Proletarischer Mikrokosmos

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Im Herbst 2008 war in Traun „Kunst und Alltag im temporären Museum ArbeiterInnensiedlung“ zu sehen. Wegen des großen Echos wurde die Ausstellung im Februar wieder aufgenommen und läuft nun noch bis 15. März.

Das Ausstellungsprojekt „Hammerweg“ in der Trau­n­er Hammer­wegsied­lung wurde initiiert und konzipiert von Alenka Maly, Eugenie Kain und Bi­bi We­ber. Dabei wurden die sechs verbliebenen Häuser, deren Wohnungen be­reits zum Großteil leer stehen, für einige Wochen zum Museum: Künst­ler­In­nen, die in der Siedlung aufgewachsen sind oder dort län­gere Zeit ihren Le­bensmittelpunkt hatten, setzten sich mit der Siedlung in direkter oder assoziativer Weise auseinander. Und das waren deren Künst­ler­Innen viele – be­zeichnenderweise, wie Tina Leisch in ihrem Vorwort zum Katalog schreibt, habe der Hammerweg trotz seines Status als Sozial­wohn­sied­lung unverhält­nismäßig viele Kunst­schaf­fen­de und eben keine Verbrecher oder Sozialfälle hervor­gebracht, doch dazu weiter unten. Die Siedlung wur­de Anfang der 50­er Jahre von der Stadt Traun er­baut und ist nun dem sukzessiven Abriss preisgegeben: Wenn eine Wohnung leer wird, wird sie nicht weitervermietet, wenn ein Haus leer steht, wird es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Die Bespielung von Leerständen mit Kunst ist oft mit immensen Schwie­rig­kei­ten verbunden, wegen der Besitzer, die Schlimmes wie Hausbesetzung wit­­tern oder wegen BewohnerInnen, die in ihrer Ru­he nicht gestört werden wollen. An der Ober­flä­che mit dem Aspekt Leerstand operierend, schaffte Alen­ka Maly auf Grund ihrer speziellen künstleri­schen wie persönlichen Be­züge die anderwärtige musea­le Befüllung mit links. Als „Hammerweg-Heim­­keh­rerin“ wurden ihre künstlerischen Ambitionen mit offenen Armen aufgenommen und von Stellung­nah­men wie dieser begleitet: „Wüsche Dir und Euch ganz viel Erfolg mit dieser Ausstellung. Sehe mir das gerne an, da ich mich noch sehr gut erinnern kann, wie wir bis 1961 zu fünft auf 28 m2 gelebt haben.“ Und die Nähe des Zusammenlebens, die über der ganzen Sied­lung und über dem Erinnern schwebt, die Enge, die Dichte und die Weh­mut über den Verlust dieser Intensitäten kann wohl unter an­derem mit einem Projekt von Nicole Foelsterl verdeutlicht werden, die durch Zimmer, Küche, Ka­bi­nett ein dicht geknüpftes Fadengeflecht durch den Raum spann­te, durch das die faszinierte Besu­cher­in nur einen schmalen Weg findet, um etwa in der Nebenwohnung auf ein Projekt von Alenka Maly zu stoßen, die sich in Videos den vielfarbigen Kind­heitserinnerungen der mittlerweile er­wachsenen Ham­merweg-Kinder widmet. Immerhin lebten 1954 auf engstem Raum noch 68 Kinder mit ihren Fa­mi­lien, während heute kein einziges Kind mehr in der Siedlung zuhause ist.

Neben der Intimität und dem Erinnern der vielen dort aufgewachsenen oder dort lebenden Men­schen zentriert sich das Projekt zu einem wesentlichen Teil um Alenka Malys Vater Gust Maly – und sei­ne persönlichen Bezug­schaf­ten innerhalb der Sied­lung. Der maultrommelnde Gust Maly erschient in einer Wohneinheit als Videoschleife zwischen Text­fragmenten und anderen Werkstücken, zusam­men­gespannt mit Eugenie Kain, die im Kabinett der Woh­­nung in einer Leseinstallation auf die Wand projiziert, aus einem ihrer Bücher vorträgt. Kains Buch „Flüsterlieder“ versammelt Erinnerungen an ih­ren verstorbenen Mann Gust Maly und beschreibt un­ter anderem eine le­ben­dige Praxis, in der sich die Großfamilie an den Feiertagen in der Küche der Mut­ter ihrer Herkunft erinnerte. Von Brenn­nes­seln oder Friedhofs­mut­pro­ben ist die Rede, aber auch von der ersten Band Malys, die in der Wohn­küche der Familie probte. Das greift dann sogleich in mannigfaltige andere Ergänzungen: Im Text stand der Erfolg, der sich durch die Band einstellen sollte, dem Frust der Mutter gegenüber, weil der teure, neue Linoleum-Kü­chen­boden sogleich von der jun­gen Band beschädigt wurde; andernorts spürt man die Tatsache auf, wie mit Konflikten auch umzuge­hen möglich war: Der um vier Uhr früh aufstehen­de Bäckermeister rief in seinem nächtlichen Är­ger über den musikalischen Lärm nicht die Polizei, son­dern drehte lediglich die Sicherungen heraus, um endlich schlafen zu können; und beim An­sehen der Installation erzählt ein zumindest temporärer Weg­begleiter Malys von einem gemeinsamen Konzert vor der Zwentendorfabstimmung, irgendwo draußen am Land, und dass damals, am Abend vor der Abstimmung noch gesetzliches Alkoholaus­schank­verbot galt – wie die Zeiten sich doch än­dern. Die Stimmung einer „größeren Familie“, wo die Übergänge zwischen den Kernfamilien fließend waren, war jedenfalls eine offene und spürbare.

