Aus der Ferne – In Klein-Istanbul
Jede Polemik wäre unangebracht, auch wenn sie sich offen gestanden aufdrängt. Um sich fern zu fühlen, braucht es manchmal nur wenige Kilometer, auch wenn es dort nicht immer eine Ferne ist, die wohltuend Neues, Ungeahntes meiner Seele nahe zu bringen vermag.
Dass der Trauner Gemeinderat vor wenigen Wochen beschlossen hat, sich bei Kaufgesuchen nicht in Traun lebender Nicht-EU-Bürger ein Einspruchsrecht zu sichern – de facto also wohl ein Verweigerungsrecht – verlangt erst nach einem Lokalaugenschein. Unnötig zu erwähnen, dass Kaufgesuche nicht vor Ort lebender Nicht-EU-Bürger sowieso und stets von Behörden geprüft werden müssen – also etwas beschlossen wurde, das im Grunde längst festgeschrieben steht; der Gedanke an billige Stimmungsmache drängt sich hier unweigerlich auf.
Ich möchte trotzdem wissen, ob die Berichte, die in den Medien zu sehen und zu lesen waren, dem entsprechen, was einen derartigen „Hilferuf“, wie es der Trauner Bürgermeister (unterstützt von seinem Welser Kollegen) ausdrückt, rechtfertigt. Beides sind offenbar Städte mit „einem Ausländeranteil von über 20 Prozent“. Sind das Menschen, die nicht in Österreich geboren wurden? Natürlich sind sie es nicht, Österreich sorgt ja täglich für die Erhöhung seines „Ausländeranteils“, indem es in Österreich geborenen Menschen das Staatsbürgerrecht verweigert. Ich möchte also wissen, wie es sich anfühlt, an einem Ort zu sein, in dem die Probleme offenbar so groß sind, dass sich die verantwortlichen PolitikerInnen genötigt fühlen, selektiv den Erwerb von Eigenheim zu kontrollieren, und dies als Hilferuf verstehen.
Dass ich im Trauner Stadtcafé ungefragt gedutzt werde, vermittelt mir ein erstes Ferngefühl und es ist kein wohliges. So verführerisch plätschert dort das Wasser des Springbrunnens, als die Kellnerin mir ein „Hallo Griaßdi, was kriagstn“ entgegenschleudert, es wirkt auf mich weniger freundlich als forsch und fordernd, gerade so als würden wir uns jeden Tag hier sehen und ich jeden Tag hier meinen großen Schwarzen bestellen. Mehr verwirrt als beglückt mache ich mich auf in jene Richtung, in der sich der Ortsteil befindet, von dem Medienberichten zufolge großes, fremdes Unheil ausgeht.
Nein, ich möchte nicht in diesen Wohnblocks in der Roithnerstraße – sie befindet sich gleich um die Ecke des Stadtplatzes, auf dem so jovial einer Fremden das Du-Wort abverlangt wird – wohnen. Es hat allerdings nichts mit den an diesem Donnerstagnachmittag nur spärlich anwesenden Kindern – die nicht lauter und nicht leiser und nicht weniger wild als hoffentlich alle anderen Kinder spielen, laufen und schreien – zu tun. Es hat nichts mit dem Wohnzimmerstuhl, der auf dem Gehsteig steht zu tun. Und ich bin überzeugt, diese ästhetisch und bezogen auf menschliche Bedürfnisse eher fehlgeleiteten Wohnblocks hätten mich auch kurz nach ihrer Eröffnung nicht mehr angezogen als heute. Ich glaube nicht, dass die dort lebenden „Ausländer“ verantwortlich für die Ungemütlichkeit sind, aber ich glaube, dass Menschen, denen ständig das Gefühl vermittelt wird, nicht gewollt und nicht gebraucht zu werden, weniger Gefühl für ihr Umfeld entwickeln als Menschen, denen Freundlichkeit und Respekt entgegengebracht wird. Und das betrifft keineswegs nur „Ausländer“, das betrifft Inländer, die aus welchen Gründen auch immer, außerhalb eines sozialen und wirtschaftlichen Systems stehen, genauso. Österreich ist in vielen Belangen immer noch subtil ständestaatlich organisiert – und dies steht jeglicher Egalisierung im Weg. Bildung, Vermögen und Eigentum werden vererbt, bleiben in der eigenen, sozialen Gruppe. Wenn der Trauner, der Welser oder irgendein anderer Bürgermeister also meint, er möchte „Ausländern“ den Kauf eines Eigenheims verbieten, dann meint er nicht „Ausländer“, er meint Menschen, die seiner Meinung nach nicht das Recht haben sollen, an einen sozialen Auf- oder Umstieg zu denken, Menschen, die zwar ob ihrer guten sozialen Verankerung innerhalb der eigenen Gruppe den Kaufpreis aufbringen, die Struktur der Nachbarschaft aber durcheinander. