Superdrama Ohnmacht

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Linz09 hat seine Theaterlust mit einem Schwerpunkt zu Diktatur und Krieg begonnen.

Die erste Veranstaltung von Theaterlust eröffnete mit dem dun­kelsten Kapitel der Zeitgeschichte, bzw. verlagerte der Au­­tor Tom Lanoye das Thema von Klaus Manns Klassiker „Me­­phis­to“ in eine mögliche Jetztzeit. Teil 1 des Tryp­ti­chons der Macht, die Produktion „Mefisto for ever“ handelte da­von, wie sich Diktatur (auch) des Theaters bemächtigt, um sich in die­sem Mikrokosmos als totalitäres System in alle ge­sell­schaft­lichen, persönlichen und intimen Lebens­be­rei­che fest zu ver­ankern. Die Ansiedelung der Handlung am Theater, die hier vergleichsweise recht entgegenkommend wir­kende Macht­­übernahme, ermöglicht eine sprachgewandte Refle­xi­on von Macht und Opportunismus, die zu­neh­mend – zu Be­ginn recht aufschlussreich ins klassische Repertoire etwa zwi­schen Ham­let, Richard III und Faust eingebettet – eben an diesem klas­sischen Repertoire gnadenlos scheitert. Oder viel­mehr umgekehrt scheitert eine Anwendung von Thea­ter­klassik vor den realen Umständen der To­tal­ide­o­logie. Was z.B. zuerst noch recht stark in einer Sze­ne vermittelt wird, Gretchens Grauen vor dem Menschen, den Faust mit sich führt – und damit ist im Stück die Person gemeint, die sich unabschüttelbar an den Theaterdirektor angehängt hat, die Person, die sich die hehre Kunst in den eigenen Macht­kör­per einverleibt hat, um sie sukzessive in ihrer pathologischen Er­habenheit ausführen zu lassen – endet in der Ka­tas­trophe des vollstän­digen Untergangs: Ging es bei Faust etwa noch darum, zwar seine Seele zu verkaufen, aber immerhin mit ei­nem Schlag und der Erkenntnis willen, so war der Pakt bei „Mefisto for Ever“ nur schrittweise und zögerlich und um nichts willen als einer realen Machtkonstruktion, die unvorstellbarerweise nur zur totalen Destruktion erzeugt wurde. Als sich am Ende der „Nazi“ erschießt, als selbstausgerufener, „letzter Renais­san­cemensch“, hat er nicht nur die persönlichen Schicksale der Einzelnen bereits vollständig zerschlagen, jede Haltung auf die eine oder andere Weise in die vollständige Kapitulation ge­zwungen, sondern auch die Gül­tig­keit der klassischen Kunst vernichtet – vor einer vollstän­dig aus dem Ruder ge­laufenen „Politik“.
Mit einem anderen Geschichtsbild begann hingegen „Em­pire (Kunst und Politik)“ des französisch/österreichischen Kollektivs Superamas. „Mai 1809. Frankreich gegen Österreich. 40.000 Tote in zwei Tagen. Dennoch beanspruchten bei­de Nationen einen großen Sieg für sich“, so der Ein­gangs­­text zur Show. Dementsprechend waren das historische Schlachtfeld und „Der Kongress tanzt“ (und kopuliert lustig) collagen- und kostümschinkenhaft zusammengeschnittenes Ausgangsbild des Stücks. In einem weiteren Schnitt wechselte das Geschehen in die Jetztzeit, direkt auf eine Party eines französischen Botschafters, wo die Gemetzel zwar un­sichtbar geworden sind – aber immerhin im Gespräch wohlfeil und sinnreich, sagen wir, politisch korrekt markiert werden. Zuerst erweist sich das Eingangsszenario als künstlerische Arbeit der Gruppe Superamas selbst, die auch auf der Party anwesend sind; und deren Arbeit gleich zu Beginn vom französischen Botschafter gegenüber seinem amerikanischen Amstkollegen verteidigt wird, von wegen Sinn der Kunst. Wort­reich wird David Lynch zitiert mit: „Wieso erwarten die Leute, dass Kunst einen Sinn haben soll, während doch ihr eigenes Leben überhaupt keinen Sinn macht?