Richtung Norden

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Mit „Norden“ ist meist eine Himmelsrichtung gemeint – der Begriff wird zuerst mit Navigation, Geografie aber auch mit winterlich klimatischen Verhältnissen assoziiert. Beate Rathmayr und Dagmar Höss laden als Mitglieder der MAERZ künstlerische Positionen aus Finnland, Deutschland und Österreich ein, um dem Mythos „Norden“ auf die Spur zu kommen. Ein Interview mit Beate Rathmayr und Dagmar Höss.

Ein Schwerpunkt im Programm der Künstlervereinigung Maerz liegt in der Realisierung internationaler Austauschprojekte. Unter dem Titel „outside sour­ces“ wurden bereits seit 2005 Kooperationsprojekte zu unterschiedli­chen Regionen und Themen realisiert. Von Kroatien über Odessa geht es jetzt, 2009/2010, Richtung Norden. Wie ergeben sich die regionalen und inhaltli­chen Themenstellungen?
Beate Rathmayr: In der Künstlervereinigung MAERZ werden Projekte re­a­lisiert, die von KünstlerInnen initiiert werden. Die Ideen und Themen er­ge­ben sich aus dem persönlichen Interesse, die sich meist durch Frage­stel­lungen aus der eigenen Arbeit ergeben. So war das auch beim Norden. Ich sel­ber war in Rahmen eines Projektes längere Zeit in Island, Orte und Er­leb­nisse haben mich beeindruckt und mir neue Dimensionen von Natur und dem Leben in einer völlig anderen Umgebung mit Bedingung, die ich nicht kannte, eröffnet. Ich habe in der Zusammenarbeit mit KünstlerInnen aus nordischen Ländern immer wieder besonders überraschende Zugänge erlebt. Und das ist auch die Idee des Formates outside sources, herauszufin­den wie unterschiedlich Lebensbedingungen sind und wie sie in der künstlerischen Arbeit sichtbar werden.

Der Norden generiert vielfältigste Bilder. Dunkelheit, Schwere aber auch das romantisch-bezaubernde „Wintermärchen“. Sie schreiben im Pressetext: „Wir haben uns vorerst für ‚die Winterprinzessin‘ entschieden“. Wie war die Vor­ar­beit zur dieser märchenhaft klingenden Ausstellung, bzw. nach welchen Kri­terien wurden die beteiligten KünstlerInnen ausgewählt?
BR: the winterprincess war der Titel einer Fotografie, ein Wort eingekratzt in eine vereiste Fensterscheibe, in einer verlassenen Hütte irgendwo in der Mit­te von Nirgendwo. An diese Fotografie und an meine Erlebnisse wollte ich mit diesem Projekt anschließen. Es gibt diesen besonderen Pathos in vie­len Geschichten aus der nordischen Mythologie. Romantische, unrealistische aber durchaus reizvolle Ideen. Wir wollten dort ansetzen, wo die Be­deutung und Berechtigung solcher Phantasien in Frage gestellt werden und das durch unterschiedliche Positionen. Die Auswahl erfolgte aufgrund der Ar­beiten und dem persönlichen Interesse am Austausch. Teilweise kenne ich die Künst­ler­Innen schon länger, teilweise habe ich Vorschläge von Kol­leg­Innen angenommen; und andere KünstlerInnen wollte ich einfach kennen lernen.
Dagmar Höss: Norden (wie im Übrigen auch der Süden) sind in unserer Vorstellung mit vielen oft klischeehaften Bildern belegt. Ich finde es interes­sant, über künstlerische Positionen verschiedene Standpunkte und Be­trach­tungs­weisen zu ermöglichen, mit Klischees und Realitäten zu spielen.

