Von Vorverfahrenen und Individuen
In den letzten vier Tagen des Julis hatte das „Amt für Ahnen und Ahnenangehörige“ in der Humboldtstraße 17 Parteienverkehr. Nicht wenige verwaiste AhnInnen konnten in dieser Zeit an Adoptionswillige vermittelt werden. Rückwirkend also, konnten die lebenden KlientInnen die Galerie der ihnen Vorverfahrenen anhand der toten KlientInnen erweitern. Ganze Schuhschachteln voll mit Photographien von zur Adoption aus Flohmarkt oder Mülltonne freigegebenen AhnInnen zeugten von der Dringlichkeit dieses Unternehmens. Eine ordentliche Urkunde vervollständigte den Adoptionsakt.
Die wahrscheinlich grundlegende Komik und Tragik des besagten Aktes manifestierte sich in der Frage einer dem Adoptionsgeschäft sonst fernen Besucherin, welche dem schillernden Servicepersonal des Ahnamtes die Motive und Motivation für diese ihre Arbeit entfragen wollte.
„Was war zuerst, die Photographien oder die Idee?“
Denn im Ganzen ließe sich diese Installation von „Club Real“ (welche im Rahmen des Festivals „Little Voids – Simultan Stimulation“ [von 26. Juli bis 7. August 2010 in der Humboldtstraße, kuratiert von Franz Koppelstätter, Astrid Hager und Doris Prlic] stattfand) lesen als Thematisierung des Verhältnisses von Vergangenheit und Gegenwart.
Mit einem intellektuellen Zwinkern in den Augen frage ich mich, ob dieses temporäre Amt nicht eine ausgesprochene Konsequenz der beinahe lapidaren Feststellung „die Vergangenheit sei immer nur absehbar durch die Gegenwart“ ist. So mir meine Vorverfahrenen zeitlich immer vorausgegangen (oder eben gefahren) sein werden, so habe ich dieses Verfahrensverhältnis vernünftig hergestellt und die Rechnung wird präsentiert. Ich kann also, und die Ahnamtarbeitenden waren sehr überzeugend, rückwirkend verändern, und habe also adoptiert. Das Ergebnis heißt Adele Wögerbauer und hat mich, urkundlich bestätigt, kausal bedingt.
Diese temporäre Nutzung einer leer stehenden vormaligen Fleischerei bildete mit anderen Kurzprogrammierungen von Leerständen durch Kunstschaffende, auch in der Humboldtstraße 21 – einem ehemaligen Lusterladen, quasi die Spitze des Eisberges „Little Voids“.
Einerseits sollte von alternativen Nutzungsmöglichkeiten bestehender Leerstände erzählt werden, andererseits das Thema Migration bedacht sein. Das gewählte Format einer Aufeinanderfolgung von „Turbo-Interventionen“ in den beiden Bespielstätten wollte außerdem den Zeigefinger dorthin legen wo es weh tut. Außerhalb des akuten Zentrums von Linz scheitern langfristige Nutzungen von Geschäftslokalen oft kurzfristig.
(Die Frage der auch in wirtschaftlicher Nachhaltigkeit unbewanderten Besucherin würde also in etwa lauten: „Bedient dieses Format nicht vielmehr was es aufdecken und entblößen möchte?“ Dies jedoch ist eine andere Geschichte, bei deren Gelegenheit jedoch sei der Stadtkeller zumindest in einem Satz gewürdigt.)
Die Geschehnisse des Festivals sollen ab September im afo architekturforum oberösterreich in die, dann wieder, laufende Ausstellung zum Programmschwerpunkt integriert werden. Selbst als „Leerraumzentrale“ inszeniert, werden dort sowohl vergangene als auch aktuelle Positionen und Formate von Zwischennutzung und „temporärem Urbanismus“ dokumentiert. Sowohl beispielhafte internationale Projekte als auch lokale, ebenda auch das Format „Little Voids“, werden hierbei bedacht.
Ebenso Teil dieser Dokumentation in der „Leerraumzentrale“ sind die Arbeiten des „KünstlerInnenkollektivs KOMPOTT“, welches seit 2006 leer stehende Räumlichkeiten temporär benützt.
Eben dieses Kollektiv hat am 20. August zur Vernissage der Bespielung von vier Fertigteilhäusern im Musterhauspark Haid geladen. Diese künstlerische Intervention unter der Überschrift „Prefab Dreams“ stimuliert, im Gegensatz zu „Little Voids“, Häuser ohne verlebte Geschichte. In dieser Situation will sich das Kollektiv mit dem kollektiven Traum eines individuellen Eigenheims, und in weiterer Folge mit der Konstruktion von Rollenbildern und Gesellschaftskonzepten sowieso auseinandersetzen.
Genau dort wo ein gebauter vorfabrizierter Traum neben dem nächsten Solchen steht, finden sich Prospekte in denen von „individuellen Lösungen“ und „maßgeschneiderten Eigenheimen“ die Rede ist. Dies ist nicht problematisch, aber nur symptomatisch. Der Entwurf eines Hauses, sowie der Entwurf eines Lebens, sowie der Entwurf eines Satzes, wird sich immer nur anhand von Möglichem artikulieren. Und auch vor aller Artikulation ist nicht außerhalb dessen.
Es zeigt sich anhand dieser strahlenden Differenz zwischen Prospektmaterial und Musterhauspark die spezifische Verfasstheit von Eigenheim und Eigenheit. Der Imperativ „Sei autonom!“ besteht auch in Haid und, „Wir sind alle Individuen!“
„Ich nicht.“1
1 aus: Monty Python’s Life of Brian
Eine neue Ahnin für spotsZ-Autorin Theresa Luise Gindlstrasser.
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