“ Man spricht ganz allgemein über Politik und Kunst. Über Fragen des Le­bens, der Unterdrückung und der Emanzipation, was nicht sel­ten mit einem „Haha!“ weggewischt und weggetanzt wird. Manchmal bricht eine Erzählung ein, die konkret vom Krieg, von Folter und vom Leiden eines einzelnen erzählt – dann wird mit einem allgemeinen Wissen aufgetrumpft, das technische Details der Granate erklärt, die dem Vater des Erzäh­len­den den Kopf gesprengt hat. Das Interesse an sexuellem Austausch ist ebenso groß wie in der historischen Vorlage, Supermodels, schwule Regisseure, Politiker, Künstler, Party­gäste werden von der nicht zu vergessenden, omnipräsenten Fernsehkamera in ihrem Treiben eingefangen.
Manchmal wird die Dramatik des ganz Anderen zu erzählen versucht, die sicher nicht nur aus aufklärerischem Interesse der Kunst besteht, sondern aus einer Sehnsucht, den Ekel und die Ohnmacht zu überwinden: Die Superamas spielen sich, in einer für ihre Arbeit recht typischen bruchartigen Schnitt­technik, über Video ein, bzw. spielen sie die Ent­ste­hung einer Idee ein: Es beginnt mit ebenso eitlem und in Ar­gument und Gegenargument abgesichertem Geschwätz auf einer Burg-Party (sinngemäß taucht die Frage auf, ob es le­gitim ist, über den Iran zu reden, während man selbst sicher in Europa sitzt. Ja! Nein! Natürlich ist es das!) – worauf auch gleich aufgebrochen wird im Film, auf Pferden, die sogar zur Musik wiehern und die Gruppe in den Iran bringt, zu einer Filmemacherin, die die Gruppe in einer Höhle empfängt und über Macht und Ohnmacht spricht. Nachdem im Film dann wieder alles niedergemetzelt ist, geht es in einer Art Re­wind-Technik wieder auf der Party des Botschafters weiter. Ir­gend­wo am Ende gibt der französische Botschafter zu, dass es schwer gewesen sei, die Arbeit gegen den Amtskollegen „zu verteidigen“. Der Filmemacher der Superamas erklärt dem Bot­schafter, was der Sinn der Sache sei: Den Superamas ge­­he es nicht um „typische Formen von Repräsentationen auf der Bühne, speziell von Performance oder sonstigen Din­gen, sondern um eine Art Distanz, die zwischen Akteuren und Publikum entstehen soll“. Was an sich das Publikum in die schöne Lage versetzt, gleichzeitig ins Geschehen mit hin­eingezogen und hinauskatapultiert zu werden.
Superintelligent und superunterhaltend – auch wenn insgesamt der Eindruck entstehen mag, dass es sich mit dem historischen Thema um eine Auftragsarbeit der am Ende an­ge­führten Kooperationspartner handelt. Und wenn das so ist, dann wurde in der Arbeit reflexiv und intelligent reagiert: Das neue Bild Europas, das am Beginn des Stückes zu Zei­ten des Kongresses entworfen wurde, endet eine Stunde zwan­zig später in einem minutenlangen Feuerwerk, in dessen Schatten die Partygäste stehen und bewegungslos in den Himmel schauen. In seiner Setzung erinnert das Feuerwerk frappant an den historischen Krieg. Konklusio: Die Mäch­ti­gen knallen gerne um sich. Die Mächtigen entwerfen gerne neue Bilder Europas. Und die Mächtigen sterben nicht am Schlachtfeld, sondern, von ihrem eigenen Feuerwerk illuminiert, an Prostatakrebs.

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