Im elektroakustischen Kraftraum
Der Ort, den du bei Sonus Loci Aetheris mit deiner Gruppe Ritornell bespielst, ist die Kirche Marcel Callo. Euer Beitrag steht unter dem Motto „Im Kraftraum“. Kannst du vielleicht über Ritornell und euren Beitrag bei Sonus Loci etwas sagen, etwa über Konzept, Instrumentierung?
Die Räumlichkeiten der Kirche Marcel Callo dienten ursprünglich als Maschinenhalle. Klaus Hollinetz hat uns für diesen Abend einige Stichwörter wie „Turbine“, „Turbinenhaus“, „Kleinkraftwerk“ bzw. „Kraftquelle“ als konzeptuelle Anregung genannt. Wir werden als elektro-akustisches Trio ein Sechs-Kanal-Soundsystem bespielen und versuchen die akustischen Begebenheiten der Kirche auszuloten. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei in der Improvisation mit einem äußerst reduzierten Setup an Instrumenten. Während Gerhard Daurer die Möglichkeiten seines eigens entwickelten Gamepad-Granular-Synthesizers ausschöpft, addiert Roman Gerold subtile Melodien und lebhafte Drones und prozessiert die Live-Inputs der akustischen Instrumente. Ich werde mit einer Auswahl von Perkussionsinstrumenten wie Kalimba und Ride-Becken, die ich mit verschiedenen Utensilien (Bassbogen, Sizzle-Chains, Klobürste) spiele und mittels des Multi-Touch-Controllers „Lemur“ noch weiter verfremden kann, den elektronischen Improvisationen feine akustische Rhythmen und Texturen hinzufügen.
Deine Musik fällt im Großen und Ganzen unter Elektronik – auch unter Minimal Music oder Jazz, wie ich mir habe sagen lassen. Was sind deine musikalisch-stilistischen Arbeitsansätze oder vielleicht anders gefragt: In welche Richtungen verzweigen sich deine künstlerischen Kooperationen?
Ich oszilliere in meiner Musik stetig zwischen den beiden Polen Akustik und Elektronik. Manche meiner Arbeiten sind dabei reine Instrumentalstücke wie „Concrete Leaves“ (für drei Trompeten), das auch auf dem Debut-Album von Ritornell – Golden Solitude enthalten ist. Bei anderen Stücken versuche ich mit viel Fingerspitzengefühl akustische Elemente mit elektronischen Sounds zu vermengen oder natürliche Klänge mit digitaler Prozessierung wie Granulation oder FFT-Transformationen bis zur Unkenntlichkeit zu verfremden. Vor kurzem habe ich ein Projekt mit Sam Irl gestartet, das eher in das Genre elektronischer HipHop bzw. „Wonky“ eingeordnet werden kann und das zu großen Teilen mit sehr alten analogen Synthesizern erzeugt wird. Prinzipiell versuche ich mich jeglicher Musik mit einem offenen Ohr zu nähern und die spannendsten Elemente wenn möglich in meine Musik einfließen zu lassen.
Wie ungewöhnlich ist eigentlich der Aufführungsort Kirche für dich? Du hast ja sozusagen akademischen Hintergrund als Musiker/Komponist, und da ist die Kirche an sich, ich meine von der ganzen traditionellen Musikgeschichte her, sicher nicht so fremd wie vielleicht für andere Elektroniker?
Da ich im Juni gemeinsam mit Wolfgang „Fadi“ Dorninger und StudienkollegInnen der Kunstuni Linz die Kirche St. Theresia bespielt habe, ist der Aufführungsort Kirche für mich nicht mehr gänzlich ungewöhnlich. Mein Interesse gilt dabei hauptsächlich den spannenden räumlichen Qualitäten von sakralen Orten. Viele Kirchen bieten aufgrund ihrer besonderen Akustik ein einmaliges klangliches Experimentierfeld. Die Kirche St. Theresia weist z.B. eine Nachhallzeit von 11 Sekunden auf und wir haben für unser Konzert den Raum und dessen eigentümliches Resonanzverhalten als zentrales musikalisches Gestaltungselement verwendet.
