Stillsitzen ist eine ernste Angelegenheit
Ist dein Interesse für die verbotenen Musiker im dritten Reich musikalisch oder historisch?
Ich hab in den frühen 90er Jahren begonnen, mich damit zu beschäftigen. Erst mal einfach aus dem heraus, ob’s da nicht Stücke gibt, die niemand kennt und die ich spielen könnte. Ich hab dabei ganz tolle Sachen entdeckt. Wie etwa die Schulhoff Sonate, die heute wieder zum gängigen Flötenrepertoire gehört. Seit 2000 organisiere ich jährlich „verboten, verfolgt“, wobei ich heute vor allem programmiere und moderiere. Es ist eine schöne Arbeit, nach solchen Dingen zu forschen und durch Erinnerung an Vergangenes Bewusstsein für Gegenwärtiges zu schaffen.
In der Fotografie wurde August Sander für sein Werk „Antlitz der Zeit. Sechzig Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts“ von den Nazis boykottiert. Als ich die Sander-Fotos das erste Mal gesehen habe, hab ich mich ehrlich gesagt gewundert, warum sich die Nazis dadurch bedroht fühlten. Bei intensiverer Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten wird einem natürlich schnell klar, wie subversiv sie in diesem Kontext wirken. War der Grund für die Verbannung der Musiker auch oft der Inhalte wegen?
In erster Linie waren’s schon rassistische Gründe. Wenn die Musik selbst der Grund war, dann meistens, weil sie Jazz- und Avantgarde-Einschläge hatte. Jazz galt ja als „Negermusik“ und war verboten. Also letztlich doch auch wieder rassistische Gründe. Der Rest mag im künstlerischen, „nicht-arischen“ Ausdruck gelegen haben. Wenn die Gestaltung abstrakt geworden ist, wenn etwas nicht fassbar, nicht nachsing- oder nachmalbar war, haben die Nazis allergisch reagiert.
Funktioniert Abstraktion in der Musik nicht trotzdem anders als in anderen Disziplinen? Über Text, Bild kann ich konkrete Botschaften formulieren. Das ist mit Musik kaum möglich. Ist Musik also nicht per se Abstraktion? Macht sie das politisch unverdächtiger?
Ich seh den Unterschied von Musik zu anderen Künsten in ihrer Flüchtigkeit. Wenn Du jetzt ein Wort zu mir sagst, kann ich mir die Bedeutung des Wortes merken. Sicher kann ich auch etwas nachsingen, aber nie so, wie ich es gehört habe. Es trifft uns tiefer, unsagbarer.
Kann Musik so überhaupt politisch wirksam sein? Gibt’s so etwas wie antifaschistische Musik?
Es passiert wohl eher andersrum: Musik wird wegen ihrer subversiven Kraft instrumentalisiert, nicht nur von totalitären Regimen, auch als manipulierende Stimulanz beim Einkaufen. Grotesk fand ich, dass Franz Hummel den „Fouché“ in seiner gleichnamigen Oper (Schauspieloper von Franz Hummel am 9.1. 2009 im Posthof, Anm. d. Red.) mit der sprichwörtlichen Begründung „Böse Menschen haben keine Lieder“ nur sprechen ließ. Wer hat Musik denn mehr für eigene Zwecke missbraucht als die diktatorische Herrschaft? Musik hat die Kraft, „unterschwellig“ aufzustacheln, für etwas bereit zu machen. Gerade im Bombastischen wirkt sie mitunter erbaulich-manipulativ.
Wolf Biermann hat mal gemeint, die einzige Musik, die jemals etwas bewegt hat, sei die Marschmusik. Das ist natürlich ein bisschen spitz formuliert. Aber ist so etwas wie die 68er-Revolution, die zu einem guten Teil von Rockmusik getragen worden ist, auch mit klassischer Musik vorstellbar?
Beethoven, anfangs ein begeisterter Anhänger der Französischen Revolution, widmete Napoleon seine „Eroica“ – auch wenn er diese Widmung später geändert hat, weil er vom Verlauf der Revolution enttäuscht war.
Heute gilt klassische Musik, auch zeitgenössische, als elitär. Und nicht nur das. Bei meinen Konzertbesuchen bin ich im Publikum oft mit Abstand der Jüngste. Und ich bin immerhin auch schon 43. Warum erreicht sie nur mehr eine graue Elite?
