von ihm erwähnten selbsttherapeutischen Ansatz, ob diese Arbeit einen Versuch darstelle, „in etwas Kaputtem etwas wiederzufinden“, meint Petri, dass das Selbsttherapeutische darin läge, „etwas festzumachen, das einem das Leben verdunkelt“ und dass eine „Sonderstellung“ nicht durchs Erleiden, sondern durch den Ausdruck möglich ist. Vielleicht kann dies konkretisiert werden durch die Unterschiede, die Petri selbst in seinen beiden Fassungen ausgemacht hat: Bei der ersten Fassung habe er im Nebelraum noch eine Figur auf einem Sessel sitzen gehabt, die eine Konfrontation mit der Abwesenheit unmöglich gemacht hat, die auch den Betrachter ausgeschlossen hat. Er habe damit „den Teufel an die Wand gemalt, um sich selbst aus der Arbeit herauszunehmen“. In der zweiten Fassung sieht es so aus: Man betritt ein Szenario, das einen ohne zu fragen zum Hauptakteur eines Filmes macht. Und auch wenn das alles albtraumhaft, surreal und posttraumatisch scheint … man streift an den raschelnden Maisstauden, hört die Realität der Schritte auf dem Kiesboden – und ist mit Verschaltungen konfrontiert, deren Regelhaftigkeiten rätselhaft bleiben. Eigene Anwesenheit in der fremden Welt garantiert!
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