Aus der Ferne – Un/Kultur des Abschieds

AutorIn: 

Nicht allein weil Dezember – das läge so unelegant plakativ auf der Hand – viel mehr weil in jedem Monat, an jedem Tag, in jeder Sekunde sich je­mand von jemandem verabschiedet, verabschieden muss, ganze Gesell­schaf­ten, Generationen und Überzeugungen ersetzt und verabschiedet wer­den, eben­so wie Arbeitsplätze, gesellschaftliche Über­einkünfte und nicht zuletzt Freundschaften, soll dem Abschied an sich und dem Prozess des Ver­abschiedens an dieser Stelle für einen kurzen Moment besonderes Au­genmerk gewidmet werden. Mehr noch – einer möglichen Kultur des Ab­schieds und dem­zu­fol­ge umgekehrt einer vermehrt beobachteten Unkul­tur des Ab­schieds – die vielleicht mit Verdrängung und Ver­leug­nung gleich­­zusetzen wäre, im besten Fall mit Ignoranz. Das äs­the­tische Gesetz des Ab­schieds verläuft – nach Knut Ebe­ling „... erst tragisch, wird dann ko­misch und ist schließlich exi­liert“. Die­sem Gesetz voraus ginge wohl ein Be­wusst­sein über den Ab­schied und die Verabschiedung als bewusste Hand­­lung und Hal­tung. Weil uns aber die Gegenwart verlustig geht angesichts einer paradoxen weil als unendlich gefühlten Li­ne­a­ri­tät, die sich stets entweder auf Vergangenes beruft oder schon im Zu­künftigen lebt, wird ein Ab­schied offenbar obsolet, gar nicht mehr notwendig. Schwupps – schon wen­det man sich wieder anderem oder Anderen zu. Ich selbst tappe be­stän­dig – leider – allzu oft in diese Fallen, vermisse Nicht-Verab­schie­de­tes erst, wenn es schon gar nicht mehr zu be­mer­ken, weil schlichtweg aus meinem Leben getreten ist (oder ge­treten wur­de). Möglicherweise aus Ignoranz oder viel­mehr aus Angst, Angst davor, einen Abschied womöglich nicht oder schwer er­tragen zu können. Aus diesem Grund gehe ich selten auf Be­gräbnisse, be­gleite niemanden auf Flug­häfen und win­ke keinem Zug hinterher. Ein­fach, weil es mein eigener Ab­schied sein könnte oder vielmehr irgendwann ganz sicherlich ist, Em­pathie verlangt schließlich auch ein wenig An­stren­gung und wie praktisch wäre es doch, ständig nur Ich sein zu können und niemals die Position des Ande­ren als ein mögliches Ich einnehmen zu müssen, bloß um mich selbst nie als endli­ches Wesen im Anderen erkennen und wahr­neh­men zu müs­sen.

Hach, und was bieten erst neue Kommunikationsformen für Möglich­kei­ten des Nichtabschiedes: Man entledigt sich et­wa eines unangenehm ge­wor­denen Menschen, indem man ihn aus seiner virtuellen Freundesliste streicht, man versendet eine SMS, um Unangenehmes zwar mitzuteilen, nicht aber mit Reaktionen konfrontiert werden zu müssen – ebenso wie der prekäre Arbeitsmarkt völlig neue, unästhetische und von jeglicher Kul­tur befreite Formen der „Arbeitsfreistellung“ bie­tet: Man gibt freien Mit­arbeiterInnen zu verstehen, dass sie nicht mehr gebraucht werden, in dem man sie einfach nicht mehr mit Aufträgen versieht, man steckt arbeits­los gewordene MitarbeiterInnen in Stiftungen, die künftig bessere Chan­­cen vor­gaukeln, wohl wissend, dass es für die meisten Ar­beit­­neh­merInnen bloß ein qualvoll verlängerter, Abschied vom Lohn­er­werb ist – alles so schön un­gebunden, ungezwungen und endlich frei von dem unangenehmen Be­dürfnis, sich mit dem Gegenüber auch nur ansatzweise auseinandersetzen zu müssen. Menschen werden so zu Objekten, derer man sich nicht einmal anständig entledigt, sondern in ein gut verschließbares Regal irgendwo in einem weit entfernten Raum steckt, um sie eine Weile lang (wer weiß, vielleicht braucht man sie ja noch ir­gendwann ...) nicht mehr sehen zu müssen, um nicht konfron­tiert werden zu müssen, mit jenen und da­her aber auch mit sich selbst. Wer nicht verabschiedet, hält den anderen und auch sich selbst in einer Art Warte­schlei­fe, nährt Hoffnung und Zorn gleichzeitig. Was dann noch bleibt, sind Fotos, Sät­ze, Erinnerungsstücke – die, be­freit von der Lästigkeit der An­we­senheit des Anderen, neu ge­deu­tet ver­schwim­men zu ei­nem egozentrisch aufgebauten Neu­en. In der wohligen, si­cheren At­mosphäre des eigenen Schne­ckenhauses bleibt die Beschäf­ti­gung mit dem Gegenüber aus, nicht einmal leere Seiten lässt man im übertragenen Sinn, um weitere Fotografien, die da noch kommen könnten, einzukleben, um ein Stück erweiterte, allgemein gültige Deutungswahrheit zu ermöglichen.
In diesem Sinn und nicht ohne Grund am Ende des Jahres 2009 die For­de­rung nach mehr ehrlichen, ungeschönten aber ästhetischen Abschie­den!

23
Zurück zur Ausgabe: 
12/09

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014