Perspektivenwechsel
Heuer wird in Afrika gefeiert. Nicht nur, weil erstmals eine Fußballweltmeisterschaft am Kontinent ausgerichtet, sondern weil vor 50 Jahren die ersten 17 Staaten „de lege“ von ihren Kolonialherren unabhängig wurden.
Doch wie schon Kwame Nkrumha, Präsident des ersten freien Staates Ghana, sehr bald erkannte, bedeutete politische Eigenständigkeit ohne wirtschaftliche Souveränität keine wirkliche Unabhängigkeit. Spätestens Ende der 1970er Jahre saßen viele afrikanische Länder durch von der Weltbank initiierte überproportionierte Entwicklungsprojekte in der Schuldenfalle. Dass dafür auch „Bad Governance“, die weit verbreitete Praxis verantwortungsloser Regierungsführung, maßgeblich war, mahnte niemand geringerer als der frisch gewählte Präsident Südafrikas Nelson Mandela, ein, der 1994 seine Amtskollegen in Tunis wortgewaltig an die afrikanische Verantwortung an der afrikanischen Situation erinnerte.
Solche differenzierte Perspektiven, die nicht nur der Perpetuierung des alten, nun auf wirtschaftlicher Dominanz fußenden globalen Machtgefüges Rechnung tragen, sondern gleichzeitig die Emanzipationsstrategien und transformative Selbstheilungskräfte in den postkolonialen Staaten anerkennen, finden nur selten ihren Weg auf die österreichischen Titelseiten. Schuld daran ist nicht zuletzt das Primat der „Ökonomie der Zeichen“. Laut dem Medienwissenschafter Steven Smith ist eine detaillierte Analyse sozialpolitischer und geschichtlicher Hintergründe von Konflikten und humanitärer Katastrophen schon allein aufgrund des geringen internationalen Gewichts des Kontinents (Afrika produziert nur 1,5 % des planetaren Reichtums und ist außer mit seinen Erdölvorkommen auch nicht für die Kurse an den internationalen Börsen mitverantwortlich) nicht rentabel.
Dass außerdem für das Hörbarmachen von afrikanischen Stimmen auch die mediale Infrastruktur nicht gegeben ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Kontinent weist die geringste Dichte an Informationsnetzwerken, Korrespondenzposten und Presseagenturen auf, da einerseits nur sehr wenige große europäische Tageszeitungen überhaupt einen exklusiven Korrespondenten in Afrika und wenn, dann in Südafrika stationiert, andererseits sich Presseagenturen wie AFP, Reuters oder AP, die sich am Ende des Kalten Krieges in Afrika ansiedelten, aufgrund der kostenlosen „humanitären“ Berichterstattung der UNO-Presseagentur IRIN von dort wieder zurückgezogen haben. Die Möglichkeit, in europäischen Nachrichtenkanälen afrikanische Stimmen und Meinungsäußerungen zu hören, ist dementsprechend gering, sodass sich dieser Mangel an informationstechnologischer Infrastruktur, nach Smiths Analyse, in den westlichen Augen in eine geistige und kulturelle Armut sowie ein Ambitionsmanko der AfrikanerInnen übersetzt.
Und bequemer ist das Verstecken hinter Stereotypen und paternalistischen Denkweisen allemal. Warum sich mit seinem Gegenüber ernsthaft auseinander setzen, wenn man sich mithilfe der Projektion von Elend und Exotik so leicht über den Anderen erheben und sich zum geistigen und kulturellen Zentrum stilisieren kann?
Streifzug durch eine eurozentrische Bildergalerie
Es braucht keinen absurden Mut zu Wiener Blut, damit unsere Ignoranz darüber, dass sich die Realität einer Vielzahl von AfrikanerInnen jenseits des westlichen Themenparks (Krieg, Korruption, Seuchen, Safari) abspielt, auch auf den Umgang mit unseren unmittelbaren Nachbarn abfärbt.
Eine im Mai 2006 publizierte Studie der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) zeigt, dass AfrikanerInnen in Österreich nach wie vor besonders stark Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind. Dies ist vor allem auf dem Arbeitsmarkt, im Wohnungswesen, beim Zugang zu öffentlichen Orten, sowie bei ihren Kontakten mit der Polizei auffällig. Öffentliche Diskurse, die sie automatisch mit Drogenhandel, Prostitution und Asylmissbrauch in Verbindung bringen, stellen dabei nur die Rückseite einer Medaille dar, die auf der Vorderseite meist das mit Fliegen verklebte Gesicht eines Kindes mit aufgeblähtem Bauch zeigt. „Die schweigenden einfachen Leute (…) sind der grundlegende Referent des Sozialen; daher genügt es, die Kamera auf sie zu richten, ihre (…) Armut zu zeigen und ihren ungewohnten Lebensstil für das immer kauf- und spendenbereite Publikum ‚hier‘ in einen Zusammenhang zu stellen und entsprechend zu verpacken, um in den geheiligten Bereich des moralisch Richtigen, des Sozialen einzutreten“, bringt die postkoloniale Kritikerin Trinh T. Minh-ha die Missstände der allzu einfachen katharsischen Wirkung von Spenden(aufrufen) auf den Punkt.
Immer häufiger zeigen Plakate jedoch nicht mehr hilflose Kreaturen, sondern heitere Gesichter und starke Persönlichkeiten. „They took my home, but they can’t take my future“, teilt uns ein junger Flüchtling aus Afrika am neuesten UNHCR-Plakat strahlend mit. Ist dieser Trend zum „empowerment“ mit dem versuchten Imagewandel Afrikas im Rahmen der diesjährigen Fußball-WM in Zusammenhang zu bringen?
