Es lebe die globale Angst!

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Michael Petri hat in einem 5monatigen Prozess die Abschlussarbeit seines Studiums der audio-visu­ellen Gestaltung entwickelt. Im Keller des ehemaligen Finanzamtsgebäudes zeigte er im No­vem­­ber im Rahmen von bestOff die Überarbeitung seiner ersten Version von „das Goldene: Fliess“: Als Symbiose mit vorhandenen Raumelementen wurde ein rätselhafter Erlebnisraum der Depression und Fülle gestaltet.

Zunächst eine Beschreibung der Installation in vier Räumen: Man be­tritt die Kellerräume und steht in einem dichten, vertrockneten Maisfeld, das mit grell­gelben Licht bestrahlt ist. Auf das Szenario ist eine Überwachungs­ka­mera ge­­richtet, die sich ein paar Meter weiter sogleich als Fake erweist: Auf dem s/w-Monitor läuft punktuell ein schwarzer oder weißer Hund durch das Mais­feld – Hunde, die real nicht vorhanden sind. Im nächsten Raum löst ein Sen­sor ein Wassertröpfeln von der Decke aus, das unter einem dunkel bleiben­den Luster eine Pfütze bildet. Der Blick richtet sich auf einen ausei­nan­der­ge­schnittenen Wohnwagen: Alles ist weiß überlagert, es bildet sich be­ständig Schaum im Wasserbecken, es sind zahlreiche De­tails zu sehen, wie Schalter, Eieruhr, Heizung, Wandschränke und -haken. Licht strahlt aus Käs­ten und von hinten in den Wohnwagen wieder nach au­ßen: Sich bewegende Auto­scheinwerfer spiegeln sich im Wasser, werfen Schat­ten nach vorne. Ein Kies­weg führt beim Weitergehen in den nächsten Raum unter ein Vor­gar­ten­dach, das durch ein Gebläse leicht bewegt wird. Es knistert. Eine Ni­sche er­öf­fnet sich, mit aufgelegtem Anzug, Krawatte, Wä­sche, Schuhe. Da­vor zwei kleine Schutthaufen. Realer Rauch kommt aus der Halsöffnung des An­zugs und verdunkelt die Filmprojektion von Sonne und Wolken dahinter, es entsteht eine Art Verdoppelungseffekt. Im letzten Raum steht ein massiger Baum­stamm in der Mitte, mit Sicherungskasten und kleinen LCD-Bild­schir­men, die verkürzte Schriftbotschaften aus Er­kennt­nisphilosophie vs. Psy­cho­ana­ly­se zeigen. Wieder Kies rundherum, schwar­zes Fell liegt auf kabelartigem Dich­tungsmaterial davor. In einer Art Hundehütte mit gelblich leuch­ten­der Kaut­schukblase führen zwei Leucht­schienen. Gegenüber ist ein Brun­nen mit dunk­lem Wasser und mit knapp darüber hängender Glühbirne. Im Rost des Brun­nenrandes ist „Knee down“ als Aufforderung zu lesen, den Ort des Nieder­kni­ens bildet ein weißes Fell davor. Das Wasser wird in Inter­val­len vibriert, ein Gerät brummt laut dazu. Diverse Schatten des Brun­nen­ran­des und von in die Wand geschlagenen Nä­geln sind im düsteren Raum zu se­hen. Durch eine halboffene Tür könnte es wieder in den ersten Raum ins gelbe Maisfeld gehen, die Tür ist allerdings mit einer roten Kordel verhängt.