Ich habe von deiner Diplomarbeit „Denoising Noise Music“ gehört. Eine sehr bestechende Idee, mit bestehender Entstörungs-Software etwa Noise-Künstler wie Merzbow zu entlärmen, zu „entstören“. Was ist da der theoretische Hintergrund – was war die Arbeitsthese? Wie sehr ist Lärm Störung und wie sehr sinnliches Element? Welche Schichten wurden zum Beispiel bei deinen Denoising-Experimenten musikalisch abgetragen, welche blieben übrig?
Ich habe bei meiner Diplomarbeit Denoising-Techniken auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Noise-MusikerInnen angewendet. Darunter befanden sich Stücke, die von den historischen Anfängen der Geräuschmusik, beginnend mit Luigi Russolos Geräuschkunst, zu frühen Tape-Experimenten von Pierre Henry, Lou Reeds berühmt-berüchtigte Gitarrenfeedback-Orgie „Metal Machine Music“ bis hin zu zeitgenössischen Noise-Kompositionen von Merzbow, Otomo Yoshihide und Christian Fennesz reichen. Beim Gros dieser Stücke ließen sich die Negierung des reinen Tones und der Verzicht auf traditionelle musikalische Strukturen wie Harmonik und Melodik feststellen, wodurch ein Denoising-Vorgang die originalen Kompositionen bis auf einige sporadische hörbare Spuren auslöschte. Mittels empirischer „Entrauschungs-Experimente“ versuchte ich zu ermitteln, ob bei individuellen Musikstücken ein Unterschied in der „Denoising-Resistenz“ besteht, d.h. welche Noise-Musik-Kompositionen am besten für einen „Audio-Radierungs-Prozess“ geeignet sind. Es stellte sich dabei heraus: Je „noisiger“ und geräuschhafter und je geringer der melodische und harmonische Anteil ist – desto weniger Restspuren entstehen in den meisten Fällen. Während sich bei „traditionell“ komponierten Arbeiten des Elektronikers Fennesz schon geringste melodische Passagen als denoising-resistent erweisen, bleibt von den radikalen Lärm-Kakophonien Merzbows bis auf einige sporadische Spuren nichts als Stille übrig.
Weil im musikalischen Bereich kaum vergleichbare dekompositorische Auslöschungen existieren, zog ich Parallelen zu einer Arbeit der bildenden Kunst: Im Jahr 1953 radierte der Maler Robert Rauschenberg eine Zeichnung seines Künstlerkollegen de Kooning in mühsamer Kleinarbeit bis auf wenige schemenhafte Restspuren aus. Er erschuf durch diesen Transformations-Prozess eine neue Arbeit. Dem so entstandenen Werk verlieh er den treffenden Titel „Erased de Kooning Drawing“.
Im Zusammenhang zu „Denoising“ möchte ich eine Frage zu „Hörstadt“ stellen: Was kommt bei Hörstadt deiner Meinung nach tatsächlich an akustischem Stadtbild heraus, wenn man die Stadt entlärmt und ent-berieselt? Es heißt ja etwa: „Androsch will Linz mit dem Projekt Hörstadt und dem dazugehörigen Akustikon zu einem internationalen Kompetenzzentrum machen. Ähnlich dem Rauchverbot wird auch ein Beschallungsverbot gefordert“. Natürlich ist klar, dass es bei Hörstadt um Freiwilligkeit, Bewusstheit und als „Manifest“ um eine Utopie des Hörens geht … wie siehst du die Utopie einer solchen Stadt?
Soweit ich Peter Androsch verstanden habe, geht es ihm um eine Einschränkung von Zwangsbeschallung, wie sie in vielen Einkaufszentren und Betrieben aller Art eingesetzt wird. Dieses Ansinnen kann ich vollends unterstützen, da mich diese akustische Berieselung und Bevormundung mit meist überaus schrecklicher Musik persönlich sehr stört.