Natürlich stellen Sie nicht nur die Frage nach der Region, sondern vielmehr auch die Frage nach der Berechtigung von althergebrachten Vorstellungen und Definitionen: So fragen Sie nach der Berechtigung des „romantischen Land­schaftsbildes“ … Wenn man die Themenstellungen der teilnehmenden KünstlerInnen betrachtet, ist die gezeigte „Landschaft“ ja immer sehr durchbrochen von äußerst irritierenden Positionen zu „Natur“ – können sie das un­terstreichen? Und in welche Richtung gehen diese Durchbrechungen?
BR: Ja sicher. Das ist ja gerade das Thema, die Frage. Die Positionen sind sehr unterschiedlich und da würde ich gerne zwei sehr unterschiedlich Po­si­tionen zusammenbringen um die Reichweite zu skizzieren. Jussi Kivi sagt zum Beispiel, dass ihn Landschaft am meisten interessiert. Unberührte, ro­man­tische Landschaft an der Grenze zwischen Kultur und Natur, sogar eine Müllhalde. Er macht Expeditionen, will Landschaft erleben, schreibt auf, zeich­net und macht Pläne, Fotografien und Videos und vergleicht seine Auf­zeichnungen mit alten Genre-Malereien. Er sucht nach einer Ästhetik, die in der zeitgenössischen Kunst seine Berechtigung hat: Distanz, Ironie und politisches Bewusstsein sind dabei vorrangig. Gerade diese Position ist ein groß­artiges Beispiel einer sehr feinsinnigen, ernsthaften aber auch humorvollen Arbeit, die ihn seit Jahren antreibt. Tea Mäkipää stellt in ihrem neuen Film LINK die Frage nach den beiden Gegenpolen Natur und Technologie, und sieht den hermetischen Rückzug als Alternative zur Urbanisierung. Der größ­te Feind des Menschen ist er selbst. Tea Mäkipää sieht das menschliche Wesen als Spezis, die Raubtiere, Kälte und Hunger überwunden hat und nun Lösungen für ihr Verhaltens finden muss. In ihrem neuen Film lebt sie als Mutter mit ihrem Sohn, ein Mischwesens aus Mensch und Tier, in der Isolation, im finnischen Wald. Die Arbeit zeigt uns eine große Geschichte, ein bedeutendes Thema und einen humorvollen und kurzweiligen Spielfilm.

Mir ist bei einer Netzrecherche aufgefallen, dass die Positionen von Matthias Kessler oder Stephan Huber Bilder von der anderen Seite der Zivilisation zeigen, bzw. wie eine Urbanität, in die die Archaik einfällt. Hingegen die finnlän­di­schen Positionen sehr schräg irgendwo zwischen Wiederschließung von Na­tur, Wald, unbekannten Szenarien angesiedelt sind: Mir sind Hybride zwischen Mensch und Tier, zwischen Flieger und Hirschgeweih untergekommen, Nebelszenen, die Technik oder Natur darstellen können … anderes wirkt hu­mor­voll wie mystisch oder posttraumatisch … ein ungewöhnliches Zu­sam­men­treffen von unbewohnten, phantastischen Weiten und Nokia?
BR: Es war uns bei der Auswahl der Positionen wichtig, dass wir aus unterschiedlichen Perspektiven in Richtung Norden schauen. Eine Sammlung aus Klischees, Illusionen und Realitäten. So zum Beispiel die beeindruckenden Fo­tografien von Mathias Kessler im Dialog zu künstlich hergestelltem, aber real existierendem gefrorenen Wasser; die Foto­gra­fien von Stephan Hu­ber, in denen Illusionen schrittweise zerstört wer­den; in denen Natur aus Planen, Styropor und Gips nachgebildet sind; ein Wohnhaus in der winterlichen Landschaft, das zum einen an Caspar David Friedrichs „Eismeer“ er­in­nert, zum anderen mit dem Titel „shining“ Hor­ror­filmvisionen an­klingen lassen. Die Arbeiten von Kaisu Koi­vis­to eröffnen durch die ambivalente Äs­thetik aus Synthetischem und Organischem, ei­nen Dialog zwischen Anziehungskraft und Abscheu. Kaisu Koi­visto eröffnet mit ihren Objekten einen Kon­flikt, der in der Verflechtung aus Bildern und Ob­jekten Reize zum Sehen, Fühlen und Denken auslösen. Ein Zugang, der aus Illusion und Rea­li­tät gleichzeitig gespeist wird.
DH: Der spannendste Horror, die realistischste Wirk­­lichkeit oder die abgefahrenste Illusion spielt sich ja meist im Kopf des Betrachters ab. Diese „Räu­me“ in den Betrachtern zu öffnen ist un­ter an­­derem auch ein Ziel der Ausstellung. Es bleiben Fra­gen offen und unbeantwortet: Wo en­det das Mär­chen und beginnt der Horror, wo liegt die Gren­ze zwischen Natureroberung und ökologischer Ver­nichtung, …?

