Leerraum, Leerstand, Zwischenraum
„Das Sichtbarmachen ist wichtiger als die Bewertung des Raumes selbst“. Ein Gespräch mit Doris Prlic, Olivia Schütz und Sedjro Mensah über Leerstände, Zwischenräume und den Idealfall.
Eingangsfrage: Wie ist eure Einschätzung des Phänomens Leerstand im Linzer Stadtraum?
Olivia Schütz: Leerstände und deren temporäre Nutzung findet man eigentlich überall. In Linz gibt es schon seit Jahren Bemühungen von Initiativen wie dem Fruchtgenuss, Leerstände zumindest aufzuspüren und zu dokumentieren. Nur die wenigsten werden dann wirklich genutzt, aber das hängt von verschiedensten Faktoren ab. Oft ist es problematisch, wenn eine Liegenschaft der Stadt gehört. Da gibt es selten positives Feedback oder man kommt erst gar nicht an die relevanten Informationen heran.
Der Leerstand ist also beliebter als seine Nutzung?
O.S.: Ja, weil das natürlich mit Folgekosten verbunden ist. Deswegen werden Leerstände oft nur punktuell und über einen gewissen Zeitraum bespielt. Wenn private BesitzerInnen einem Projekt gegenüber aufgeschlossen sind, dann ist es meistens einfacher zu realisieren.
Doris Prlic: Das waren auch meine Erfahrungen mit den Leerständen Schillerstraße und Blumau. Wenn die BesitzerInnen kein Interesse haben oder noch nicht genau wissen, was sie mit der Liegenschaft machen wollen, dann ist es ganz schwer reinzukommen. Aber das ist nichts Linzspezifisches. Genauso wenig wie die Angst, die vor solchen Aktionen existiert.
Sedjro Mensah: Also ich bin ja der Ansicht, dass es gar nicht so gut ist, einen leerstehenden Ort an sich zu beurteilen, weil man damit zugleich eine ökonomische Wertung vornimmt. Das kann gerade im Zentrum der Vorbote einer Gentrifizierung1 sein. Ich finde es spannender, wenn man sich Gebiete am Stadtrand näher ansieht, wo es ein weniger großes ökonomisches Interesse gibt.
Danke für die Überleitung zum Stadtrand! Dort bedeutet „Leerstand“ wahrscheinlich etwas ganz anderes als im Zentrum, oder?
S.M.: Auf jeden Fall. In der solarCity gibt es eigentlich gar keinen Leerstand. Dieses Benützen und Verwenden von Räumlichkeit ist da gar nicht oder nur schwer möglich. Man hat Orte planerisch optimiert, die für ihre Entwicklung Leerstellen brauchen würden.
D.P.: Wobei es in der solarCity schon Leerstände gibt, zwar keine Wohnungen, weil die ziemlich begehrt sind, aber Geschäftslokale. Das hat damit zu tun, dass die BewohnerInnen ganz schnell bei ihren Autos sind und dann eher in die nicht allzu weit entfernten Einkaufszentren fahren.
Zwischenräume hingegen sind am Stadtrand wohl leichter anzutreffen als in der Innenstadt.
D.P.: Das kommt darauf an wie man „Zwischenraum“ definiert und was man damit machen will. In der solarCity gibt es schon ungenutzte Flächen – insgesamt ist jedoch alles durchgeplant, Zwischenräume sind als Parkplätze oder private Gärten definiert. In Auwiesen gibt es hingegen viele undefinierte Orte, die spannend sind.
S.M.: Letzte Woche bin ich zu Fuß von der solarCity nach Ebelsberg gegangen, wo große Felder eine Art Puffer bilden. Und dort, wo die Autobahn verläuft, können keine Wohnungen gebaut werden. Die Gegend ist quasi menschlich steril, als ob man etwas isolieren wollte. Dieser Zwischenraum trennt die solarCity vom Rest der Stadt.
Zu den Projekten: Inwiefern hat das „Operationsgebiet“ bereits die Projektentwicklung im Vorfeld bestimmt? Wie entwickelt ihr eure Formate auf die Standorte hin?
