Assoziiertes Theater
„Die Nibelungen ziehen durch den kulturhauptstädtischen Ort / Und finden von September bis November im Theater Phönix ihren Hort. / Ein großes Spektakel um Liebe, Rache und Krieg / Um Intrigen, Betrug und rücksichtslose Politik.“ Immer ausverkaufte Inszenierung von „Die Nibelungen“ nach Hebbel; bearbeitet von Volker Schmidt, der auch Regie führte. Schauspiel, Turnen und Komik. Das Kräftemessen des ersten Aufzugs spielte in einer Turnhalle, Bodenmatten, Barren, Ringe – Stückpathos trifft auf SchauturnerInnenqualitäten. König Gunther, Hagen Tronje, Volker und Giselher messen ihre Kräfte mit Sigfried. Weil der starke Siegfried gewinnt, darf er König Gunther bei seinen hinterlistigen Machenschaften helfen, um die „letzte Riesin“ Brunhild als seine Frau zu unterwerfen. Dafür bekommt Sigfried Gunthers Schwester Kriemhild. Im zweiten Aufzug wird auf dem Hof Etzels, quasi im Ambiente eines Russenmafia-Jetsets, die mittlerweile völlig zerrüttete Familie der Burgunder niedergemetzelt. Sex. Der Akt von Kriemhild und Sigfried an dicker Bodenmatte und Ringen war eine der lustigsten, dramatischsten und unangenehmsten Sexszenen ever seen - zumal zuvor der immerschwache König Gunther seine zur Ehe überlistete Gattin nicht alleine sexuell bewältigen konnte: Siegfried musste seine Tarnkappe aufsetzen und mit Gunther die Gattin vergewaltigen. Und seine eigene betrügen. Zusammen mit der äußeren Kriegsandrohung und diversen Machtproblemen ziemlich viel Unruhepotential. Opferung. Zuerst geopfert wurde durch übermenschliche List Brunhild, ihr wurde alles genommen, zumal sie selbst Siegfried wollte. Der wurde allerdings auch zur Seite geschafft. Er wurde nach einem lange verhandelten Konflikt ermordet, wohingegen Brunhild in der Inszenierung einfach irgendwie verschwunden ist – einzige Schwäche in der brillanten und äußerst kurzweiligen Inszenierung. Überhaupt sind die Frauenfiguren in diesem ausgemacht korrupten Spiel die Unruhestifterinnen, d.h. sie haben zwar nicht wirklich was zu sagen, können sich mit den Unwahrheiten aber am wenigsten arrangieren. Leben und Sterben als Komödie.
Kristian Smeds „Mental Finland“, das im Oktober in der Hafenhalle Linz09 gezeigt wurde, verwandelte die Zukunftsvisionen der europäischen Union in ein multidisziplinäres Bühnenerlebnis. Als solches, und als ein in Jahr 2069 spielender Konflikt zwischen Okkupation des Großen über das Kleine, des Genormten über das Individuelle, des Globalen gegen das Regionale, stellte das Stück eines der Highlights des Theaterjahres dar. Tanz und Schauspiel. Allerdings war das Thema „EU“ vielleicht nur Platzhalter für etwas anderes, das formal in allen Belangen gegensätzlicher nicht sein konnte und doch zusammengebracht wurde: Feinster zeitgenössischer Tanz und karikierter Performancetrash, das Benutzen der „bürgerlichen“ Theaterbühne und das Aufmucken dagegen mit Finnland-Metal und Live-Band. Oder Videoschaltungen, die ganze Passagen lang mit dem poetischen Bild eines geschlossenen Wohnwagens zusammengebracht wurden, aus dem praktisch die Handlung lediglich berichtet wurde – im behäbigen Selbstbewusstsein derer, die drinnen sind. Komik. Das Stück beginnt mit comichaft inszenierten Straßenschlachten, geht über eine Parodie der Langweiligkeit der Leningradcowboys zu etwas noch Langweiligerem (aber in ungleich durchgeknallteren Kostümen), was fast wieder als Dekonstruktion des bürgerlichen Theater bezeichnet werden könnte, bis hin zum dreckigen Spaß von finnischen Hillbillys: Saufen, ficken, kotzen – und dann alles wieder von vorne. Sex. Die Finnen, „die der Macht der Regierenden widerstehen“, leben als „wahrhaft seltsame Nation in einem Frachtcontainer, einem Mikro-Universum, das alles beinhaltet, was echte Finnen brauchen: Von der Karaoke-Ausrüstung bis zur Sauna.