Assoziiertes Theater

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Bühnengeschehen von Oktober bis November; Theater von Phönix, Landestheater und Linz09. spotsZ hat den auf Heimaturlaub in Linz anwesenden freien Kulturschaffenden Andreas Berger gebeten, einen Blick auf die großen Bühnen der Linzer Theaterlandschaft zu werfen und frei zu assoziieren. Er hat sich als Form der Besprechung für eine Art Theater­matrix entschieden.

„Die Nibelungen ziehen durch den kulturhauptstädtischen Ort / Und finden von September bis November im Theater Phö­nix ihren Hort. / Ein großes Spektakel um Liebe, Rache und Krieg / Um Intrigen, Betrug und rücksichtslose Politik.“ Im­mer ausverkaufte Inszenierung von „Die Nibelungen“ nach Heb­bel; bearbeitet von Volker Schmidt, der auch Regie führte. Schau­spiel, Turnen und Komik. Das Kräftemessen des ers­ten Auf­zugs spielte in einer Turnhalle, Bodenmatten, Bar­ren, Ringe – Stückpathos trifft auf SchauturnerInnen­qua­litä­ten. König Gun­ther, Hagen Tronje, Volker und Giselher mes­­­sen ihre Kräfte mit Sigfried. Weil der starke Siegfried ge­winnt, darf er König Gunther bei seinen hinterlistigen Ma­chen­­schaf­ten helfen, um die „letzte Riesin“ Brunhild als seine Frau zu un­terwerfen. Da­für bekommt Sigfried Gunthers Schwes­ter Kriem­hild. Im zweiten Aufzug wird auf dem Hof Etzels, quasi im Ambiente eines Russenmafia-Jetsets, die mittlerweile völlig zerrüttete Familie der Burgunder niedergemetzelt. Sex. Der Akt von Kriemhild und Sigfried an dicker Bodenmatte und Ringen war eine der lus­tigsten, dramatischsten und unangenehmsten Sexszenen ever seen - zumal zuvor der immer­schwa­­che König Gunther seine zur Ehe überlistete Gattin nicht alleine sexuell bewältigen konnte: Siegfried musste sei­ne Tarn­­kappe aufsetzen und mit Gunther die Gattin vergewaltigen. Und seine eigene betrügen. Zusammen mit der äußeren Kriegs­­androhung und diversen Macht­problemen ziemlich viel Un­ru­he­potential. Opfe­rung. Zu­erst geopfert wurde durch übermenschliche List Brunhild, ihr wurde alles genommen, zumal sie selbst Siegfried wollte. Der wurde allerdings auch zur Sei­te geschafft. Er wurde nach einem lange verhandelten Kon­flikt ermordet, wohingegen Brun­hild in der Insze­nierung einfach irgendwie verschwunden ist – einzige Schwä­che in der brillanten und äußerst kurzweiligen Inszenierung. Überhaupt sind die Frauenfiguren in diesem ausgemacht korrupten Spiel die Unruhestifterinnen, d.h. sie haben zwar nicht wirklich was zu sagen, können sich mit den Unwahrheiten aber am wenigsten arrangieren. Leben und Ster­­ben als Ko­mö­die.