Leicht haben es die internationalen Sponsoren des Weltereignisses wie Coca Cola und MacDonald’s den südafrikanischen Organisatoren ja nicht gemacht. Statt traditioneller Küche gab es Big Mac rund ums Hauptstadion in Johannesburg, die Verkäufer lokaler Andenken mussten Ständen mit FIFA-Schnellballkugeln und -teddybären weichen und auch die offizielle Hymne zur Weltmeisterschaft geriet unter Shakira zur exotischen Mischung aus traditionellem kamerun’schem Marschlied und kolumbianischem Hüftschwung. Dementsprechend fiel die Berichterstattung darüber aus. Viele der Prognosen des Historikers und Politologen Achille Mbembe über die Verkürzung der Debatten zur WM auf praktische Aspekte wie Stadien und Infrastruktur sowie Plattitüden über Afrika als die Wiege der Menschheit, die ins Reich der Folklore und des Nativismus reichen, aber nichts über die Identität, die Wünsche und Meinungen der Südafrikaner aussagen, bewahrheiteten sich.
Als gelungenen Kontrapunkt organisierte die Austrian Development Agency (ADA) zusammen mit der Afrika Vernetzungsplattform (avp) und dem VIDC (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation) unter dem Motto „Ke Nako Afrika. Afrika jetzt!“ einen Afrika-Schwerpunkt, der mit über 300 Veranstaltungen, darunter auch das Linzfest 2010, knapp 200.000 BesucherInnen in ganz Österreich für ein differenzierteres Bild des mannigfaltigen Kontinents begeistern konnte.
Eine weitere Möglichkeit, die österreichisch-afrikanischen Beziehungen in ein neues Licht zu rücken, stellt die Ausstellung „African Lace“ im Museum für Völkerkunde Wien (in Kooperation mit der National Commission of Museums and Monuments of Nigeria) dar.
Nigeria einmal anders
Auch das mit 140 Millionen Einwohnern mit Abstand bevölkerungsreichste Land Afrikas, Nigeria, zelebriert heuer seine 50jährige Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Viele Nigerianer werden zu den Jubiläumsfeierlichkeiten „African Lace“ tragen, farbenprächtige, industriell bestickte Stoffe, die seit einem halben Jahrhundert zum Großteil in Österreich für den nigerianischen Markt hergestellt werden.
Anfang der 1960er Jahre kamen österreichische Stickereifabrikanten auf ihrer Suche nach neuen Absatzmärkten in das gerade unabhängig gewordene Land und begannen Geschäftsbeziehungen mit lokalen Textilhändlern, die zu einem regen Austausch von Ideen führten. Sie konnten an lokale Textiltraditionen anknüpfen und im interkontinentalen Dialog ein spezifisches Textilprodukt entwickeln, das inzwischen das nigerianische Image weltweit kennzeichnet.
Doch diese Spielart der Hybridisierung fand nicht nur Anklang, waren doch die Kleidungsstücke aus teuren Importstickereien zur Zeit des Ölbooms in Nigeria Ausdruck von Wohlstand und die Kritik an ihrer Popularität seit den späten 1970er Jahren ein Ventil zur Besinnung auf nationale kulturelle Werte, die sich auch in der Kleidung manifestieren sollten. Trotz dieser ambivalenten Haltung erfreuen sich die importierten Luxusstoffe weiterhin größter Beliebtheit und die daraus geschneiderten Gewänder gelten inzwischen als „traditionelle Kleidung“, die bei Politikern ebenso wie bei Kirchgang, Namensgebungen und Hochzeiten zum guten Ton gehört.
Die Ausstellung „African Lace“ thematisiert diesen Bereich der Gegenwartskultur, der über die Grenzen einzelner Nationen hinweg Menschen, Ideen und Kreativität durch Handel verbindet und präsentiert damit auch ein anschauliches Beispiel globaler Verflechtungen und Prozesse: Aus Asien importiertes Rohmaterial (Faden und Grundstoff) wird auf in der Schweiz produzierten Maschinen, die von türkischen Facharbeiten bedient werden, in Vorarlberg zu feinen Stickereistoffen verarbeitet, die eine wichtige Rolle im nigerianischen „Nationalkostüm“ spielen.
Die Kuratoren Barbara Plankensteiner und Nath Mayo Adediran entwerfen somit ein Gegenbild zu gängigen Vorstellungen über Nigeria und korrigieren mit Vorurteilen belastete Zuschreibungen im Kontext der Ausländerfeindlichkeit, indem sie nicht nur nigerianische Modeschöpfer, Fotografen und Wissenschafter vorstellen, sondern Nigerianer und Nigerianerinnen auch als wichtige Geschäftspartner und Kunden porträtieren, von denen ein traditionsreicher Industriezweig Österreichs lebt.
Auch auf die Gefahr hin, einer Gemeinde bereits Bekehrter zu predigen: Möglichkeiten der Begegnung, wie sie zurzeit in Oberösterreich und Wien zu finden sind, sollten genutzt werden, nicht nur für ein besseres Miteinander, sondern auch für das eigene Wohlbefinden.
Die Ausstellung „African Lace – Österreichische Stoffe für Nigeria“ läuft von 21. Oktober 2010 bis 14. Februar 2011 im Museum für Völkerkunde in Wien.
Hochzeit von Tola Olateru Olagbegi und Segun Akerele, Christ Apostolic Cathedral, Lagos. Aus der Serie „Èko for Show“ 2009.
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