Wider die Hierarchien

Standort Künstlervereinigung MAERZ „linzer notate 1/09“. Ende Jänner fand ein Leseabend für Josef Bauer, das soeben 75 Jahre gewordene Mitglied der Bildenden Fraktion der MAERZ statt. Das Lesefeuer wurde von Elfriede Czurda, Waltraud Seidlhofer und Hartmut Geerken entflammt. Tancred Hadwiger telefonierte im Vorfeld mit dem äußerst vielseitigen Künstler Hartmut Geerken und erstellte ein freies Interview entlang Geerkens Biographie.

Woher kommen Sie, Herr Geerken?
Aus Herrsching am Ammersee. Geboren 1939 in Stuttgart. Habe aber auch die Jahre 1966 bis 1983 in Ägypten, Afghanistan und Athen verbracht.

So viele A’s auf einmal. Was haben Sie dort gemacht?
Ich war fürs Goethe-Institut tätig und wie mein ganzes Leben unstetig al­ways on the way.

Ja, zum Beispiel als Musiker mit Sun Ra …
Nicht nur – auch mit dem Art Ensemble of Chicago und John Tchicai habe ich mich dem Free Jazz verschrieben. Ebenso war ich auch als Komponist ak­tiv.

Sie sind schon seit Anfang der 60er Jahre literarisch produktiv.
Das waren die als 21jähriger so genannten postpubertären Ergüsse. In den 80ern wurden es Prosaflüsse. In Klaus Ramm fand ich den richtigen Verlags­mann. Meine eigenen Lieblinge sind „mappa“, „motte motte motte“ und „kant“.

Was halten Sie von Holunder?
1984 entstanden ist es ein so genanntes Frühwerk. Der Umschlag ist violett.

Nette Farbe … Sie sind selbst auch Filmemacher, weiters Publizist und Her­aus­geber von „Frühe Texte der Moderne“, „Salomo Friedlaender/Mynona“, „An­selm Ruest“, „Victor Hadwiger“ und anderen.
Anselm Ruest war der größte Anarchist Deutschlands. Hadwiger und Myno­na waren gute Freunde, die in Berlin um die Jahrhundertwende einiges be­wegt haben. Meine Aufgabe ist es, zu forschen und die Nachlässe zu verwal­ten.

Wie würden Sie Ihren Stil und Ihr Werk mit Begriffen definieren?
Interaktion, Dissipation, Selbstorganisation oder Fluktuation. Ich arbeite mit dem Einsatz von Störungen, Abweichungen und Zufällen. Detlef Thiel sagt über mich: „In seiner sorgfältigen Chaotik bedeutet das eine tiefe Kritik an west­licher Zivilisation, sofern diese pervertiert scheint von abstrakter Ord­nung und hierarchischer Determination“. Ich tendiere zum bewussten Ein­satz der Sprache samt ihrer bewussten Unverständlichkeit. Da ich keine In­ter­punktion verwende und alles klein schreibe, sind meine Texte meist viel- und mehrdeutig auslegbar.

Wie viel Autobiographie steckt in Ihren Texten?
Ich gehe, wieder mit Thiel gesagt, durch das physische Tal der Inskription und lande im Stil der Breton–Soupaultschen magnetischen Feldern der ecriture automatique. In vielen der Arbeiten werden diverse Textarten zu polyglotten Geweben überlagert und externe Textquellen mit je anderen und Eigenem verzwirnt. Die Gefühle sind nicht umsonst.

Was werden Sie an diesem Abend lesen?
Ich lese aus den „25 gesängen zur verherrlichung des genitivs“ aus dem Band „ogygia. vom ende des südens“.

Sie haben viele Bücher, Mappen und CDs größtenteils in dem Eigenverlag „wait­awhile“ herausgegeben, zuletzt 2006 unter anderem „forschungen etc.“ und 2007 „klafti. über die einsilbigkeit“. 2008 sind zwei andere Bände zum Le­ben erwacht?
Sie heißen kyrill und soyd. Das sind Sammlungen meiner frühen Gedichte. Jetzt bin ich 70. Griechenland ist meine Geschichte.

Wieso Griechenland?
Ich lebe jedes Jahr drei Monate am Strand von Liebe, Inspiration und meinen Erinnerungen samt Hommagen an Sun Ra, dessen Biograph ich ja bin.

Haben Sie vielleicht eine Anekdote über Sun Ra auf Lager?
Jede Stunde mit ihm war wie eine existentielle Frage. Und die Frage war auch einmal: Welche Farbe haben deine Socken? Sun Ran fragte dies einmal einen jungen Saxophonisten, der zu spät zur ersten Probe erschien, weil er über den Bordstein gestolpert war und sich verletzt hatte. Dieser erwiderte, dass seine Socken schwarz wären. Sun Ra sagte darauf: „If you would have worn green socks, it would never been happened“.

Sie sind auch Autor und Produzent von Hörspielen. Sie haben als Schau­spie­ler in Filmen von Herbert Achternbusch mitgewirkt. Es kam zu einem Zer­würf­nis?
Herbert hat immer geglaubt, dass er ein Fassbinder ist. Ich widersprach und daraufhin gingen wir getrennte Wege.

Was verbindet Sie mit Josef Bauer?
Die langjährige Freundschaft und der literarische Austausch. Wenn wir das Fest für Josef machen, ist es aus alter Freundschaft zu ihm, zu Elfriede und Waltraud. Ich freue mich schon sehr auf diesen von Christian Steinbacher eingefädelten Abend.

Auszug aus holunder
der schnee regelt zu einem großteil das leben der schneegänse sie ziehen zu ihren nistplätzen weiter sobald die schneeschmelze im frühjahr einsetzt & kehren erst dann wieder zurück, wenn im herbst der erste schnee fällt auch holunder besaß die fähigkeit zu fliegen obwohl er dem klang der schildkröten angehörte
er an sie auf einem irgendwo herausgerissenen fetzen die steine & die felsen die eingehüllten geestalten mit einem roten farbband die notwendig­keit & das laster ja tina es wird ein anderes zeitalter kommen als dies wo die nachtraubvögel ziehen die gespenster poltern die toten gaukeln die le­bendigen träumen dahinter in klammern zwischen den zwo ge­heim­nis­sen das wort life oder wortlife

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