O.S.: Einerseits sind jetzt einmal Aktivitäten geplant, die das Projekt bekannt machen sollen und uns mit den BewohnerInnen in Kontakt bringen, andererseits beginnen wir auch damit, den Leerstand Wüstenrotpavillon2 zu bespielen. Im Vorfeld sind da jene Leute vor Ort besonders wichtig, die schon ein gewisses Netzwerk haben. Hier gilt es laufend in Kontakt zu sein, sich auszutauschen und so auch gezielt ein Publikum zu kriegen. Das wird in Auwiesen schwierig, das Publikum wird uns nicht zufliegen, es braucht eine intensive Auseinandersetzung im Vorfeld.
S.M.: Diese Auseinandersetzung ist auch sehr wichtig. Es wäre etwa ein Fehler unsererseits, zu definieren, was ein Leerraum ist. Wir haben vielleicht so etwas wie ein Vorgefühl, aber das muss von den BewohnerInnenn selbst bewertet werden. Wir stellen lediglich die Infrastruktur zur Verfügung, damit auf etwas hingewiesen werden kann.
Dabei spielt das Radio als attraktives Werkzeug wohl eine Rolle …
S.M.: Ja, und auch die anderen Medien. Die Facebook-Assoziierung3 im Projekt der Stadtwerkstatt ist ja auch eine Möglichkeit, dem ganzen einen gewissen Charme zu verleihen. Das Radio ist vielleicht nicht immer so anziehend für eine Generation, die einen anderen Umgang mit Medien hat. Da muss man erst zeigen, dass Radio ein relevantes Medium ist.
Wie realisiert sich das Projekt zerlegt und verspielt im spärlich vorhandenen Zwischenraum der solarCity?
D.P.: Es geht bei diesem Projekt ja nicht nur um Zwischenräume sondern auch um ungenutzte Räume bzw. deren Umnutzung. Das ist in der solarCity schon sehr spannend – mit geplanten Orten zu arbeiten, aber diese dann anders zu nutzen.
Wie schätzt ihr generell die Wirkung künstlerisch belegter Räume ein – provoziert das eine Nachnutzung?
O.S.: Also für den Wüstenrotpavillon interessiert sich schon das neue Stadtteilbüro. Aber ein Leerstand in Auwiesen ist ja nicht unbedingt charmant. Wenn dort im Einkaufszentrum Geschäfte leer bleiben, dann hat das etwas Trostloses. Das spürt man auch im Gespräch mit den BewohnerInnen, die das als Schandfleck empfinden. Auwiesen ist insofern auch eine Herausforderung und Zentrale.Filiale ein Versuch der Initialzündung. Es wird sich erst im Lauf des Projekts zeigen, ob jemand gezielt anbeißt und den langen Atem hat, es weiterzuführen.
S.M.: Es ist jedenfalls wichtig, nicht zu hohe Ansprüche zu haben. Wir wollen ja nicht prinzipiell Räume bewerten, es geht vor allem um den Impuls. Und auch darum, auf eine gewisse Leere zu insistieren, nicht nur auf die Belegung. Das Radio ist grundsätzlich dazu da, etwas hörbar zu machen, was nicht sichtbar ist. Das Sichtbarmachen, die Vernetzung zwischen den BewohnerInnen und den verschiedenen Generationen ist wichtiger, als die Bewertung eines Raumes selbst.
zerlegt und verspielt hat ja mehr den Charakter des temporären Eingriffs, der aber nachhaltig Blicke auf Räume verändern soll.
D.P.: Genau. Es geht darum, seine Siedlung im Nachhinein anders zu erleben, verschiedene Orte mit neuen Erfahrungen zu verknüpfen. Dass man dann sagen kann, auf der Wiese, auf der wir sonst nur mit dem Hund spazieren gehen, war vor fünf Jahren diese verrückte Festivalaktion.
Es ist also eher unwahrscheinlich, dass die BewohnerInnen der solarCity nach den Interventionen sagen, das möchten wir jetzt aber bitte auch anders nutzen.
D.P.: Da stimme ich Sedjro zu, man darf sich die Ziele nicht zu hoch stecken, aber das wäre natürlich schon der Idealfall.
