Stillsitzen ist eine ernste Angelegenheit

Norbert Trawöger organisiert in Wels seit Jahren eine Konzertreihe mit Musik von Komponisten, die unter dem NS-Regime als „entartet“ galten. Für „verboten, verfolgt“ wurde er von der Welser Initiative gegen Faschismus mit dem Elfriede-Grünberg-Preis ausgezeichnet. Der umtriebige „spielende, lehrende und schreibende Musiker“ bestellt darüber hinaus auf unkonventionelle Weise das Feld der klassischen Musik. Reinhard Winkler spricht mit Norbert Trawöger über „Eliten“.

Ist dein Interesse für die verbotenen Musiker im dritten Reich musikalisch oder historisch?
Ich hab in den frühen 90er Jahren begonnen, mich damit zu beschäftigen. Erst mal einfach aus dem heraus, ob’s da nicht Stücke gibt, die niemand kennt und die ich spielen könnte. Ich hab dabei ganz tolle Sachen entdeckt. Wie etwa die Schulhoff Sonate, die heute wieder zum gängigen Flöten­reper­toire gehört. Seit 2000 organisiere ich jährlich „verboten, verfolgt“, wobei ich heute vor allem programmiere und moderiere. Es ist eine schöne Arbeit, nach solchen Dingen zu forschen und durch Erinnerung an Vergangenes Be­wusstsein für Gegenwärtiges zu schaffen.

In der Fotografie wurde August Sander für sein Werk „Antlitz der Zeit. Sech­zig Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts“ von den Nazis boy­kottiert. Als ich die Sander-Fotos das erste Mal gesehen habe, hab ich mich ehrlich gesagt gewundert, warum sich die Nazis dadurch bedroht fühlten. Bei intensiverer Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten wird einem na­tür­lich schnell klar, wie subversiv sie in diesem Kontext wirken. War der Grund für die Verbannung der Musiker auch oft der Inhalte wegen?
In erster Linie waren’s schon rassistische Gründe. Wenn die Musik selbst der Grund war, dann meistens, weil sie Jazz- und Avantgarde-Einschläge hat­te. Jazz galt ja als „Negermusik“ und war verboten. Also letztlich doch auch wie­der rassistische Gründe. Der Rest mag im künstlerischen, „nicht-arischen“ Aus­druck gelegen haben. Wenn die Gestaltung abstrakt geworden ist, wenn et­was nicht fassbar, nicht nachsing- oder nachmalbar war, ha­ben die Nazis allergisch reagiert.

Funktioniert Abstraktion in der Musik nicht trotzdem anders als in anderen Disziplinen? Über Text, Bild kann ich konkrete Botschaften formulieren. Das ist mit Musik kaum möglich. Ist Musik also nicht per se Abstraktion? Macht sie das politisch unverdächtiger?
Ich seh den Unterschied von Musik zu anderen Künsten in ihrer Flüchtig­keit. Wenn Du jetzt ein Wort zu mir sagst, kann ich mir die Bedeutung des Wor­tes merken. Sicher kann ich auch etwas nachsingen, aber nie so, wie ich es gehört habe. Es trifft uns tiefer, unsagbarer.

Kann Musik so überhaupt politisch wirksam sein? Gibt’s so etwas wie antifa­schistische Musik?
Es passiert wohl eher andersrum: Musik wird wegen ihrer subversiven Kraft instrumentalisiert, nicht nur von totalitären Regimen, auch als manipulierende Stimulanz beim Einkaufen. Grotesk fand ich, dass Franz Hum­mel den „Fouché“ in seiner gleichnamigen Oper (Schauspieloper von Franz Hummel am 9.1. 2009 im Posthof, Anm. d. Red.) mit der sprichwörtlichen Begrün­dung „Böse Menschen haben keine Lieder“ nur sprechen ließ. Wer hat Mu­sik denn mehr für eigene Zwecke missbraucht als die diktatorische Herr­schaft? Musik hat die Kraft, „unterschwellig“ aufzustacheln, für etwas be­reit zu ma­chen. Gerade im Bombastischen wirkt sie mitunter erbaulich-ma­ni­pulativ.

Wolf Biermann hat mal gemeint, die einzige Musik, die jemals etwas bewegt hat, sei die Marschmusik. Das ist natürlich ein bisschen spitz formuliert. Aber ist so etwas wie die 68er-Revolution, die zu einem guten Teil von Rock­musik ge­tragen worden ist, auch mit klassischer Musik vorstellbar?
Beethoven, anfangs ein begeisterter Anhänger der Französischen Revo­lu­ti­on, widmete Napoleon seine „Eroica“ – auch wenn er diese Widmung später geändert hat, weil er vom Verlauf der Revolution enttäuscht war.

