Aus der Ferne – Go-Carts und Johanna Dohnal
Als eine von fünf Töchtern wurde ich in den frühen siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Bewusstsein und in der Überzeugung erzogen, dass sich, innerhalb der meiner Mutter folgenden Generation, keine Frau mehr in Österreich Fragen dahingehend stellen müsste und sollte, ob sie gleichberechtigt, gleichbewertet und selbstbestimmt ihr Leben gestalten kann. In den neunzehnsiebziger Jahren hieß der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky und das Bildungssystem in Österreich war zumindest theoretisch derart ausgerichtet, dass keine Unterschiede, die aus sozialer Herkunft oder geschlechtlichen Tatsachen entstanden, Menschen daran hindern dürfen, egal welchen Beruf und welche Lebensweise auch immer zu wählen. Die Frauen in politischen Spitzenpositionen hießen zum Beispiel Johanna Dohnal und lebten den Ansatz eines eigenständigen weiblichen role-models. Heute sind die sozialdemokratischen Bundeskanzler in ihren gesellschafts- und bildungspolitischen Ansätzen nicht zu unterscheiden von ihren konservativen und rechten Kollegen, und weibliche Politikerinnen leben männliche Modelle, bis hin zur rechten Innenministerin, deren gesellschaftspolitischer Ansatz geprägt ist vom Wunsch, härter, kalt- und hartherziger zu sein als es je ein Mann sein könnte, weshalb sie vor allem und gerade jene Frauen und Mädchen nicht fördert, die Mut zur Flucht und einen unbezwingbaren Willen zum Leben zeigen, sondern diese bestraft und herabwürdigend behandelt.
Die Innenministerin ist unweit meiner Heimatstadt aber doch einige Jahre vor mir aufgewachsen, weshalb an ihr die Ideen der siebziger Jahre spurlos vorübergingen. Für viele andere Töchter aber waren diese Jahre eine schöne Zeit. Dass ich beim Go-Cart Rennen damals gegen lauter Jungs gewonnen habe, wurde mir erst sehr viel später bewusst, als mich ein Junge von damals und heutiger Mann darauf aufmerksam machte. Eine Demütigung, kaum zu überwinden, ehrabschneiderisch. Während Mädchen damals mit Aufklebern wie „Töchter können mehr“ auf eine Welt vorbereitet wurden, die ihnen alles abverlangen würde, hat man auf die Jungs schlichtweg vergessen. Und das rächt sich heute bitterlich. Aus armen, gedemütigten Buben, deren Mütter ihre Haare immer viel zu lange wachsen ließen und ihre Beine in Glockenhosen steckten, die an lange Röcke erinnerten, sind noch viel ärmere Männer geworden, die ihre Kulturglatze als Rache an der Mutter täglich rasieren und Befriedigung und Anerkennung darin suchen, jungen Kunststudentinnen, die nicht wissen was ein Go-Cart ist, geschweige denn je eines besaßen, von ihren ganz wilden Zeiten zu erzählen. Dass sie diese ganz wilden Zeiten mit gleichaltrigen Frauen verbrachten, die die Wohnung nach den ganz wilden Abenden säuberten, Frühstück machten, Kinder zur Welt brachten und diese zurzeit neben ihrer beruflichen Tätigkeit aufziehen, wird den faszinierten kullerbeäugten Mädchen wohlweislich vermieden mitzuteilen. (Natürlich gibt’s ein paar Männer, aus denen nette Menschen geworden sind, aber wo wäre diese Kolumne ohne halsbrecherische Übertreibungen ...). Wir Töchter, denen alles offen stand, staunen und zweifeln ob der Paradoxie, in der diese Männer nach einer Kindheit in den siebziger Jahren und einer Gegenwart im Hier und Heute stecken, an ihrem Verstand. Und in der Tat, es ist nicht gerade leicht. Lehrt einen die Geschichte doch Begriffe wie Weiterentwicklung, befinden wir uns momentan in einer gesellschaftlichen Rückentwicklung, dass es nur so kracht.
Selbstverständlich dürfen Frauen alles werden, alles machen – aber dann eben alles. Und das bedeutet im Prinzip einen 24 Stunden Tag – denn kaum schläft das Kind durch, beginnt der Lebensabschnittspartner zu schnarchen. Welche Tätigkeiten dazwischen liegen, zähle ich hier nicht auf, Frauen kennen sie und Männer sollten ihre Frauen einfach mal danach fragen, anstatt die müde, frustrierte, depressive Partnerin gegen einen jüngeren Ersatz zu tauschen. „Karriere, Gesundheit, Familie“ – so lautet der Claim für einen TV-Spot, den sich ein Werbetexter für eine Männer-Kosmetik-Pflege ausgedacht hat. Der – natürlich – grauhaarige, etwa 55jährige Mann sitzt dabei auf seinem Sofa und wird von der Kamera umkreist. Zum Schluss blickt ihm eine etwa 30jährige dunkelhaarige Schönheit bewundernd über die Schulter. Dagegen war der TV-Spot für ein Männer-Parfüm vor etwa 20 Jahren, in dem eine weibliche Hand mit unglaublich langen roten Fingernägeln einem Mann das Jeanshemd öffnete, fast ein Stück weiblicher Befreiungsideologie (möglicherweise wollte sie ihm ja die Brusthaare einzeln ausreißen, wer weiß?). Frau stelle sich bitte kurz vor, ein TV-Spot für eine weibliche Kosmetikserie würde die gleichen drei Wörter in der gleichen Reihenfolge gebrauchen. Frauen im familiären Umfeld dürfen in der Werbung – und bitte jetzt nicht meinen, es handle sich dabei „nur“ um Werbung – Chemikern doofe Fragen stellen, in ihrer Designer-Küche endlich wieder Brot selber backen und mittels Süßigkeiten dafür sorgen, dass die Familie „noch zusammener“ ist. (Ausgenommen davon soll die Werbung für einen Lufterfrischer sein, in der eine Pinguinfrau mit einem Bären zwei Schweinskinder hat, und auf die Fragen des Bärenvaters, ob sie auch ihn verlassen würde, wenn er sie nicht täglich überrasche, mit „wart’s ab“ antwortet). Genauso ist es für den Großteil von Frauen auch im realen Leben – und kein soziales Umfeld schützt offenbar Männer davor, in uralte Muster zurückzufallen, sobald es um die Aufrechterhaltung männlicher Hierarchiesysteme in Beziehungen geht.
„Nach Frauen wie uns braucht man wohl eher etwas Einfaches“, meinte E. neulich, die zwar auch ersetzt wurde, aber wenigstens mittels 1.000 Kilometern räumlich davon getrennt ist.
Wir sind also verständnisvoll und verlieren unseren Verstand nur manchmal, heimlich und für kurze Zeit – schließlich ist Böse sein uncool, Depressionen machen unsexy und Weinkrämpfe nichts als dicke Augen. Und dabei wollten wir doch nur hin und wieder ein Go-Cart Rennen gewinnen. Gegen wen, war uns Mädchen eigentlich egal, den Jungs blöderweise nicht. Weder damals noch heute.
& Drupal
spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014