1 Kommt von engl. Gentry: niederer Adel, und meint den sozialen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteiles, die Aufwertung des Wohnumfelds durch teils gezielte und selektive Veränderung der Bevölkerung, sowie durch Restaurierungs- und Umbautätigkeit
2 Eine leerstehende Liegenschaft hinter dem Einkaufszentrum Auwiesen, an der Endhaltestelle der Linie 1
3 Siehe nebenstehenden Infokasten
Vorprojekte:
Runder Tisch zum Thema Mobilität
Erich Klinger wird mit geladenen Gästen über Mobilität diskutiert.
23. Februar, Ort wird noch bekannt gegeben
Jugendkultur Workshop: Make your own video/audio
Als Ausgangspunkt der von Stadtwerkstatt und Radio FRO initiierten Workshops MyFriend soll die Erkundung des sozialen Umfeld von Jugendlichen im Stadtteil stehen.
Hotspots, Treffpunkte und wichtige Räume der jungen AkteurInnen stehen – architektonisch wie sozial – im Mittelpunkt visueller und akustischer Streifzüge durch Auwiesen. Mit den, den Jugendlichen wohlbekannten, Methoden und Techniken von Internetdiensten wie MySpace oder Facebook soll eine Art Socialnetwork auf analoge Weise nachgebildet werden.
14. März, Leerstand Wüstenrotpavillon
„Vor Ort im Vorort“: Das Festival der Regionen im Vorfeld
Das Festival der Regionen widmet sich 2009 mit dem Thema „Normalzustand“ den tatsächlichen oder eingebildeten Normalzuständen städtischen Lebens. Es bleibt auch im Süden von Linz, im städtischen Umfeld Auwiesen und Solar City, bei seiner Ausrichtung von aktueller ortsspezifischer Kunst und Kultur. Nach der verstärkt installativen Ausrichtung der letzten Ausgaben setzt das Festival 2009 in den Wohnanlagen von Auwiesen und der solarCity schwerpunktmäßig auf Partizipation, Performance und Präsenz der AkteurInnen vor Ort.
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ bis Mai 2009 der Festival-Vorberichterstattung und möchte anhand von stattfindenden Projekten, bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub)urbanen und künstlerischen Normalzustandes beleuchten – und als Serie eine kleine Phänomenologie der Sichtbarmachung, des Zusammenlebens und Teilnahme zeichnen.
In Teil 4 der Serie soll es um Leerräume und Zwischenräume gehen. Damit schließt Teil 4 direkt an eine Aussage aus dem letzten „Vor Ort im Vorort“ im Jänner an, die den Zusammenhang von „ästhetischem“ Kunstdiskurs und realen sozialen Problemfeldern folgendermaßen zusammengefasst hat: […] „Hübschheit“ und „Schönheit“ – die eine [meint] der Lokalpolitiker, die andere [ist] ästhetische Nachhaltigkeit. Und eine ebensolche Schönheit sei nur dadurch zu erzielen, dass man im öffentlichen Raum auf Überraschungen und Disharmonien stoßen könne, auf Brüche und Strukturreichtum.“
Zwischen SolarCity und Auwiesen, zwischen Hübschheit, Leerraum, Verfall und Leerstand haben sich nun verschiedene Projekte im Vorfeld ihre Aktivitäten begonnen, um die Potentiale zwischen den sozialen Leerstellen und ökonomischen Bruchstellen aufzuspüren. Die Zentrale.Filiale (STWST, FRO) steht während des Festivals als alternativer Medien- Kunst- und Kulturproduktionsort sowie als Treffpunkt für die lokale Bevölkerung und die FestivalbesucherInnen zur Verfügung. Sie beinhaltet eine Audio- und Videowerkstatt, ein Satelliten-Cafe und eine Bühne sowie einen mobilem Produktionsraum. zerlegt und verspielt (von Doris Prlic betreut) entwickelt Möglichkeiten der Freizeitgestaltung außerhalb der Wohnbereiche im Festivalgebiet – mit Aktionen, Performances und Installationen rund um Freizeit, Spiel und Freiräume. Die Projekte finden ab Mai an Orten wie Grünflächen, Innenhöfen oder Fahrradkellern statt.
Mehr Informationen zum FdR: www.fdr.at.
Noch nicht ganz zentrale Filiale – der Leerstand Wüstenrotpavillon.
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spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014