Ganz allgemein berührte das Projekt auf vielschich­tige Weise. Die künstlerischen Bearbeitungen reich­­ten von Klanginstallationen zu Objektbear­bei­tun­­gen, von Sprache zu Bildern, von Alltagsfrag­men­ten zu einer soziokultu­rel­len Feldforschung in einem Mikrokosmos proletarischen Lebens. Zwi­schen Pup­pen auf Betten, ornamentalen Tapetenmustern, Me­terware, Mö­bel­stü­cken, Tisch, Bett und sonstwas ließ sich auch ein Stück eigene Vergan­gen­heit entdecken. Und eine magische Mischung, die jenseits jeder Sozial­ro­man­­tik zwischen künstlerisch be­deu­tendem Lebenswerk, zeitgenössischer Kunst, All­tags­kultur und einer Geschichte von unten oszilliert – deren be­ste­chendste Eigenschaft in einer vollstän­digen Ambivalenz von Nähe und Freiraum auszudrücken ist: Es wird erzählt von der Beengtheit des Raumes bis zur Gemeinschaftserfahrung des Zu­sam­menhalts, von der Unent­schie­den­heit zwischen Toleranz und Ignoranz, von einer wärmenden Iden­tität der Herkunft als „HammerweglerIn“ bis zur Angst vor der Unentrinnbarkeit sozialer Schicht­zu­gehörigkeit. Dass die Geschichte von un­ten aber an entscheidenden Punkten auch wieder aufgebrochen wird, schreibt Alenka Ma­ly in ei­nem Text, in dem sie Umgang, Toleranz, Autorität und All­tag in der Sied­lung reflektiert, um diese wilde Gebor­gen­heit einer Kenntnis gegenüber zu stellen, die nicht nur den Vater wachgerüttelt hat und aus der kleinen Siedlung ausbrechen hat lassen wollen: Die Exis­tenz Mauthausens, außerhalb des Vor­stellbaren.

Das Offensichtliche stellt Vorwortverfasserin Tina Leisch dann noch einmal in einen anderen Zusam­menhang des intimen Blickes: Dass eben von den dort in großer Nähe aufwachsenden und lebenden Menschen eine beachtliche Anzahl Kunst­schaf­fen­der hervorgegangen ist, die mit einem aufmerksamen Blick „auf die schönen Seiten des Lebens, aber auch in ihre Abgründe und Zwischenwelten“ ge­schaut haben. Und sich so ein umfassendes Wis­sen über die menschliche Verfasstheit angeeignet haben. Und dass Respekt in diesem Mikrokosmos sich in einer Großzügigkeit des Blickes äußern konn­te, der nicht die Schwächen der Mitmenschen fo­kus­sierte – im Gegensatz zu einer Fixierung des Se­hens, das heute durch Reality-TV ihren Intimi­täts­ersatz gefunden hat, der jenseits jeder Soli­da­rität umso schauriger respektlos erscheint.

Die Ausstellung wurde wegen des beeindruckenden Echos im Februar wieder aufgenommen. Nach­dem das Projekt in der Entwicklungsphase von Linz09 für noch gar nicht so interessant befunden wurde, wird es jetzt aber, eben wegen der beeindruckenden Wirkung, zumindest mit einem Shut­tlebus-Service unterstützt. Wie praktisch!

Die Ausstellung ist jeweils Fr, Sa und So von 12.00 bis 17.00 h ge­öffnet, Hammerweg 70A-76A
Mehr Information zur Ausstellung unter www.hammerweg.at
Shuttlebus von Linz09: Abfahrt jeweils um 11.30 h, 13.00 h und 14.30 h, Untere Donaulände 26 (Linz09-Bushaltestelle gegenüber dem Lentos). Rückfahrt jeweils zwei Stunden später.
Dieser Artikel wurde zuerst in der Versorgerin #80, Dezember 2008, abgedruckt.

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03/09
FotoautorInnen: 
Alenka Maly

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