“ Allerdings erwiesen sich diese Finnen auf ihrer „Reise zum Kern kultureller Missverständnisse, Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen den europäischen Völkern“ auch nicht als Waisenknaben oder Heilige. Vielmehr schlagen sie zurück, stehen in sozialer Interaktion mit Fremden, benutzen Menschen und Dinge oder sind schlichtweg Produkte ihrer eigenen Familie, in der am Ende ein brutaler sexueller Missbrauch abgerechnet wird. Kreuzigung. Der begonnene Kampf und die Sehnsucht nach einem besseren Leben, beschädigtes Zusammenleben, Enttäuschung und Zorn erbrechen in eine Kreuzigung. Ausweglosigkeit an allen Ecken und Enden.
In „Der gute Mann von Sezuan“ geht es um die Frage, ob ein guter Mensch in einer schlechten Welt überleben kann – Brecht lässt nicht nur grüßen. Bewegung und Schauspiel. Recht ansprechend wurde die Landestheater und Linz09-Inszenierung durch das Engagement des aus Singapur stammenden Regisseur Ong Keng Sen. Er hat ein internationales Team zusammen gestellt – vor allem mit der Kostümbildnerin Mitsui Yanaihara aus Tokio und den SpezialistInnen der singapurianischen Operntruppen wurde Farbe ins alte Brechtspiel gebracht – als hinreißend verspielte Kostümierung, und als faszinierende Bewegungssprache, die von traditionellen chinesischen Opernformen bis zu stilisierten Kampfchoreographien reichten, die zum Teil mit SchauspielerInnen vom Landestheater einstudiert wurden. Sex und Komik. Wenngleich die Inszenierung nicht unbedingt auf der Höhe der wissenschaftlichen Brecht-Forschung angelangt war, hatte der Austausch der männlichen und weiblichen Hauptrolle eine gewisse Komik: Der Wasserträger wurde von einer Frau gespielt, die Prostituierte von einem Mann namens Karl Sibelius (siehe dazu auch oberer Block). Allerdings wurde diese andere, geschlechtliche Sicht der Dinge auf Wert, Würde und menschliches Tun in der Kreuzigungsszene am Ende unfreiwillig komisch: Die weibliche Figur wurde als guter Mensch ans Kreuz genagelt – im Darstellungsstil weniger brechtianisch als musicalhaft zwischen Rocky Horror Picture Show und Jesus Christ Superstar angesiedelt. Eigentlich hätte die Frau am Kreuz im immer noch katholischen Oberösterreich – eine Provokation sein können, wurde aber hier wieder von einem Mann gespielt; und die Provokation war ein zwischen den Beinen weggeklemmter Penis … eine feine Sache eigentlich, wenn man’s recht bedenkt! Und auch gar nicht neu ist die Kreuzigung als Opferung eines guten Menschen: Schön, schaurig, leidend.
In der Spielstätte Eisenhand wird zurzeit ein Schwerpunkt von Beziehungsthemen gespielt, der die Abgründe der Liebe ausloten will – Verführung, Machtspiele und Abgeklärtheit inklusive. Zum Beispiel als erfreuliche Inszenierung der Gefährlichen Liebschaften in einer Fassung von Heiner Müller (Quartett) oder in einer popkulturell imprägnierten Sacher-Masoch Inszenierung (Venus im Pelz), die einen hervorragenden Soundtrack von Throbbing Gristle bis zur Krautrockband Neu! bietet. Allerdings fällt im Landestheater eine Häufung von Inszenierungsideen in Richtung Transgender und Transsexualität auf, die man den Karl Sibelius Effekt nennen könnte: Männer in High Heels in beinahe jeder Inszenierung! Grundsätzlich eine gute Sache, aber schon etwas zu überbedient.
