Knarre, Nadel, Scher und Licht ...

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Ein Tag mit/um Valie Export, einer mittlerweile etablierten Künstlerin, die sich seit den 70er Jahren Raum/Zeiterfahrung, Feminismus und Gesellschaftskritik widmet: Karin Hofer schreibt über die Personale „Zeit und Gegenzeit“, die aktuell im Belvedere Wien und Lentos Linz zu sehen ist.

Freitag, 15. Oktober, großer Eröffnungstag im Wiener Belvedere; 9:40: diesiger Vormittag im Barockgarten. Gerade wird eine Metallskulptur beim Unteren Belvedere aufgestellt. Eine über vier Meter hohe, geöffnete verdop­pelte Schere: „Doppelgängerin 2010“ von Valie Export. Vergrößerte Ausgabe der 2008 entwickelten Multiples. Während Arbeiter mit Schaufeln und He­bekran noch Hand anlegen, posieren Künstlerin und Museumsdirektorinnen für ein Gruppenfoto der hauseigenen Marketing- & Presseabteilung. Alle wir­ken entspannt und erleichtert, offenbar konnte der Zeitplan noch eingehalten werden. Die wenigen fleißigen TouristInnen, die zu dieser Stunde schon hier unterwegs sind, sehen erstaunt und interessiert zu. Kran verlässt den Schau­platz, Arbeiter packen ihre Werkzeuge in den weißen VW-Bus und rü­cken ab, die fotografierten Damen hingegen verschwinden im Inneren des Ge­­bäu­des, schließlich rückt der Termin der Pressekonferenz näher. So steht sie nun frei, die neue Spitzentänzerin, reckt die vier Scherengriffe nach oben. Ist es die sprichwörtliche Schere, die immer weiter aufgeht? Ein latent ag­gressiver Hinweis auf typische Frauenarbeit? Denkmal für ein feminines Stich­werk­zeug? Ich lasse mir mögliche Interpretationen durch den Kopf ge­hen, während ich versuche, die „Doppelgängerin“ von tiefem Blickwinkel aus zu fotografieren: versuche, sowohl das Valie-Export-Logo als auch die Grif­fe ins Bild zu bekommen. Hocke, knie auf dem Boden, achte nicht auf die Umgebung. Nach einigen Versuchen stehe ich auf und sehe: Eine Grup­pe von etwa zehn TouristInnen, die nun ebenfalls die Doppelschere knipst. Wofür sie dieses Ob­jekt wohl halten?