Ich kann auch mit der Utopie einer „entlärmten“ Stadt sehr viel anfangen. Der Komponist und Wissenschaftler R. Murry Schafer unterscheidet in seinem Buch „The Soundscape. Our Sonic Enviroment and the Tuning of the World“ zwischen Lo-Fi und Hi-Fi-Soundscapes (Klanglandschaften). Unsere momentane akustische Umgebung, die größtenteils von Verkehrslärm bestimmt ist, bietet mit Sicherheit ein weniger sinnliches Hörerlebnis als das Hi-Fi Soundscape einer stilleren Stadt.
Deine nächsten Projekte sind?
Im November veröffentliche ich meine nächste Denoising-Arbeit namens „Denoising Field Recordings“ in einer limitierten Auflage auf durchsichtigem Vinyl – auf meinem eigenen Label Wald Entertainment. Weiters erscheint in Kürze die Schallplatte „Misel Quitno – Sleep Over Remixes“ mit einem Ritornell-Remix. Ich plane darüber hinaus eine LP mit dem Schweizer Produzenten Dimlite und dem Prepared-Piano-Spezialisten Hauschka aufzunehmen, sobald es unsere Terminpläne zulassen.
Nach dem Beitrag zu „Sonus Loci Aetheris“ wird es ein weiteres Konzert von Ritornell mit der Sängerin Mimu am 21. Oktober beim Eröffnungsabend des Elevate Festivals in Graz geben. In weiterer Ferne werde ich am 11. März 2010 gemeinsam mit der Hackbrettspielerin Heidelore Schauer eine Hälfte des „Treffpunkt Neue Musik“ im ORF Zentrum Linz gestalten.
www.wald-entertainment.com
www.ritornell.at
Sonus Loci
In dem von Klaus Hollinetz vorgegebenen musikalischen Rahmen und in Form einer elektronischen Live-Raum-Komposition bringen Ensembles und MusikerInnen, die sich vorwiegend mit neuer/experimenteller Musik auseinandersetzen, Improvisationen und Kompositionen in die Konzertserie ein. Vier Einzelabende wurden bereits im September gegeben. Als verbindendes Element der gesamten Reihe diente eine gemeinsame elektroakustische Klangspur, die in Echtzeit über Radiogeräte in die Kirchen übertragen wurde, von den KünstlerInnen aufgegriffen wurde und teilweise in transformierter Form „über den Äther“ zurückkam. Jedes Konzert von Sonus Loci funktionierte als eigenständiger Programmpunkt und bildete gemeinsam mit den weiteren Performances eine Gesamtkomposition. Unter dem Titel Sonus Loci Aetheris erklingen am letzten Abend, am 14. Oktober, unterschiedliche Versionen eines Konzerts an vielen kirchlich-sakralen Klangorten gleichzeitig: Sie bilden den Höhepunkt eines ort- und raumübergreifenden Hörerlebnisses.
Alle Mitwirkende: Klaus Hollinetz, Petra Wurz, Elisabeth Haselberger, Franz Hautzinger, Didi Bruckmayr, Werner Puntigam, Ali Angerer, Cordula Bösze, Wolfgang Fuchs, Raimund Vogtenhuber, Robert Pockfuß, Bernhard Höchtel, Martin Flotzinger, Sina Verena Heiss, Gerhard Daurer, Roman Gerold, Richard Eigner, Margarete Jungen, Karen Schlimp, Seçil Koparer, Günther Gessert, Norbert Trawöger, Irene Kepl, Franziska Fleischanderl, Didi Hollinetz, Manon-Liu Winter, Jamilla Balint, Marcus Huemer, Walther Soyka, Petra Stump, Heinz-Peter Linshalm, Markus Bless.
Im Rahmen von Linz09, Eine Kooperation mit der Diözese Linz und Radio FRO. Eintritt frei.
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