Das ist in der Tat ein Problem. Früher war das Volk oft bei der sonntäglichen Messe mit Musik konfrontiert. Damals hat man über den wöchentlichen Besuch der Sonntagsmesse die neuesten Musikströmungen mitbekommen. Mein Ururgroßvater ist vielleicht nie ins Konzert gegangen, war aber über den Kirchgang orientiert. Vor 150 Jahren hat das Bürgertum angefangen, Konzerthäuser zu bauen. Mit dieser Veränderung ist auch die Art der Musikrezeption eine andere geworden.
Und darum gilt klassische Musik als ernste Musik und als wenig unterhaltend?
Das hat sicher auch viel mit dem Ritus rundherum zu tun. Um klassische Musik zu hören, muss ich mich in ein Konzerthaus setzen und ruhig sein. Stillsitzen ist eine ernste Angelegenheit. Und dann schaffen „klassische“ Musiker sehr oft nahezu Begräbnisstimmung: Viel zu unlebendig! Aber Hören bedeutet auch einlassen, was wir heute kaum mehr länger als drei Minuten schaffen. Sich eineinhalb Stunden nicht rühren dürfen kann die Hölle sein. Ich kenn das ja auch, aber wenn es klappt, dann kann eine Bruckner-Symphonie eine ungeheure transzendente Erfahrung sein. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Ich glaub nicht, dass man die Stühle aus allen Konzertsälen reißen soll, damit die Leute tanzen können. Aber ich kann mir gut vorstellen, die Stühle mitunter herauszunehmen, damit die Leute beim Hören liegen können. Die Ordnung des klassischen Rituals kommt nicht von ungefähr, ist aber immer wieder neu zu überlegen und zu beleben.
Gibt’s im Klassiksaal dennoch ekstatische Momente?
Ja unbedingt! Für mich ist Ekstase etwas sehr Konzentriertes, Stilles. Ein Außersichsein im Innehalten.
Wie könnte man das vermitteln, begreiflich machen? Wie also einen durchschnittlichen Konsumenten des gängigen 3-Minuten-Formats in den Konzertsaal locken?
Ich bin im Prinzip eher für das Überfordern als Unterfordern. Es laufen zurzeit viele Vermittlungsprogramme, wie etwa das „Move.on“ des Bruckner Orchesters. Auch was in England mit den „BBC-Proms“ passiert, klappt sehr gut. Das hat schon ein bisschen Happeningcharakter, es gibt zwar Sitzplätze, aber vor der Bühne ist eine große Wiese, da kommen die Leute mit der Jause, setzen sich in die Wiese und hören zu. Oder das Open-Air-Konzert des Bruckner Orchesters am Hauptplatz letzten Sommer. Da waren 20.000 Leut’, und die Stimmung war wirklich schön, sie hatte etwas tief Solidarisches. Da war eine große Gemeinsamkeit im Lauschen. Bei solchen Ereignissen wird deutlich, dass wir letztlich empatische Lebewesen sind. Und all das passierte ohne Manipulation, die Musik selbst hat klar gemacht: Ihr müsst jetzt zuhören.
Da hatte Klassik nichts Elitäres mehr. Zig-tausend Menschen standen am Hauptplatz in dem Bewusstsein, dass sie sich auf diese Musik einlassen müssen, und dabei „Ungreifbares“ erleben können.
Es geht nicht nur um volle Konzerthäuser. Ich möchte begreiflich machen, was in und hinter dieser Musik steckt. Beim Musikhören wird etwas Geheimnisvolles erlebbar. Eine tiefe menschliche Erfahrung. Und darauf sollte man neugierig sein: Was passiert da?
Hast du einen Musiktipp für die nächste Zeit?
Als Konzerttipp empfehle ich „Stripsody“ – einen Abend für Cathy Berberian. Berberian war eine der aufregendsten Sängerinnen in der Geschichte des Gesangs. Strawinsky, Cage, Milhaud, Henze oder Berio schrieben für sie, die auch Monteverdi, Beatles, Rossini und Comics liebte.
www.traweeg.at
Veranstaltungstipp: STRIPSODY – Ein Abend für Cathy Berberian mit Anna Maria Pammer. Zeitgenössische Musik.
Di, 24.02. 2009, 19.30 h, Brucknerhaus – Mittlerer Saal
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