10:10: Pressekonferenz: Kuratorin Angelika Nollert und Direktorin Agnes Husslein-Arco stellen Valie Exports Ausstellung Zeit und Gegenzeit vor: Im Mittelpunkt des Wiener Ausstellungsteils stünden performative Raumins­tal­lationen, während im Lentos vor allem Auseinandersetzungen mit Spra­che, Film- und Fotoarbeiten zu sehen wären. Export habe sich von Beginn an mit Raumerfahrung, erweitertem Skulpturenbegriff, Identität-Körper, Schnitt-Verdoppelung auseinandergesetzt. Die älteren Arbeiten seien mit neueren Werken der letzten 15 Jahre kontextualisiert. Die Räume seien jeweils von einem Hauptwerk der letzten Jahre dominiert, ältere, berühmt gewordene Werke seien als Zitate der Kunstgeschichte präsentiert. So zeige sich die Wei­­terentwicklung der bildnerischen Themen und Techniken der Künst­ler­in. Performance, Aktion, Film, Fotografie, Skulptur, Text, Neue Medien dienten ihr zur Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen. Da­nach beantwortet die Künstlerin einige Fragen, Technisches zur neuen Ar­beit „Glottis“ beispielsweise.
Den provokanten frühen Arbeiten, die ständig mit ihr assoziiert werden, steht die Künstlerin heute professionell distanziert gegenüber. Verständlich, hat sie doch darüber hinaus ein bildnerisch relevantes Oeuvre geschaffen, das sich genauso kritisch mit sozial-politischen Fragen auseinandersetzt. Ar­beiten, die vom Potential ihrem Frühwerk um nichts nachstehen. Wie beispielsweise die Rauminstallation „Fragmente der Bilder einer Berührung“ von 1994 bzw. 2010 (im ersten Raum der Belvedere-Ausstellung): Im abgedunkelten Raum bewegen sich 24 Glühlampen mechanisch auf und ab, tauchen ein in mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllte Glaszylinder: Milch, Öl, Wasser als essentielle Rohstoffe der westlichen Zivilisation. Verbunden mit re­dundanter Bewegung, möglicher Gefahr bei Berührung von Strom und Was­ser, wechselnden Lichtqualitäten. Ambivalenz und poetische Leich­tig­keit hal­­ten sich bei diesem Raumerlebnis die Waage. Tödliche Stromstöße präsentiert die Videoarbeit im nächsten Raum: „Die Praxis des Lebens“ (1983/ 84) Monitore zeigen Hände, die nach Berührung eines Starkstromkabel zu­rück­zucken. Gruppiert mit Fotos von Stromtoten um eine sechseckige Öl­wan­ne. Täglich genützte Energie in ihrer letalen Form. An den Wänden desselben Rau­mes: verstörende „Kinderzeichnungen“ und das Modell eines Mo­nu­ments: „Orte des Menschen“ (1974), das allerdings nie ausgeführt wurde, eine schüt­zend ausgestreckte Hand, deren Finger mit Nägeln durchbohrt sind. Ein Mahnmal von Schutz und Schmerz, ursprünglich als Krieger­denk­mal konzipiert. In einem kleinen Nebenraum projiziert ein Laserstrahl auf Kalk­steinplatten am Boden folgende Frage: „Gibt es etwas, das nicht durch ein Bild/Zeichen ausgedrückt werden kann?“ (1998/2010) Die Vergäng­lich­keit der Projektion kontrastiert mit der Schwere des Steinmaterials, in das sonst dauerhaftere Botschaften eingemeißelt werden. Eine Arbeit, die Kom­mu­ni­kation zum Linzer Ausstellungsteil herstellt. Die 24teilige Arbeit „Der Riss im Wort“ (2010) im Lentos: Ein Text von Unica Zürn raumhoch schwarz auf PVC-Folien gedruckt, fragmentiert, schwer lesbar. Eine Auseinan­der­set­zung mit sprachwissenschaftlichen Fragenstellungen. Zurück nach Wien, nächster Raum, Marmorsaal: Schön, aber stumm blickt die barocke Quell-Göttin auf Exports 32-teiligen Monitorquader: „Glottis“ (2007/2010) – jene menschliche Stimmritze, die Artikulation und Sprache erst ermöglicht. Mit einem Laryngoskop (ein medizinisches Gerät zur Betrachtung des Kehl­kopfs) hat Export ihr eigenes Organ gefilmt, während sie einen theoretischen Text re­zitierte. Wie sie ironisch bemerkte, ist die Glottis „nicht gendermäßig zuzu­ord­nen“. Das Innere des Körpers zu filmen war, wie sie berichtete, physisch äußerst fordernd. Der anschließende Raum ist örtlicher Erfahrung gewidmet: „Körperfigurationen“, jene bekannten Fotoarbeiten von 1982, die An­pas­sung der Körperhaltungen an vorhandene Architekturen thematisieren – Einordung, Zupassung. Sowie eine Videoarbeit von 1978 bzw. 2010; Zwei ro­tierende Videokameras nehmen Details eines (mit schwarz/weißen Strei­fen versehenen) Raumes, sowie des im Nebenraum anwesenden Publikums auf und zeigen diese Fragmente auf zwei übereinander platzierten Moni­tor­reihen: „Adjungierte Dislokationen III.“ So werden unterschiedliche Raum­teile verbunden zu einem Kaleidoskop der optischen Erfahrung. Der nächste Saal vermittelt erneut eine spannungsreiche Verbindung von Ar­beiten unterschiedlicher Schaffensphasen. Die In­stallation „Kalashnikov“ von 2007, bestehend aus 109 auf ein Gerüst montierte Schnellfeuer­ge­weh­ren. Die An­ordnung steht in einer quadratischen flachen Wanne mit schwarz schim­mern­dem Alt­öl, dessen Geruch im ganzen Raum wahrnehmbar ist. Kom­men­tiert Filmaufnahmen von Er­schie­ßun­gen und Bombardierungen. Kon­fron­tiert mit der frühen Arbeit „Hyperbulie“: jenem bekannte Bei­spiel feministischer Medienkunst von 1973, wo Va­lie Export sich nackt durch einen Kor­ridor aus stromführenden Drähten bewegt. Jede Berührung der Drähte versetzt ihr einen Stromstoß, bis sie schließlich schmerzerfüllt zu Boden geht. Im Ge­spräch interpretiert sie heute beide Arbeiten so: „Beide Male geht es um die schmerzhafte Kon­fron­tation mit Konventionen einer Gesellschaft. So­wohl der Kontakt mit Gewehren/Waffenhandel als auch jener mit stromführenden Draht schädigen ein In­dividuum bis zur völligen Zerstörung.“ Poten­tiell schmerzhaft auch die in der Videoinstallation „Die unendliche/ähnliche Melodie der Stränge“ (1998) gezeigten Nähmaschinennadeln in Aktion auf 45 Monitoren. Einerseits Verweis auf typische, gleich­förmige Frauen­ar­beit: der Ausstellungssaal wandelt sich gleichsam zum „sweatshop“. Ande­rer­seits wieder ein periphäres Objekt, das auch als Stichinstrument eingesetzt werden kann. Hier wie­der ein Konnex zum Lentos in Linz: Drei überdimensionierte „Nadeln“ (2010) bewegen sich be­droh­lich über einem am Bo­den liegenden Kin­der­kleid auf und ab. In Wien ist der Topos Nadel sinniger­weise durch Zitate früherer Arbeiten wie „Aktionshose: Genitalpanik“ (Foto­ar­beit von 1969: Selbstportrait mit aufgeschnittener Hose und Ge­wehr im An­schlag) sowie, „Body Sign Action“ (Ab­bildung des 1970 tätowierten Strumpf­bandes am Oberschenkel) kommentiert. Im letzten Raum der Wiener Aus­stel­lung: „Salzburger Zyklus“, eine Kunst-am-Bau-Arbeit von 2001, wo Fas­sa­denteile der örtlichen „Chirurgie West“ mit Portraits der dort arbeitenden Kran­kenschwestern verbunden werden. Die Skulptur „Geteilte Stühle“ von 1974/2010, wo Leuchtstoffröhren durch Sitzflächen und Lehnen schwarze Stüh­le dem bloßen Gebrauchs­wert entheben.

