Aus der Ferne
„Ja, sicher hab ich die Meldung gehört“ – Ani sitzt neben mir im Auto und blickt mich etwas verwundert von der Seite an. „Ja, und wie ist das für dich? Schließlich bist du auch ein armenisches 14jähriges Mädchen – ich bin so erschrocken, als ich heute früh in den Nachrichten davon gehört habe ...“ – „Ach, ich stelle mir schon lange vor, wie es wohl im Gefängnis sein wird.“
Ani übt sich in Abgeklärtheit, während ich versuche, den Wagen zu lenken, obwohl die Sicht plötzlich wässrig trüb ist. Ohne es auszusprechen, haben ich und Anis Mutter uns auf eine Art undramatische Annäherung an ein höchst dramatisches, mögliches Ereignis geeinigt. Nicht weinen, möglichst pragmatisch darüber reden, möglichst rationell sich auf das Irrationale vorbereiten.
„Nimmst du unseren Fernseher? Ich glaube nicht, dass wir ihn mitnehmen können, er ist zu groß – ich will euren Fernseher nicht, Haikanusch, aber den Geschirrspüler könnte ich dir abkaufen – danke, Wiltrudchan, aber den löst uns der Hausbesitzer ab.“
Nur wenn die Kinder nicht dabei sind, dann erlaubt sich Anis Mutter Haikusch – oder eben Haikanusch, wenn man der armenischen Vorliebe für Verniedlichungen nachkommen möchte – einen Moment Resignation, Traurigkeit und unglaubliche Müdigkeit. Zusätzlich zu ihrer Arbeit als Putzfrau, der sie völlig legal und angemeldet seit fast 8 Jahren nachkommt, muss die 32jährige nun sich selbst und ihre Familie darauf vorbereiten, dass sie unter Umständen alle vier demnächst Österreich verlassen werden müssen. Noch gibt es die Hoffnung, dass der Antrag auf Niederlassungsbewilligung aufgrund guter Integration genehmigt wird – allerdings gaben die Meldungen der letzten Tage und Wochen so derart widersprüchliche Signale, dass niemand mehr weiß, woran zu glauben Sinn macht.
Haikusch und ihr Mann Karen haben mich vor ein paar Wochen gebeten, für diesen Antrag ein „Empfehlungsschreiben“ zu verfassen.
„Was soll da drin stehen? – Ich weiß es nicht genau Witrudchan, etwas Nettes über uns – Darf ich erwähnen, dass ich Karen für einen Macho halte? – Ich weiß nicht, mögen österreichische Beamte Machos? – Könnte sein, dass es ein Zeichen für gute Integration ist – Dann erwähne bitte, dass du Karen für einen Macho hältst.“
Wie bringt man eine freundschaftliche Beziehung in all ihren Facetten und manchmal Widersprüchlichkeiten zu Papier? Soll ich alle Abende erwähnen, die wir miteinander verbracht haben – auch jene, an denen Karen und ich uns mal wieder gestritten haben, weil er wirklich manchmal ein unerträglicher Macho sein kann? Wie soll ich die haikanuschen Backkünste darstellen, jene armenischen Süßspeisen, die in ihrer Kombination aus Blätterteig und russischer, gezuckerter, eingedickter Kondensmilch als freundschaftliches Bekochen ebenso wie als brutale Anschläge auf meine Figur zu werten wären? Muss ich erwähnen, dass es ganz allein meine Schuld ist, dass Haikusch auch nach 8 Jahren noch „planieren“ anstelle von „planen“ sagt – ich habe ihr nie widersprochen oder sie ausgebessert, wenn wir uns für den Abend etwa verabredet haben, weil doch „planieren“ ein so viel schöneres Wort ist – dass meine Begeisterung für Akzente und falsch verwendete Wörter nun womöglich als Zeichen für Lernunwilligkeit stehen könnte, daran habe ich leider nie gedacht.
„Du sprichst übrigens auch schnorrhakalutsjun nicht ganz richtig aus. – Ich weiß, Haikanusch, aber wer spricht schnorrhakalutsjun wirklich richtig aus? – Sag einfach Merci, wenn du Danke sagen willst, so wie wir. – Nein, Haikanusch, ich mag das Wort. – Dann sag ich weiterhin planieren. – Dann ist es gut.“
Auch wenn der oben stehende Text sehr persönlich gehalten ist – niemand, außer mir, kann sagen, ob er wahr oder erfunden ist. Egal wie persönlich der Kontakt zu AsylwerberInnen, ZuwanderInnen, MigrantInnen ist – es betrifft jedes Mal jemandes FreundIn und es darf nicht der Zufall darüber bestimmen, ob jemand hier bleiben kann oder nicht. Die medialen Bilder und Berichte der letzten Wochen waren wieder einmal viel zu stark von Persönlichem geprägt, so dass einmal mehr klar wurde, wie wenig Asyl- und Zuwanderungspolitik in Österreich von langfristigen, durchdachten Konzepten geprägt ist und wie abhängig eine öffentliche Auseinandersetzung von der medialen „Verwertbarkeit“ der einzelnen Menschen ist. Ob sich jemals eine Regierung findet, die so ein Konzept endlich in Angriff nimmt, bleibt abzuwarten und anzuzweifeln – jedenfalls muss endlich damit Schluss sein, dass die Auswirkungen dieses jahrelangen, unfassbar feigen Wankelmuts unsere FreundInnen und deren Kinder zu tragen haben – und zwar völlig unabhängig davon, ob sie besonders hübsch oder gescheit oder beliebt sind.
& Drupal
spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014