Mit „Kepler“ ist das Landestheater sozusagen at it’s best. Wenngleich auch musikalisch Philip Glass’ Werk keine Neuerung an sich mehr darzustellen vermag, überzeugt die gesamte Inszenierung. In Keplers wissenschaftlichem Ringen wird sukzessive der Gottesbegriff mit der Schönheit der Geometrie verglichen; um nicht zu sagen: Das Wissen ringt dem Glauben Terrain ab. Zwischen Geometrie und fast verloren gegangener Sprachkunst schmilzt die unbarmherzige Sonne der Erkenntnis den Kampf der kleinen Individuen zusammen – der Zweifler, die sich noch unter einer Thermofolie verstecken. Eine Folie, die Schutz sein soll, aber bereits nach Gold glänzt.
Gold, Gold, Gold. Die Thermofolien aus Gold lassen Erinnerungen an die Eröffnung des Linz09-Festivals Theaterlust 2 im Sommer auferstehen. Die famose Tanzkompanie Ultima Vez brachte unter dem Titel „Nieuwzwart“, das „neue Schwarz“ nach Linz. Mit dieser Anlehnung an die Mode, die mit ihren Ausdrücken „Grau ist das neue Schwarz“, „Blau ist das neue Schwarz“, etc., die Fashion Victims auf der ganzen Welt narrt, wurde mit Wut und Würde auf die Moden der Populärkultur umgelegt: Mit unbändiger Kraft wurden die Beatpoeten der 60er, die psychedelische Ästhetik der 70er, eine dunkle Live-Musik der 80er und nicht zuletzt die Wut auf so manche Populärtanzstile der Iren zitiert. Die Tänzer unter Goldfolien stellten verschiedene Dinge dar: Aber Gold war hier immer das Monströse, das sich wandelnde Gebilde der Zeit, das gegen die Moden steht.
Die Linz09 Theaterprogrammierung. Man kann den Eindruck gewinnen, Linz09 hat sein Theaterprogramm zwischen den „ersten und letzten Dingen“ angesiedelt. Besser gesagt, ging es bei den „ersten Dingen“ um spannende Traditionen aus Indien oder Bali, die Schöpfungsmythen darstellten; als „letzte Dinge“ wurden neue Theaterformen vorgestellt, die unkonventionell und kreativ mit verschiedensten Bühnenformen experimentierten – siehe die hier angeführten Beispiele – aber auch viele andere Shows, die hier alle aufzuzählen nicht möglich ist. Enttäuschend allerdings die Annäherung an Lokales (und damit sind sicher nicht die durchwegs gelungenen Produktionen der teilnehmenden heimischen Gruppen bei Theaterlust 2 gemeint): Zum Beispiel Kubins „Die andere Seite“ blieb als „szenische Phantasie“ irgendwo stecken, wo, scheint es, von vorneherein gar keine Annäherung begriffen werden wollte oder konnte; siehe die Figuren von Roger Titley, die für das Stück quasi irrelevant waren.
„Die Nibelungen“, Foto: Christian Herzenberger
„Mental Finland“, Foto: Bart Grietens
„Mental Finland“, Foto: Bart Grietens
„Die andere Seite“, Foto: Nick Mangafas
„Venus im Pelz“, Foto: Christian Brachwitz
„Quartett“, Foto: Christian Brachwitz
„Der gute Mann von Sezuan“, Foto: Norbert Artner
„Der gute Mann von Sezuan“, Foto: Norbert Artner
„Nieuwzwart“, Foto: Pieter-Jan De Pue
„Kepler“, Foto: Norbert Artner
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