Eine erste Annäherung an „Das Goldene: Fliess“ assoziiert übervolle Räume und Ambivalenzen. Formal tun sich diese zuerst in einer Anzahl von Po­la­ri­täten und Dichotomien auf – beispielhaft seien hier die Farbmarkierungen schwarz/weiß er­wähnt oder Raumachsen, die sich durch ein oben und un­ten von Was­ser­quel­len er­geben; ein Baumstamm wächst beiderseits ins Ge­mäuer. Eine Über­wa­chungs­kamera erweist sich als Täuschung und gibt zwei Hun­de vor, die im letzten Raum nur mehr als abgezogene Felle oder als restliche „Bio­­mas­se“ in einer Hundehütte zu erahnen sind. Zwischen den Räumen stellt sich eine allgemeine Orientierungslosigkeit ein, eine verbindende An­wesen­heit des Ab­we­sen­den: Die Räume werden durch Geräuschkulissen und Licht­­stimmungen zu­sammengehalten; oder durch eine „nicht anwesende Prä­senz“ von etwas, das Michael Petri im Interview als Nebel und Erinnerung be­zeich­net. Angesprochen auf die durchaus humoresken Einschübe der vorhandene Raumelemente wie Kamera oder Siche­rungs­kasten im Baum ant­wor­tet Petri mit einer Arbeit als „Symbiose mit dem Raum, die durchaus eine Aufladung durch Ironie möglich macht“. Aber alles in allem: Etwas ist geschehen, weiß überdeckt wie eine Wohn­wa­genruine der Erinnerung, ag­gres­sives Gelb­licht, das jede Farbe schluckt; al­les scheint plötzlich verlassen, unversöhnlich zwei­geteilt oder ekelhaft gleich­gemacht.

Starten wir den Versuch, das Konstrukt in Kurzform zu umreißen. Petri: „In einem Satz ausgedrückt, geht es um die Angst einer Generation, die aus einer a-ideologischen Haltung und dem autobiographischen Erinnern bis hin zum My­thos des goldenen Fliess alles zusammenschließt“. Wobei der My­thos des goldenen Fliesses hier als Platzhalter dienen könnte, der, wenn man den au­to­bio­graphischen Ansatz folgt, an Petris persönliche Er­in­ne­rung ge­knüpft ist: Er bekam die Geschichte von „Jason und den Ar­go­nau­ten“ als Kind von seinem Vater erzählt, in einem Wohnwagen auf dem Bauch des Vaters liegend, mit dem einen Ohr dem Bauchgrummeln lauschend, mit dem an­de­ren der Ge­schich­te. Also eine weiß überzogene, kind­liche Erinne­rungs­land­schaft, in de­ren Gegenwart für Petri immer wieder „Vor­verdautes einfließt“. Als zen­trales Schlagwort im Gespräch erweist sich der Begriff der Depression, die in der Ins­tallation als nicht unbedingt in­dividuell zu lesende Orien­tierungs­lo­sig­keit interpretiert werden kann. „Steht man inmitten eines Maisfeldes, scheint es egal, welche Richtung man ein­schlägt. Es ist für mich ein Bild aus der Kind­heit und andererseits gerade­zu eine Parabel für Depression“. Die Hunde, die Petri ins Feld geschickt hat, „können aufbrechen, weil sie im Jetzt gefangen sind“; eine positive Eigen­schaft des Instinkts, die Menschen unter Um­stän­den durch ihre geschichtliche Vor­belastung vorenthalten bleibt. Denn um den My­thos des goldenen Fliesses startet eine Geschichte von Begehr­lich­keiten, die so beginnt: Die Er­­den­mut­ter will die beiden Kinder des Zeus verschlingen. Ein fliegender Zie­­genbock trägt die Kinder hinfort, eines fällt aus der Höhe ins Wasser, das an­dere wird nach Aia gebracht, in den heutigen Kaukasus. Dort wird der Widder geopfert und sein Fell an einen Baum geschlagen. Für Petri ist das insofern interessant, als dass die Griechen als erstes Volk unserer Zi­vi­­lisa­ti­onsgeschichte in die Welt aufgebrochen sind und in einer Gegend ge­lan­det sind, wo das Gold­waschen mit Fellen praktiziert wor­den ist. Und wenn­­gleich auch dieser Zu­gang eklektisch anmuten mag, importiert dieses Bild ein Stück Globalisierungsgeschichte. Eine Wirtschaftsgeschichte,  die in einer Hun­­dehütte aus Export- und Obstkisten einen nur mehr ärmlichen und flüchtigen Verschlag für deformierte Individuen bildet; globale Krise inklusive.  

