Knarre, Nadel, Scher und Licht ...
Freitag, 15. Oktober, großer Eröffnungstag im Wiener Belvedere; 9:40: diesiger Vormittag im Barockgarten. Gerade wird eine Metallskulptur beim Unteren Belvedere aufgestellt. Eine über vier Meter hohe, geöffnete verdoppelte Schere: „Doppelgängerin 2010“ von Valie Export. Vergrößerte Ausgabe der 2008 entwickelten Multiples. Während Arbeiter mit Schaufeln und Hebekran noch Hand anlegen, posieren Künstlerin und Museumsdirektorinnen für ein Gruppenfoto der hauseigenen Marketing- & Presseabteilung. Alle wirken entspannt und erleichtert, offenbar konnte der Zeitplan noch eingehalten werden. Die wenigen fleißigen TouristInnen, die zu dieser Stunde schon hier unterwegs sind, sehen erstaunt und interessiert zu. Kran verlässt den Schauplatz, Arbeiter packen ihre Werkzeuge in den weißen VW-Bus und rücken ab, die fotografierten Damen hingegen verschwinden im Inneren des Gebäudes, schließlich rückt der Termin der Pressekonferenz näher. So steht sie nun frei, die neue Spitzentänzerin, reckt die vier Scherengriffe nach oben. Ist es die sprichwörtliche Schere, die immer weiter aufgeht? Ein latent aggressiver Hinweis auf typische Frauenarbeit? Denkmal für ein feminines Stichwerkzeug? Ich lasse mir mögliche Interpretationen durch den Kopf gehen, während ich versuche, die „Doppelgängerin“ von tiefem Blickwinkel aus zu fotografieren: versuche, sowohl das Valie-Export-Logo als auch die Griffe ins Bild zu bekommen. Hocke, knie auf dem Boden, achte nicht auf die Umgebung. Nach einigen Versuchen stehe ich auf und sehe: Eine Gruppe von etwa zehn TouristInnen, die nun ebenfalls die Doppelschere knipst. Wofür sie dieses Objekt wohl halten?
10:10: Pressekonferenz: Kuratorin Angelika Nollert und Direktorin Agnes Husslein-Arco stellen Valie Exports Ausstellung Zeit und Gegenzeit vor: Im Mittelpunkt des Wiener Ausstellungsteils stünden performative Rauminstallationen, während im Lentos vor allem Auseinandersetzungen mit Sprache, Film- und Fotoarbeiten zu sehen wären. Export habe sich von Beginn an mit Raumerfahrung, erweitertem Skulpturenbegriff, Identität-Körper, Schnitt-Verdoppelung auseinandergesetzt. Die älteren Arbeiten seien mit neueren Werken der letzten 15 Jahre kontextualisiert. Die Räume seien jeweils von einem Hauptwerk der letzten Jahre dominiert, ältere, berühmt gewordene Werke seien als Zitate der Kunstgeschichte präsentiert. So zeige sich die Weiterentwicklung der bildnerischen Themen und Techniken der Künstlerin. Performance, Aktion, Film, Fotografie, Skulptur, Text, Neue Medien dienten ihr zur Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen. Danach beantwortet die Künstlerin einige Fragen, Technisches zur neuen Arbeit „Glottis“ beispielsweise.
Den provokanten frühen Arbeiten, die ständig mit ihr assoziiert werden, steht die Künstlerin heute professionell distanziert gegenüber. Verständlich, hat sie doch darüber hinaus ein bildnerisch relevantes Oeuvre geschaffen, das sich genauso kritisch mit sozial-politischen Fragen auseinandersetzt. Arbeiten, die vom Potential ihrem Frühwerk um nichts nachstehen. Wie beispielsweise die Rauminstallation „Fragmente der Bilder einer Berührung“ von 1994 bzw. 2010 (im ersten Raum der Belvedere-Ausstellung): Im abgedunkelten Raum bewegen sich 24 Glühlampen mechanisch auf und ab, tauchen ein in mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllte Glaszylinder: Milch, Öl, Wasser als essentielle Rohstoffe der westlichen Zivilisation. Verbunden mit redundanter Bewegung, möglicher Gefahr bei Berührung von Strom und Wasser, wechselnden Lichtqualitäten. Ambivalenz und poetische Leichtigkeit halten sich bei diesem Raumerlebnis die Waage. Tödliche Stromstöße präsentiert die Videoarbeit im nächsten Raum: „Die Praxis des Lebens“ (1983/ 84) Monitore zeigen Hände, die nach Berührung eines Starkstromkabel zurückzucken. Gruppiert mit Fotos von Stromtoten um eine sechseckige Ölwanne. Täglich genützte Energie in ihrer letalen Form. An den Wänden desselben Raumes: verstörende „Kinderzeichnungen“ und das Modell eines Monuments: „Orte des Menschen“ (1974), das allerdings nie ausgeführt wurde, eine schützend ausgestreckte Hand, deren Finger mit Nägeln durchbohrt sind. Ein Mahnmal von Schutz und Schmerz, ursprünglich als Kriegerdenkmal konzipiert. In einem kleinen Nebenraum projiziert ein Laserstrahl auf Kalksteinplatten am Boden folgende Frage: „Gibt es etwas, das nicht durch ein Bild/Zeichen ausgedrückt werden kann?