Heute gilt klassische Musik, auch zeitgenössische, als elitär. Und nicht nur das. Bei meinen Konzertbesuchen bin ich im Publikum oft mit Abstand der Jüngste. Und ich bin immerhin auch schon 43. Warum erreicht sie nur mehr eine graue Elite?
Das ist in der Tat ein Problem. Früher war das Volk oft bei der sonntägli­chen Messe mit Musik konfrontiert. Damals hat man über den wöchentli­chen Besuch der Sonntagsmesse die neuesten Musikströmungen mitbekom­men. Mein Ururgroßvater ist vielleicht nie ins Konzert gegangen, war aber über den Kirchgang orientiert. Vor 150 Jahren hat das Bürgertum angefangen, Konzerthäuser zu bauen. Mit dieser Veränderung ist auch die Art der Mu­sikrezeption eine andere geworden.

Und darum gilt klassische Musik als ernste Musik und als wenig unterhaltend?
Das hat sicher auch viel mit dem Ritus rundherum zu tun. Um klassische Mu­sik zu hören, muss ich mich in ein Konzerthaus setzen und ruhig sein. Still­sitzen ist eine ernste Angelegenheit. Und dann schaffen „klassische“ Mu­siker sehr oft nahezu Begräbnisstimmung: Viel zu unlebendig! Aber Hö­ren bedeutet auch einlassen, was wir heute kaum mehr länger als drei Mi­nu­ten schaffen. Sich eineinhalb Stunden nicht rühren dürfen kann die Höl­le sein. Ich kenn das ja auch, aber wenn es klappt, dann kann eine Bruck­ner-Symphonie eine ungeheure transzendente Erfahrung sein. Um einem Miss­verständnis vorzubeugen: Ich glaub nicht, dass man die Stühle aus al­len Konzertsälen reißen soll, damit die Leute tanzen können. Aber ich kann mir gut vorstellen, die Stühle mitunter herauszunehmen, damit die Leute beim Hören liegen können. Die Ordnung des klassischen Rituals kommt nicht von ungefähr, ist aber immer wieder neu zu überlegen und zu beleben.

Gibt’s im Klassiksaal dennoch ekstatische Mo­men­­te?
Ja unbedingt! Für mich ist Ekstase etwas sehr Kon­zen­triertes, Stilles. Ein Au­ßersichsein im Inne­hal­ten.

Wie könnte man das vermitteln, begreiflich ma­chen? Wie also einen durchschnittlichen Konsu­men­­ten des gängigen 3-Minuten-Formats in den Kon­zert­saal locken?
Ich bin im Prinzip eher für das Überfordern als Un­­terfordern. Es laufen zurzeit viele Ver­mitt­lungs­pro­gramme, wie etwa das „Move.on“ des Bruck­ner Or­chesters. Auch was in England mit den „BBC-Proms“ passiert, klappt sehr gut. Das hat schon ein biss­chen Happeningcharakter, es gibt zwar Sitz­plät­ze, aber vor der Bühne ist eine große Wiese, da kommen die Leute mit der Jause, setzen sich in die Wie­se und hören zu. Oder das Open-Air-Konzert des Bruckner Orchesters am Haupt­platz letzten Som­mer. Da waren 20.000 Leut’, und die Stimmung war wirklich schön, sie hatte etwas tief Soli­da­ri­sches. Da war eine große Gemein­sam­keit im Lau­schen. Bei solchen Ereignissen wird deut­lich, dass wir letztlich empatische Lebewe­sen sind. Und all das passierte ohne Manipulation, die Musik selbst hat klar gemacht: Ihr müsst jetzt zuhören.
Da hatte Klassik nichts Elitäres mehr. Zig-tausend Menschen standen am Hauptplatz in dem Be­wusst­sein, dass sie sich auf diese Musik einlassen müs­sen, und dabei „Ungreifbares“ erleben können.
Es geht nicht nur um volle Konzerthäuser. Ich möch­te begreiflich machen, was in und hinter die­ser Musik steckt. Beim Musikhören wird et­was Ge­heimnisvolles erlebbar. Eine tiefe menschliche Erfahrung. Und darauf sollte man neugierig sein: Was passiert da?

Hast du einen Musiktipp für die nächste Zeit?
Als Konzerttipp empfehle ich „Stripsody“ – einen Abend für Cathy Berberian. Berberian war eine der aufregendsten Sän­ger­innen in der Geschichte des Gesangs. Stra­winsky, Cage, Milhaud, Henze oder Berio schrieben für sie, die auch Monte­ver­di, Beatles, Rossini und Comics liebte.

www.traweeg.at
Veranstaltungstipp: STRIPSODY – Ein Abend für Cathy Berberian mit Anna Maria Pammer. Zeitgenössische Musik.
Di, 24.02. 2009, 19.30 h, Brucknerhaus – Mittlerer Saal

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02/09
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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