Mit dem Brunnen taucht wieder das Depressions­bild auf: Das Spiegelbild auf einer Wasserober­flä­che vermag durch das Vibrieren das eigene Spie­gel­bild nur mehr zerrissen zu zeigen. Gleichzeitig erweise sich durch eine quasi narzisstische Selbst­betrachtung die Depression als „Selbstverliebt­heit in Schmerz“, wobei hier angefügt werden soll, dass eben der Verlust des Selbst den Schmerz ausmacht … eine paradoxe Schleife, aus der es schwerlich aus­zusteigen ist. Eine derartige paradoxe Ge­schlos­­senheit zeichnet sich auch durch den vermeintli­chen Rundgang. Auf die Frage nach der Tür, die den letzten Raum Raum mit einer Kordel vom ers­ten trennt, sagt Petri, dass die Ins­tal­lation weder eine Linearität noch einen Zy­klus dar­stellen soll. Vielmehr gehe es auch hier um Ambi­va­lenzen der B-Seite oder des Rück­wärts­ganges.
 
Noch einmal die Stichwörter Fülle und Überlagerung. Es sei einerseits Glücksfall gewesen, diesen Raum fünf Monate zur Verfügung zu ha­ben, um mit vielseitiger Hilfe diese Arbeit umsetzen zu kön­nen. Und sich prozesshaft an etwas annähern zu können, das sich als Kritik an Reduktion in der Kunst, an Globalisierung, und nicht zuletzt gegen das Blickregime des Films lesen lässt; das sich aus einem zunächst unbekannten subjektiven In­ne­ren erst in vielen Details als eigene Erzäh­lung in einer Umgebung stimmig herausarbeiten musste. Und das mit einer Markierung des vorhandenen Raums gearbeitet hat: Er habe „Sachen markiert, die vorher da gewesen sein könnten, aber nicht mehr da waren“. Überhaupt scheint es nicht nur um Dinge zu gehen, die konkret vorhanden sind, sondern um etwas subjektiv Empfundenes. Eine Frage, die auf ein Detail des Szenarios eingeht, soll dies verdeutlichen: Warum etwa der Schaum, der aus dem Abwaschbecken des Wohnwagens quillt? Auch hier zunächst eine Annäherung: Er ha­be versucht, mit Milch zu arbeiten, was wegen des schnellen Ver­derbens des Produkts nicht ins Bild gepasst ha­­be. Dann sei er über Theoriefragmente von Peter Sloterdijk auf „Blasen“ gekommen, und damit auf einen „Schaum“, der sich durch die Ver­bindung von vielen kleineren Blasen vom margi­na­lisierten „Abschaum“ über einen Paradig­men­we­ch­sel zu den vielseitigen „Blasen und Sphä­ren“ ge­wandelt ha­be. Letztlich sei dies aber sein Zugang – der sich so lesen lasse. Für den Be­trachter soll aber lediglich ein atmosphärisches Bildge­sche­hen er­zeugt wer­den, das die Poesie des Ambiva­len­ten sinnlich vergegenwärtigt.

Angesprochen auf den von ihm erwähnten selbsttherapeutischen Ansatz, ob diese Arbeit einen Ver­such darstelle, „in etwas Kaputtem etwas wiederzu­finden“, meint Petri, dass das Selbstthera­peuti­sche darin läge, „etwas festzumachen, das einem das Le­ben verdunkelt“ und dass eine „Sonderstellung“ nicht durchs Erleiden, sondern durch den Aus­druck möglich ist. Vielleicht kann dies konkretisiert wer­den durch die Unterschiede, die Petri selbst in sei­nen beiden Fassungen ausgemacht hat: Bei der ers­ten Fassung habe er im Nebelraum noch eine Fi­gur auf einem Sessel sitzen gehabt, die eine Kon­frontation mit der Abwesenheit unmöglich ge­macht hat, die auch den Betrachter ausgeschlossen hat. Er habe damit „den Teufel an die Wand gemalt, um sich selbst aus der Arbeit herauszunehmen“. In der zweiten Fassung sieht es so aus: Man betritt ein Sze­nario, das einen ohne zu fragen zum Haupt­ak­teur eines Filmes macht. Und auch wenn das al­les albtraumhaft, surreal und posttraumatisch scheint … man streift an den raschelnden Mais­stauden, hört die Realität der Schritte auf dem Kiesboden – und ist mit Verschaltungen konfrontiert, deren Regel­haftig­kei­ten rätselhaft bleiben. Eigene An­we­­senheit in der fremden Welt garantiert!

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12/09
FotoautorInnen: 
Michael Petri

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