“ (1998/2010) Die Vergänglichkeit der Projektion kontrastiert mit der Schwere des Steinmaterials, in das sonst dauerhaftere Botschaften eingemeißelt werden. Eine Arbeit, die Kommunikation zum Linzer Ausstellungsteil herstellt. Die 24teilige Arbeit „Der Riss im Wort“ (2010) im Lentos: Ein Text von Unica Zürn raumhoch schwarz auf PVC-Folien gedruckt, fragmentiert, schwer lesbar. Eine Auseinandersetzung mit sprachwissenschaftlichen Fragenstellungen. Zurück nach Wien, nächster Raum, Marmorsaal: Schön, aber stumm blickt die barocke Quell-Göttin auf Exports 32-teiligen Monitorquader: „Glottis“ (2007/2010) – jene menschliche Stimmritze, die Artikulation und Sprache erst ermöglicht. Mit einem Laryngoskop (ein medizinisches Gerät zur Betrachtung des Kehlkopfs) hat Export ihr eigenes Organ gefilmt, während sie einen theoretischen Text rezitierte. Wie sie ironisch bemerkte, ist die Glottis „nicht gendermäßig zuzuordnen“. Das Innere des Körpers zu filmen war, wie sie berichtete, physisch äußerst fordernd. Der anschließende Raum ist örtlicher Erfahrung gewidmet: „Körperfigurationen“, jene bekannten Fotoarbeiten von 1982, die Anpassung der Körperhaltungen an vorhandene Architekturen thematisieren – Einordung, Zupassung. Sowie eine Videoarbeit von 1978 bzw. 2010; Zwei rotierende Videokameras nehmen Details eines (mit schwarz/weißen Streifen versehenen) Raumes, sowie des im Nebenraum anwesenden Publikums auf und zeigen diese Fragmente auf zwei übereinander platzierten Monitorreihen: „Adjungierte Dislokationen III.“ So werden unterschiedliche Raumteile verbunden zu einem Kaleidoskop der optischen Erfahrung. Der nächste Saal vermittelt erneut eine spannungsreiche Verbindung von Arbeiten unterschiedlicher Schaffensphasen. Die Installation „Kalashnikov“ von 2007, bestehend aus 109 auf ein Gerüst montierte Schnellfeuergewehren. Die Anordnung steht in einer quadratischen flachen Wanne mit schwarz schimmerndem Altöl, dessen Geruch im ganzen Raum wahrnehmbar ist. Kommentiert Filmaufnahmen von Erschießungen und Bombardierungen. Konfrontiert mit der frühen Arbeit „Hyperbulie“: jenem bekannte Beispiel feministischer Medienkunst von 1973, wo Valie Export sich nackt durch einen Korridor aus stromführenden Drähten bewegt. Jede Berührung der Drähte versetzt ihr einen Stromstoß, bis sie schließlich schmerzerfüllt zu Boden geht. Im Gespräch interpretiert sie heute beide Arbeiten so: „Beide Male geht es um die schmerzhafte Konfrontation mit Konventionen einer Gesellschaft. Sowohl der Kontakt mit Gewehren/Waffenhandel als auch jener mit stromführenden Draht schädigen ein Individuum bis zur völligen Zerstörung.“ Potentiell schmerzhaft auch die in der Videoinstallation „Die unendliche/ähnliche Melodie der Stränge“ (1998) gezeigten Nähmaschinennadeln in Aktion auf 45 Monitoren. Einerseits Verweis auf typische, gleichförmige Frauenarbeit: der Ausstellungssaal wandelt sich gleichsam zum „sweatshop“. Andererseits wieder ein periphäres Objekt, das auch als Stichinstrument eingesetzt werden kann. Hier wieder ein Konnex zum Lentos in Linz: Drei überdimensionierte „Nadeln“ (2010) bewegen sich bedrohlich über einem am Boden liegenden Kinderkleid auf und ab. In Wien ist der Topos Nadel sinnigerweise durch Zitate früherer Arbeiten wie „Aktionshose: Genitalpanik“ (Fotoarbeit von 1969: Selbstportrait mit aufgeschnittener Hose und Gewehr im Anschlag) sowie, „Body Sign Action“ (Abbildung des 1970 tätowierten Strumpfbandes am Oberschenkel) kommentiert. Im letzten Raum der Wiener Ausstellung: „Salzburger Zyklus“, eine Kunst-am-Bau-Arbeit von 2001, wo Fassadenteile der örtlichen „Chirurgie West“ mit Portraits der dort arbeitenden Krankenschwestern verbunden werden. Die Skulptur „Geteilte Stühle“ von 1974/2010, wo Leuchtstoffröhren durch Sitzflächen und Lehnen schwarze Stühle dem bloßen Gebrauchswert entheben.
19:30: Die Vernissage ist in vollem Gange, kunstinteressiertes Publikum von StudentInnen bis zur Bundesministerin füllt die Räume. Applaus und Händedrücken für die in Linz geborene und aufgewachsene Künstlerin. Valie Export schwimmt auf einer Erfolgswelle: Aufträge und Ausstellungen reihen sich aneinander: Heuer: Foyergestaltung im Theater an der Wien, graphische Gestaltung des heurigen „Vorzugssparbuches“ einer bekannten Bank (Fotografie aus ihrer Grönlandserie) sowie Gestaltung des Österreichischen Filmpreises. Die einst angefeindete Avantgardekünstlerin, Theoretikerin und Kuratorin (Biennale Venedig 2009) genießt in den letzten Jahren ihre wohlverdiente Anerkennung in Form von staatlichen Auszeichnungen (zuletzt 2005), Ehrendoktoraten (Kunstuniversität Linz 2009) und internationalen Präsentationen oder einer geplanten Personale im Kunsthaus Bregenz nächstes Jahr. Fortsetzung folgt voraussichtlich.
Zeit und Gegenzeit, Personale in Lentos Linz und Belvedere Wien bis 30. Jänner 2011.
www.valieexport.org
Valie Export „Doppelgängerin“, 2010
Valie Export „Glottis“, 2007/2010
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