19:30: Die Vernissage ist in vollem Gange, kunstinteressiertes Publikum von StudentInnen bis zur Bun­desministerin füllt die Räume. Applaus und Hän­dedrücken für die in Linz geborene und aufgewachsene Künstlerin. Valie Export schwimmt auf einer Erfolgswelle: Aufträge und Ausstel­lun­gen reihen sich aneinander: Heuer: Foyerge­stal­tung im Theater an der Wien, graphische Gestal­tung des heurigen „Vorzugssparbuches“ einer be­kannten Bank (Fotografie aus ihrer Grönland­se­rie) sowie Gestaltung des Österreichischen Film­prei­ses. Die einst angefeindete Avantgardekünstlerin, Theoretikerin und Kuratorin (Biennale Venedig 2009) genießt in den letzten Jahren ihre wohlverdiente Anerkennung in Form von staatlichen Aus­­zeichnungen (zuletzt 2005), Ehrendoktoraten (Kunst­universität Linz 2009) und internationalen Präsentationen oder einer geplanten Personale im Kunsthaus Bregenz nächs­tes Jahr. Fortsetzung folgt voraussichtlich.

Zeit und Gegenzeit, Personale in Lentos Linz und Belvedere Wien bis 30. Jänner 2011.
www.valieexport.org

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FotoautorInnen: 
Karin M. Hofer

Valie Export „Doppelgängerin“, 2010

Valie Export „Glottis“, 2007/2010

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