Von Vorverfahrenen und Individuen

Der Programmschwerpunkt des afo architekturforum oberösterreich – dieses Jahres lautet „Reclaiming Space“. Raum wird insofern allgegenwärtig sich genommen. Oder zumindest diese Praxis erörtert. Eine Betrachtung zweier aktueller Nehmungen: „Prefab Dreams“ im Musterhaus­park Haid und ein fiktives „Amt für AhnInnen und Ahnenforschung“ in der Humboldtstraße 17 – im September fließen die Ergebnisse in die afo-Ausstellung zurück.

In den letzten vier Tagen des Julis hatte das „Amt für Ahnen und Ahnenangehörige“ in der Hum­boldt­­straße 17 Parteienverkehr. Nicht wenige verwaiste AhnInnen konnten in dieser Zeit an Adoptions­wil­li­ge vermittelt werden. Rückwirkend also, konn­ten die lebenden KlientInnen die Galerie der ih­nen Vor­verfahrenen anhand der toten Klient­In­nen er­weitern. Ganze Schuhschachteln voll mit Pho­to­gra­phien von zur Adoption aus Flohmarkt oder Müll­­tonne freigegebenen AhnInnen zeugten von der Dring­lichkeit dieses Unternehmens. Eine or­dent­liche Urkunde vervollständigte den Adopt­i­ons­­akt.

Die wahrscheinlich grundlegende Komik und Tra­­gik des besagten Aktes manifestierte sich in der Fra­­ge einer dem Adoptionsgeschäft sonst fernen Be­­sucherin, welche dem schillernden Service­per­so­nal des Ahnamtes die Motive und Motivation für diese ihre Arbeit entfragen wollte.
„Was war zuerst, die Photographien oder die Idee?“
Denn im Ganzen ließe sich diese Installation von „Club Real“ (welche im Rahmen des Festivals „Litt­le Voids – Simultan Stimulation“ [von 26. Juli bis 7. August 2010 in der Humboldtstraße, kuratiert von Franz Koppelstätter, Astrid Hager und Doris Prlic] stattfand) lesen als Thematisierung des Ver­hält­nisses von Vergangenheit und Gegenwart.
 
Mit einem intellektuellen Zwinkern in den Augen frage ich mich, ob dieses temporäre Amt nicht eine ausgesprochene Konsequenz der beinahe la­pidaren Feststellung „die Vergangenheit sei im­mer nur absehbar durch die Gegenwart“ ist. So mir mei­ne Vorverfahrenen zeitlich immer vorausge­gan­­gen (oder eben gefahren) sein werden, so ha­be ich dieses Verfahrensverhältnis vernünftig her­gestellt und die Rechnung wird präsentiert. Ich kann al­so, und die Ahnamtarbeitenden waren sehr überzeugend, rückwirkend verändern, und habe also adoptiert. Das Ergebnis heißt Adele Wö­ger­bauer und hat mich, urkundlich bestätigt, kausal be­dingt.

Diese temporäre Nutzung einer leer stehenden vor­­­maligen Fleischerei bildete mit anderen Kurz­pro­grammierungen von Leerständen durch Kunst­schaf­fende, auch in der Humboldtstraße 21 – ei­nem ehemaligen Lusterladen, quasi die Spitze des Eisberges „Little Voids“.
Einerseits sollte von alternativen Nutzungs­mög­lichkeiten bestehender Leerstände erzählt werden, andererseits das Thema Migration bedacht sein. Das gewählte Format einer Aufeinan­derfol­gung von „Turbo-Interventionen“ in den beiden Be­­­spielstätten wollte außerdem den Zeigefinger dorthin legen wo es weh tut. Außerhalb des akuten Zentrums von Linz scheitern langfristige Nut­zungen von Geschäftslokalen oft kurzfristig.
(Die Frage der auch in wirtschaftlicher Nach­hal­tig­keit unbewanderten Besucherin würde also in etwa lauten: „Bedient dieses Format nicht vielmehr was es aufdecken und entblößen möchte?“ Dies jedoch ist eine andere Geschichte, bei deren Ge­le­genheit jedoch sei der Stadtkeller zumindest in einem Satz gewürdigt.)

Die Geschehnisse des Festivals sollen ab Sep­tem­ber im afo architekturforum oberösterreich in die, dann wieder, laufende Ausstellung zum Pro­gramm­schwerpunkt in­tegriert werden. Selbst als „Leer­raum­zentrale“ ins­ze­niert, werden dort sowohl vergangene als auch aktuelle Positionen und For­ma­te von Zwischen­nutzung und „temporärem Urba­nis­mus“ doku­men­­tiert. Sowohl beispielhafte in­ter­nationale Pro­­jek­te als auch lokale, ebenda auch das Format „Little Voids“, werden hierbei bedacht.

Ebenso Teil dieser Dokumentation in der „Leer­raum­zentrale“ sind die Arbeiten des „Künstler­In­nenkollektivs KOMPOTT“, welches seit 2006 leer stehende Räumlichkeiten temporär benützt.
Eben dieses Kollektiv hat am 20. August zur Ver­nissage der Bespielung von vier Fertigteilhäusern im Musterhauspark Haid geladen. Diese künstlerische Intervention unter der Überschrift „Prefab Dreams“ stimuliert, im Gegensatz zu „Little Voids“, Häuser ohne verlebte Geschichte. In dieser Situ­ation will sich das Kollektiv mit dem kollektiven Traum eines individuellen Eigenheims, und in wei­terer Folge mit der Konstruktion von Rollen­bildern und Gesellschaftskonzepten sowieso auseinandersetzen.

Genau dort wo ein gebauter vorfabrizierter Traum neben dem nächsten Solchen steht, finden sich Prospekte in denen von „individuellen Lösungen“ und „maßgeschneiderten Eigenheimen“ die Rede ist. Dies ist nicht problematisch, aber nur symptomatisch. Der Entwurf eines Hauses, sowie der Entwurf eines Lebens, sowie der Entwurf eines Sat­zes, wird sich immer nur anhand von Mög­li­chem artikulieren. Und auch vor aller Arti­kula­tion ist nicht außerhalb dessen.
Es zeigt sich anhand dieser strahlenden Differenz zwischen Prospektmaterial und Musterhauspark die spezifische Verfasstheit von Eigenheim und Eigenheit. Der Imperativ „Sei autonom!“ besteht auch in Haid und, „Wir sind alle Individuen!“

„Ich nicht.“1

1    aus: Monty Python’s Life of Brian

www.afo.at
www.feedbackanddesaster.net
www.kmptt.net

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09/10
FotoautorInnen: 
Club Real/Theresa Luise Gindlstrasser

Eine neue Ahnin für spotsZ-Autorin Theresa Luise Gindlstrasser.

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