Kristian Smeds „Mental Finland“, das im Oktober in der Ha­fen­halle Linz09 gezeigt wurde, verwandelte die Zukunfts­vi­sio­nen der europäischen Union in ein multidisziplinäres Bühnen­er­leb­nis. Als solches, und als ein in Jahr 2069 spielender Kon­flikt zwi­­schen Okkupation des Großen über das Kleine, des Ge­norm­­ten über das Individuelle, des Globalen gegen das Re­gi­o­na­le, stell­te das Stück eines der Highlights des Theater­jah­res dar. Tanz und Schauspiel. Allerdings war das Thema „EU“ viel­leicht nur Platzhalter für etwas anderes, das formal in allen Be­langen gegensätzlicher nicht sein konnte und doch zu­sam­men­gebracht wurde: Feinster zeitgenössischer Tanz und kari­kier­ter Performancetrash, das Benutzen der „bürgerlichen“ The­a­ter­büh­ne und das Aufmucken dagegen mit Finnland-Me­tal und Live-Band. Oder Videoschaltungen, die ganze Passa­gen lang mit dem poetischen Bild eines geschlossenen Wohnwa­gens zu­sammengebracht wurden, aus dem praktisch die Hand­lung lediglich berichtet wurde – im behäbigen Selbstbe­wusst­sein de­rer, die drinnen sind. Komik. Das Stück beginnt mit co­mic­haft inszenierten Straßenschlachten, geht über eine Pa­ro­die der Langweiligkeit der Leningradcowboys zu etwas noch Lang­weiligerem (aber in ungleich durchgeknallteren Kostü­men), was fast wieder als Dekonstruktion des bürgerlichen Theater be­zeichnet werden könnte, bis hin zum dreckigen Spaß von finni­schen Hillbillys: Saufen, ficken, kotzen – und dann alles wieder von vorne. Sex. Die Finnen, „die der Macht der Re­gie­ren­den widerstehen“, leben als „wahrhaft seltsame Nation in einem Fracht­container, einem Mikro-Universum, das alles be­inhaltet, was echte Finnen brauchen: Von der Karaoke-Aus­rüs­tung bis zur Sauna.“ Allerdings erwiesen sich diese Finnen auf ihrer „Rei­­se zum Kern kultureller Missverständnisse, Differen­zen und Ähnlichkeiten zwischen den europäischen Völkern“ auch nicht als Waisenknaben oder Heilige. Vielmehr schlagen sie zu­rück, ste­hen in sozialer Interaktion mit Fremden, benutzen Men­­schen und Dinge oder sind schlichtweg Produkte ih­rer eigenen Fa­mi­lie, in der am Ende ein brutaler sexueller Miss­brauch abge­rech­­net wird. Kreuzigung. Der begonnene Kampf und die Sehn­sucht nach einem besseren Leben, be­schädigtes Zusam­men­le­ben, Enttäuschung und Zorn erbrechen in eine Kreuzigung. Aus­weglosigkeit an allen Ecken und Enden.

In „Der gute Mann von Sezuan“ geht es um die Frage, ob ein gu­ter Mensch in einer schlechten Welt überleben kann – Brecht lässt nicht nur grüßen. Bewegung und Schau­spiel. Recht ansprechend wurde die Landestheater und Linz09-Insze­nie­rung durch das Engagement des aus Singapur stammenden Re­­gis­seur Ong Keng Sen. Er hat ein internationales Team zu­sam­­men gestellt – vor allem mit der Kostümbildnerin Mitsui Yanai­hara aus Tokio und den SpezialistInnen der sin­ga­puria­ni­schen Opern­­truppen wurde Farbe ins alte Brechtspiel gebracht – als hin­rei­ßend verspielte Kostümierung, und als faszinierende Be­we­­gungs­sprache, die von traditionellen chinesischen Opern­for­men bis zu stilisierten Kampfchoreographien reichten, die zum Teil mit SchauspielerInnen vom Landestheater ein­studiert wurden. Sex und Komik. Wenngleich die Ins­ze­nie­rung nicht un­be­dingt auf der Höhe der wissenschaftlichen Brecht-Forschung angelangt war, hatte der Austausch der männ­lichen und weibli­chen Hauptrolle eine gewisse Komik: Der Was­serträger wur­de von einer Frau gespielt, die Pros­ti­tuierte von einem Mann na­mens Karl Sibelius (siehe dazu auch oberer Block). Allerdings wur­de diese andere, geschlechtliche Sicht der Dinge auf Wert, Würde und menschliches Tun in der Kreu­zigungsszene am En­de unfreiwillig komisch: Die weibliche Fi­gur wurde als guter Mensch ans Kreuz genagelt – im Dar­stel­lungsstil weniger brech­­tianisch als musicalhaft zwischen Rocky Horror Picture Show und Jesus Christ Superstar angesiedelt. Eigentlich hätte die Frau am Kreuz im immer noch katholischen Oberöster­reich – eine Provokation sein können, wurde aber hier wieder von einem Mann gespielt; und die Provokation war ein zwischen den Beinen weggeklemmter Penis … eine feine Sache eigentlich, wenn man’s recht bedenkt! Und auch gar nicht neu ist die Kreuzigung als Opferung eines guten Men­schen: Schön, schaurig, leidend.

