Der Anfang, das Ende, dazwischen wenig

Wilfried Steiner findet im todkomischen Roman „Bacons Finsternis“ wieder Parallelen zwischen Künstlerbiographie und erbärmlichen Alltag: Neben einer vielleicht nur halluzinierten Kriminal­geschichte wird auch ein ausgewähltes Bezugssystem aus Kunstkoordinaten aufgeschlagen.

Wir werden geboren. Wir sterben. Das ist alles. Zwischendurch erleben wir Liebe und Freude, Ein­samkeit und Schmerz. Wie es der englische Maler Francis Bacon (1909–1992), Besäufnissen keineswegs abgeneigt, gerne ausdrückte, dabei in seinen Trinksprüchen T. S. Eliot zitierend: „Birth, and co­pulation, and death – that’s all, that’s all, that’s all!“ Der Herr Papa hätte dem Sohnemann ja ger­ne seine Leidenschaften ausgetrieben. 1927 schick­­te er Francis Bacon mit einem Verwandten und be­kannten Frauenhelden namens Harcourt-Smith auf eine Reise nach Berlin. Doch Bacon war nicht zu „heilen“. „Er fickte einfach alles“, schreibt Bacon über den älteren Reisebegleiter. „Mein Vater glaub­te, er würde mich ändern. Aber natürlich änderte sich gar nichts, denn kurze Zeit später waren wir zusammen im Bett. Dieser Mann war schon sehr seltsam. Sehr hart – ein richtiges Tier. Ich glaube, es war ihm vollkommen egal, ob er mit einem Mann oder einer Frau schlief.“ Bacons Zeitge­nos­se Wil­li­am S. Burroughs kommentierte dessen Nei­gun­gen so: „Ich mag kleine Jungen“, so Burroughs, „und Bacon mag alternde LKW-Fahrer.“

Wie in seinem letzten Roman „Der Weg nach Xa­nadu“ (damals noch bei Insel erschienen) legt Wil­fried Steiner in „Bacons Finsternis“ die Folie einer Künstlerbiographie über das Schicksal ei­nes zeitgenössisch (vor allem an sich selbst) Lei­denden. „ ‚Wenn wir nach Hause kommen‘, sagte Isabel, ‚müssen wir uns trennen.‘ “ Mit diesem Zi­tat beginnt dieser famose Roman, ausgesprochen während eines Urlaubs auf Kreta. Arthur Valen­tin, der Ich-Erzähler, hält das Ganze natürlich zu­nächst für einen üblen Scherz. Aber zurück in der Heimat, packt Isabel die Koffer und ist nach 15 Jahren Ehe weg. Arthur, der das Erbe des Va­ters in einen Antiquitätenladen gesteckt hat, igelt sich zuhause ein, wird immer „seltsamer“. Seine Kollegin Maia, vormals hoffnungsfrohe Malerin, nach einem Unfall an den Händen verkrüppelt, hält den Laden am Leben. Valentin verlässt einmal sein Rattenloch und stößt im Wiener Kunst­his­to­ri­schen Museum auf Bilder Bacons. Valentin er­wacht aus seiner Lethargie. „Nichts strahlt heller“, kommentiert eine geheimnisvolle und schein­bar – zumindest in Kunstdingen – allwissende Maia, „als Bacons Finsternis.“

Wilfried Steiner, 1960 in Linz geboren, daselbst künstlerischer Leiter der Kulturstätte Posthof, nimmt sich in der Sommerpause zum Glück Zeit zum Schreiben. Was er auf den ersten 50 Seiten über das Liebeselend seines Helden schreibt, ge­hört zum Witzigsten, was seit Markus Werners überirdischem „Zündels Abgang“ über männliches Beziehungsleid gedichtet wurde. „Hochernie­drig­ten Hauptes“ stolpert dieser melancholische Clown durch die Geschichte, ein in Kultur vernarrter welt­­fremder Spinner, den auch sein arroganter In­tel­lekt nicht über konkrete Alltagser­bärm­lich­keit hin­weghilft: „Das Besondere am Älterwerden ist, dass es sich auf so unverschämte Weise der Dia­lektik entzieht. Alles wird schlechter, und basta.“
Valentin macht sich auf den Weg, Bacon und vielleicht ein wenig sich selbst zu entdecken. Der dra­maturgische Kniff, dass er in der Londoner Tate Gallery womöglich die fürchterlich vermisste Isabel samt neuem Partner bei einem Kunst­raub ertappt – geschenkt. Episodenhaft erzählt Steiner von einem patscherten Leben. Die Ohn­macht des Gebildeten, Sinnlosigkeit und Aber­witz des Alltags. Isabel hat auch ihr Fachgebiet, die Filmanalytikerin beackert das Genre Hor­ror­film. Der Alltag ist Horror, das beweist Wilfried Stei­ner mit seinem ebenso kurzweiligen wie intelligenten Roman „Bacons Finsternis“.

Wilfried Steiner: „Bacons Finsternis“. Deuticke, 289 Seiten.

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09/10
FotoautorInnen: 
Paul Klee „Angelus Novus“, 1920

Nicht nur Bacon, sondern auch Paul Klee taucht in Steiners Kunst-Bezugssystem auf: Als „Benjamins Engel der Geschichte“, der aus dem schockstarren Staunen nicht mehr herauskommt.

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