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Isländern, Nordamerikanern oder Russen verboten werden würde, ein Haus zu erwerben? Ausländerfeindlichkeit ist nichts anderes als eine feindliche Abgrenzung gegenüber Menschen, die ein gewohntes, hierarchisches System und Denken angreifen könnten. Und während sich manche ÖsterreicherInnen an ein Sozialsystem gewöhnt haben mögen, das geprägt ist von der Demuts- auf der einen und Mitleidshaltung auf der anderen Seite, tun das Menschen, die ihr Land und alles was sie bislang kannten verlassen haben und dadurch einen unbedingten Willen zu Veränderung und möglicherweise Verbesserung bewiesen haben, logischerweise nicht. Es ist nichts anderes als zynisch und blind, dies nicht erkennen und unterstützen zu wollen. Es sei „Zeichen für eine langfristige Lebensplanung in Österreich und damit ein positives Integrationssignal, wenn Migranten Wohnungseigentum erwerben wollen. Dies sollte deshalb gefördert und nicht verhindert werden. Das ist einhellige Expertenmeinung“, meint etwa Martin Apfler, Leiter des Integrationszentrums OÖ des Österreichischen Integrationsfonds.
Aber, so grausam offensichtlich die Meinung vieler PolitikerInnen unabhängig ihrer Couleur, wo kämen wir denn hin, wenn Menschen, die qua Zuzug oder qua Geburt am unteren Rand der Gesellschaft geduldet und zur Stützung des hierarchischen Systems benötigt werden, ihren Aufstiegswillen mittels Hauskauf dokumentieren würden.
Am anderen Ende der Roithnerstraße komme ich an zwei Häusern vorbei – eigentlich sind es die Gärten, die mir ins Auge springen. Hier möchte ich in der Tat wohnen. Die Gärten sind wunderschön, mit dem was hier wächst, kommt eine Großfamilie durch den Winter – Tomaten, Paprika, Wein, Fisolen. In der Einfahrt wird gearbeitet, gesprochen wird serbokroatisch. Nachdem weder Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegovina, Albanien oder Mazedonien der EU angehören, nehme ich an, es handelt sich um Nicht-EU-Bürger. Allerdings Nicht-EU-Bürger, die vor dem Gemeinderatsbeschluss Häuser in Traun erworben haben.
Hier werden offenbar Häuser mit Hilfe von Freunden restauriert, hier wird offenkundig mitten in Traun Selbstversorgung betrieben – der Gedanke drängt sich auf, dass dies ein Grund sein könnte, warum man Nicht-EU-Bürgern verbieten möchte, Häuser zu kaufen, sie verhalten sich ganz offensichtlich völlig antikonsumistisch, beschäftigen keine örtlichen Bauunternehmen und haben es nicht Not, Obst und Gemüse in den örtlichen Supermärkten zu kaufen. Österreich als gesellschaftspolitisches System verhält sich in weiten Teilen bigott und nicht in geringstem Ausmaß selbstreflexiv. Österreich laboriert an einer seit Jahrzehnten andauernden Identitätskrise, Österreich weiß nicht, wofür es steht – und dabei ist es doch so einfach für alle, die zurückblicken: Österreich war und ist ein Einwanderungsland, und Integration verlangt eine fundierte Identität jener Gruppe, die von anderen verlangt, sich zu integrieren. Ein Freund, ein kürzlich aus den USA übersiedelter Sohn guatemaltekischer Einwanderer kann es nicht glauben, dass in Österreich geborenen Kindern nicht qua Geburt die Staatsbürgerschaft verliehen wird. Er meint, ich scherze. „So how should they then ever feel like Austrians?“ Genau. Österreich produziert seine Ausländer selbst, stündlich. Österreich ist belastet, meint die Innenministerin. Ihr Heimatbezirk, der auch der meine ist, sei stark von Ausländern belastet, meint sie in einem Standard-Interview. Der Kammerjäger ist wohl schon bestellt. Und ich weiß verdammt nochmal nicht, wie ich durch einen weiteren österreichischen Winter kommen soll.
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