Im Gegensatz zum leichtlebigen „Süden“ assoziiert man zum „Norden“ eine Härte im Überlebenskampf oder den Ursprung eines dunkler gefärbten Le­bens­gefühls. In der sozialen Realität ist es wohl eher umgekehrt: Zumindest global gesehen gibt es ein Nord-Südgefälle in den Lebensumständen. Sind Sie in den Vorbereitungen zu dieser Aus­stel­lung auch auf dieses Paradoxon gestoßen?
BR: Die soziale Realität ist ja immer ein Thema. Ich würde die Gegenüberstellung aufheben wollen, indem ich noch die letzten beiden Positionen erwähne. Oliver Kochta und Tellervo Kalleinen zei­­gen einen Film mit dem Titel „Dreamland – 20 dreams about the president.“ Die beiden haben im letzten Jahr knapp 100 Träume von Finnen ge­sam­melt, in denen die finnische Präsidentin auftaucht. 20 davon wurden verfilmt. Die Träume sind mit eher dokumentarischem Videomaterial gemischt. Ein bemerkenswertes Portrait des zeitgenössischen Finnlands. Die Auffassung von Nor­den ist eine ge­ographische, aber es ist doch im­mer eine Frage des Ausgangspunktes. So wird Michael Höpfner eine Arbeit zeigen, die entstanden ist, nachdem er alleine fast 600 km am Chang Tang Pla­teau/ Nord Plateau wanderte und in einen seltsam brutalen Kreislauf der Zer­stö­rung von Natur und Kul­tur gelaufen ist. Seither hat sich seine Arbeit in eine Reflexion über die Landschaften im Sinne von Sehnsucht und Frei­heit verschoben und darüber berichtet er, wenn auch nur in Spuren, angedeutet, still. „Norden“ als Sehnsuchtsort spielt da eine andere, psychologische Rolle.
DH: Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Norden und Süden auch in einem ökonomischen Sinn ist bei so einem Thema unumgänglich: Der Ursprung des Nord-Süd-Gefälles liegt ja im so genannten Erdölschock der 70er Jahre. Zu dieser Zeit nutzte die Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) ihre Monopolstellung, um den Öl­preis zu erhöhen. Die darauf folgende Re­zession be­wirkte allerdings auch, dass den (nörd­lichen) Industriestaaten ihre Abhängigkeit von der ökonomischen Entwicklung weniger in­dus­triali­sier­ter Teile (im Süden) der Welt sehr be­wusst wurde. Die­ses konfliktreiche Verhältnis von Nord und Süd, Reich und Arm hat seine Wur­zeln allerdings be­reits in kolonialer Vergangen­heit begonnen. Res­sourcenknappheit und der im­mer stärker wer­den­de Kampf darum haben ak­tu­ell wahnwitzige Ausmaße erreicht: Im August 2007 war der Nord­pol etwa groß in den Schlag­zei­len – nicht wegen der extremen Schmelze, sondern vielmehr aufgrund eines Streits um die dort entdeckten Bo­den­­schätze. Russland versenkte eine Fahne in den Mee­resboden der Arktis und provozierte damit alle anderen Nordstaaten. Wie oben beschrieben: Wo endet die Natureroberung und beginnt ihre Vernichtung? Dieses Thema ist vielleicht nicht kon­kret in einzelnen Arbeiten the­matisiert, aber trotzdem ja im Bewusstsein der BetrachterInnen verankert und wird unwei­ger­lich mitgelesen.

Wird es eine Austausch-Ausstellung geben?
BR: Austausch beginnt für mich dort, wo ich meinen Horizont um neue Perspektiven erweitern kann. Ich möchte den Austausch vorerst darin se­hen, dass wir ein Angebot an alle Mitglieder der Künstlervereinigung und darüber hinaus stellen und zum Austausch einladen. Dieser funktioniert ja immer nur durch das Annehmen und einen Wil­­len zum Weiterdenken. Ich bin mir sicher, dass sich durch dieses Projekt neue Mög­lich­kei­ten er­geben, auf die ich mich gerne einlassen wer­de. Mal sehen, wer sich daran noch beteiligen will. Im Übrigen war ich schon dieses Jahr nach Finn­land eingeladen, musste meine Reise allerdings auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Teilnehmende KünstlerInnen: Michael Höpfner/A, Stephan Huber/D, Mathias Kessler/A, Tea Mäkipää/FIN, Oliver Kochta/D und Tellervo Kalleinen/FIN, Jussi Kivi/FIN, Kaisu Koivisto/FIN
Ausstellung „Nach Norden“, KV Maerz, Eisenbahngasse 20
Eröffnung: 15. Dezember 19.30 h.
Ausstellungsdauer: 16. Dezember bis 05. Februar

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12/09
FotoautorInnen: 
Tea Mäkipää, Oliver Kochta und Tellervo Kalleinen, Michael Höpfner

Tea Mäkipää: Still aus dem Film „LINK“, 2009

Michael Höpfner: „outpost of progress #2“, 2008

Oliver Kochta und Tellervo Kalleinen: Still aus dem Film: „Dreamland – 20 dreams about the president“, 2008

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