Inszenierter Alltag
Das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche geben einander bei diesem Eröffnungsprojekt die Hand. Bei „Brise“ von Mauricio Kargel, sind das die alltägliche Praxis von Fahrradfahren und ein elitäres Image von zeitgenössischer Musik. Eine Großgruppe von geplanten 111 RadfahrerInnen wird in vorgegebener Choreografie in wenigen Minuten wie ein Luftzug am Lunapark vorbeiziehen und dabei die einfache Komposition aus Klingeln, Singen und anderen Lauten ausführen – und damit für wenige Minuten die Kluft zwischen elitärer Avantgardemusik und breiter Bevölkerung überbrücken. Das Werk des 2008 verstorbenen Avantgardekomponisten Mauricio Kargel scheint dafür mehr als geeignet zu sein, hat Kargel doch den Begriff „Instrumentaltheater“ geprägt, das Musik nicht nur als Klang, sondern auch als dem Klang innewohnende Aktion versteht. Vice versa hat Kargel sich immer aus den engeren Feldern der Musik hinausbewegt, gilt wegen seiner Stücke wie etwa „Stadttheater“ als Provokateur, weil er die Zusammenhänge der Kunstproduktion durchaus kritisch beleuchtet zu haben scheint; und aus dieser Analyse eben eine Partitur für 111 Radfahrer, die garantiert nicht aus einem Professionistenkreis von Musikern stammen, entwickelt haben mag. Jedenfalls ist „Eine Brise“ nicht „zeitgebunden in der Provokation, wie manche andere Stücke von Kargel“, wie der Projektleiter, der aus Brasilien stammenden Regisseur und Musiker Marcelo Cardoso Gama bei einer Probe sagt, sondern stellt in ihrer sozusagen brisanten Sanftheit und zärtlichen Vielheit „eine große Offenheit und Freude“ her. Bei den Proben zu Brise, die noch bis knapp vor Festivalbeginn angeboten werden, betreut Marcelo Cardoso Gama gemeinsam mit der Wiener Choreografin und Tänzerin Johanna Kienzl die interessierte Bevölkerung, die im übrigen noch halbwegs zahlreich zu erscheinen gebeten wird (Probentermine unten).
Im Gegensatz zum Eröffnungsakt entsteht das Außergewöhnliche beim Projekt City Nomad Passage, das während des Festivalzeitraumes laufen wird, durch eine Begegnung des Gewöhnlichen mit dem Gewöhnlichen: Es geht um campingartiges Übernachten an Orten, die den Stadtrand in seinem Normalzustand charakterisieren, an bekannten, bzw. zumindest an sich nicht ungewöhnlichen Orten wie Kletterhalle, Wasserkraftwerk, Schulzentrum, Baumarkt, Schießstand, Wohnanlage. Durch den temporären, wandernden Campingplatz wird LinzerInnen und Nicht-LinzerInnen ein ungewöhnlicher Zugang zu Orten des eigenen Lebensraumes geboten. Es liegt die Vermutung nahe, dass das Außergewöhnliche durch eine Inszenierung von Normalität geschehen soll, der die gewohnten Regenerationsorte entzogen werden. Schlafen an ungewöhnlichen, aber dennoch völlig normalen Orten – das stellt im Zusammenhang einer „residualen Wohngegend im Grünen“ zuerst die sonstigen gebauten Highlights von Linz-Süd ins Zentrum: Kletterhalle, Schießstand, Baumarkt, das Solarcity-Parklife – und ergibt Assoziationen von Abenteuer bis Ausnahmezustand, hinterfrägt das Gewöhnliche hinsichtlich seiner Platzierung und Deplatzierung.
Möglichkeiten zur Entwicklung von Gemeinschaftsgefühl, das das Außergewöhnliche an sich herstellen will, stellt der Künstler Frank Bölter mit seiner Akropolis nach Auwiesen, und das mit durchaus gewöhnlichen Materialien: Der original Akropolis-Wellpappebau wird im Zeitraum des Festivals mit Beteiligung der Bevölkerung erbaut. Danach mag er als indifferentes Zeichen zwischen City-Glanz und Peripherie mitten in Auwiesen stehen und nach kurzer Zeit wieder abgetragen werden. Was hält nun aber die Bevölkerung von Linz-Süd, die so zahlreich zur Teilnahme aufgerufen wird, von so ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit und Möglichkeiten zur Teilnahme? Wie sieht es aus mit der Normalität im Vorort? Unter anderem eine Frage, mit der sich die „Filiale Auwiesen“, ein Projekt von STWST und Radio FRO bereits seit März auseinandersetzt. Mit der „Public Diary“- Installation, die für 30 Sekunden die Botschaften der AkteurInnen aufnimmt, um sie danach in Endlosschleife wieder abzuspielen, meint man zuerst vor allem das von den Medien auf Auwiesen projizierte Bild des „sozialen Brennpunktes“ zu erkennen: Jugendliche geben Gangsta-Rapper, Bad Boys und Bad Girls, zeigen coole Moves und rappen ihre diversen Abrechnungslyrics runter. Das ist natürlich nicht immer ganz ironiefrei und schon gar nicht humorlos. Denn was auf den zweiten Blick klar wird: Die Kids sind nicht anders als anderswo, sie sind hinsichtlich „Partizipation“ nur bestens erprobt, nämlich in der Rezeption sämtlichen „teilnehmenden“ Fernsehtrashs von Casting- bis Realityshows; in der Selbstdarstellung unter Zuhilfenahme von Populärtechnik – von Handy bis Internet 2.0. Die Ergebnisse des Public Diarys sind unter anderem in der Filiale Auwiesen im Rahmen des Festivals der Regionen zu sehen. Die Filiale Auwiesen steht darüberhinaus am Wüstenrotplatz während des Festivals als alternativer Medien-, Kunst- und Kulturproduktionsort sowie als Treffpunkt für die lokale Bevölkerung und die FestivalbesucherInnen zur Verfügung.
Vor Ort im Vorort
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ seit Oktober 2008 dem Diskurs zu den Themen des Festivals der Regionen und beleuchtet anhand von stattfindenden Projekten bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub-)urbanen und künstlerischen Normalzustands. Eine Serie als eine kleine Phänomenologie der Sichtbarmachung, des Zusammenlebens und der Teilnahme.
Vollständiges Programm: www.fdr.at, www.stwst.at
Eine Brise – Probentermine:
Sa, 02. Mai, 17.00 h, Volkshaus Pichling, solarCiy
So, 03. Mai, 17.00 h, Volkshaus Pichling, solarCity
Fr, 08. Mai, ganztägig und 18.00 h, Volkshaus Pichling, solarCity
Nomad City Passage: Übernachten in der Kletterhalle, im Baumarkt, am Schießstand, im Kraftwerk, in der Schule und in der Wohnanlage. Die BewohnerInnen der Wohnanlagen, interessierte LinzerInnen und FestivalbesucherInnen sind eingeladen, im Schwerpunktgebiet des Festivals eine Nacht in Zelten zu verbringen. Information und Anmeldungen: www.fdr.at
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