In der Spielstätte Eisenhand wird zurzeit ein Schwerpunkt von Beziehungsthemen gespielt, der die Abgründe der Liebe aus­lo­ten will – Verführung, Machtspiele und Abgeklärtheit inklusive. Zum Beispiel als erfreuliche Inszenierung der Gefähr­li­chen Lieb­­schaften in einer Fassung von Heiner Müller (Quartett) oder in einer popkulturell imprägnierten Sacher-Masoch Ins­zenierung (Venus im Pelz), die einen hervorragenden Sound­track von Throb­bing Gristle bis zur Krautrockband Neu! bietet. Allerdings fällt im Landestheater eine Häufung von Inszenie­rungsideen in Richtung Transgender und Transsexualität auf, die man den Karl Sibelius Effekt nennen könnte: Männer in High Heels in bei­nahe jeder Inszenierung! Grundsätzlich eine gute Sache, aber schon etwas zu überbedient.

Mit „Kepler“ ist das Landestheater sozusagen at it’s best. Wenn­­­gleich auch musikalisch Philip Glass’ Werk keine Neu­e­rung an sich mehr darzustellen vermag, überzeugt die ge­sam­te Inszenierung. In Keplers wissenschaftlichem Ringen wird suk­zessive der Gottesbegriff mit der Schön­heit der Ge­o­me­trie verglichen; um nicht zu sagen: Das Wis­sen ringt dem Glau­­­ben Terrain ab. Zwischen Geometrie und fast verloren ge­­gan­gener Sprachkunst schmilzt die un­­barmherzige Son­ne der Er­kennt­nis den Kampf der kleinen Individuen zu­sammen – der Zweif­ler, die sich noch un­ter einer Thermo­folie verstecken. Eine Fo­lie, die Schutz sein soll, aber bereits nach Gold glänzt.

Gold, Gold, Gold. Die Thermofolien aus Gold lassen Erin­ne­run­­gen an die Eröffnung des Linz09-Festivals Theater­lust 2 im Sommer auferstehen. Die famose Tanzkompanie Ultima Vez brachte unter dem Titel „Nieuwzwart“, das „neue Schwarz“ nach Linz. Mit dieser Anlehnung an die Mode, die mit ihren Ausdrücken „Grau ist das neue Schwarz“, „Blau ist das neue Schwarz“, etc., die Fashion Victims auf der ganzen Welt narrt, wurde mit Wut und Wür­­de auf die Moden der Popu­lär­kultur umgelegt: Mit un­bändiger Kraft wurden die Beatpoeten der 60er, die psychedelische Ästhetik der 70er, eine dunkle Live-Musik der 80er und nicht zuletzt die Wut auf so manche Pop­ulär­tanz­stile der Iren zitiert. Die Tänzer unter Goldfolien stell­ten verschiedene Dinge dar: Aber Gold war hier immer das Monströse, das sich wandelnde Gebilde der Zeit, das ge­gen die Moden steht.

Die Linz09 Theaterprogrammierung. Man kann den Ein­­­druck gewinnen, Linz09 hat sein Theaterprogramm zwischen den „ersten und letzten Dingen“ angesiedelt. Bes­ser ge­­sagt, ging es bei den „ersten Dingen“ um spannende Tra­di­­ti­o­nen aus Indien oder Bali, die Schöpfungs­my­then darstell­­ten; als „letzte Dinge“ wurden neue Theater­formen vorgestellt, die un­­konventionell und kreativ mit ver­schiedensten Bühnen­for­men experimentierten – siehe die hier angeführten Bei­spie­le – aber auch viele andere Shows, die hier alle aufzuzäh­len nicht möglich ist. Ent­täu­schend allerdings die Annä­he­rung an Lo­ka­les (und damit sind sicher nicht die durchwegs gelungenen Pro­duktionen der teilnehmenden heimischen Grup­pen bei The­a­ter­lust 2 gemeint): Zum Bei­spiel Kubins „Die an­dere Seite“ blieb als „szenische Phan­tasie“ irgendwo stecken, wo, scheint es, von vorneherein gar keine Annäherung begriffen wer­den wollte oder konnte; siehe die Figuren von Roger Titley, die für das Stück quasi irrelevant waren.

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12/09

„Die Nibelungen“, Foto: Christian Herzenberger

„Mental Finland“, Foto: Bart Grietens

„Mental Finland“, Foto: Bart Grietens

„Die andere Seite“, Foto: Nick Mangafas

„Venus im Pelz“, Foto: Christian Brachwitz

„Quartett“, Foto: Christian Brachwitz

„Der gute Mann von Sezuan“, Foto: Norbert Artner

„Der gute Mann von Sezuan“, Foto: Norbert Artner

„Nieuwzwart“, Foto: Pieter-Jan De Pue

„Kepler“, Foto: Norbert Artner

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