Mit Gesprächen gegen das Gerede
Der südliche Stadtrand von Linz ist wieder einmal ins Gerede gekommen. Die Kriminalität unter Jugendlichen würde in Auwiesen bereits ein virulentes Problem darstellen, vernimmt man aus den lokalen Medien, der Vandalismus nimmt zu. Die lokalen Streetworker sehen die Situation differenzierter und verweisen auf die Stigmatisierung durch eine schiefe Berichterstattung. Diese nimmt im Falle Auwiesens auch gerne die Pichlinger solarCity huckepack, was nicht nur angesichts der Unterschiede in der Bewohnerstruktur zu kurz gegriffen ist.
In Pichling und in Auwiesen fanden 2004 Bürgerbefragungen2 statt, die neben knapp gehaltenen Fragen zur Infrastruktur vor allem dem Thema „öffentliche Sicherheit“ breiten Raum gaben und somit eher einer Evaluierung von Polizeiarbeit gleichkamen. Dass Prävention und ein funktionierendes Gemeinschaftswesen nicht zwingend Uniform tragen, blieb im Fragenkatalog außen vor. Jedenfalls beanstandeten 46 % der Befragten in Pichling die Distanz zum nächsten Polizeiwachzimmer, das sich damals noch in Ebelsberg befand. Bei den Fragen zur Infrastruktur bemängelten 25 % der Befragten die fehlenden Jugendeinrichtungen als zweitgrößtes Problem. Ergebnis: Ein neues Wachzimmer bekam die solarCity, eine permanente Jugendeinrichtung nicht. Dafür gäbe es noch zu wenig Nachfrage, beruhigte das Stadtteilbüro im Herbst 2005, angesichts der vielen Sechs- bis Dreizehnjährigen bestehe noch kein Bedarf. Man genehmigte sich Zeit und initiierte eine „Jugendraum-Analyse“. Ein fruchtbares Ergebnis zeitigte diese nicht. Heute verweist man lieber auf den gerade fertig gestellten Sportpark, der ja ein gutes Angebot für die mittlerweile rund 1000 (!) Jugendlichen darstellen würde.
In Auwiesen gab es in den 70ern keine geplante soziale Durchmischung, wie man sie später in der solarCity unternahm. In Pichling lässt sich ein deutlich höherer Bildungsgrad feststellen und die Gruppe der 26- bis 45-jährigen macht stolze 50 % aus, im Gegensatz zur deutlich älteren Bevölkerungsstruktur in Auwiesen. Die jeweiligen Anteile der BewohnerInnen mit migrantischem Hintergrund wurden 2004 nicht gesondert ausgewiesen, die offene Frage nach Problemen im Wohngebiet beantworteten in Auwiesen jedoch 28 % mit „Ausländerproblematik“, in Pichling tauchte diese gar nicht im Ranking auf.
Gemeinsam haben die beiden Stadtteile jedenfalls ihren Mangel an involvierender Infrastruktur, die Menschen in jenen Lebensraum einbindet, der durch Partizipation erst entsteht. In Auwiesen fehlte es wohl an erforderlicher Moderation, in der solarCity moderierte man bereits ausdefinierte Räume, die nicht mehr „belegbar“ waren. Die Vermittlungsebene „Stadtteilbüro“ dünnte man in der solarCity personell aus, in Auwiesen soll nun eines gegründet werden. Die Stadtväter und -mütter scheinen sozialpolitische JoJo-Spielchen zu mögen und definieren Bedarf gern zeitlich begrenzt. Von einem in den Medien herbeizitierten „Ghetto“ sind Auwiesen und die solarCity jedenfalls weit entfernt, auch wenn der Vandalismus zunimmt und die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen tatsächlich im Steigen begriffen ist. Ein guter Zeitpunkt eigentlich, um über längerfristige und Akzeptanz fördernde Maßnahmen nachzudenken, die aus der Bevölkerung heraus entwickelt werden müssen, angespornt vom unbefriedigenden Status quo. In jenem Vakuum, das der unbespielbare öffentliche Raum ausgebildet hat, kann ein ordnungshüterischer Kahlschlag kaum helfen. Kann es die Kunst?
Mit der Gesprächsreihe zum öffentlichen Raum in der Stadt kann sie es zumindest diskursiv. Und sie kann es, weil sie als Moderator ohne offiziellen Auftrag der Stadt fungiert. Dass es dabei nicht um abgehobene Ästhetikdiskussionen geht, sondern um die konkreten Auswirkungen von Stadtplanung, das bewiesen schon die bisherigen Veranstaltungen3. Da musste etwa der Linzer Stadtentwicklungsdirektor Gunter Amesberger eingestehen, dass er mit dem Ist-Zustand der solarCity nicht betraut ist, da es ja nun „von selbst laufen“ solle. Darüber hinaus habe es so etwas wie eine „Zielerfüllung“ für das nunmehr ausgelaufene Stadtteilmanagement nie gegeben. Dass Koordination aber grundsätzlich notwendig sei, bestätigte der Hamburger Architekt und Stadtplaner Michael Koch im Gespräch mit Peter Arlt. Koch plädierte für eine laufende Evaluierung von Siedlungsanlagen und für das Einbinden von Beteiligungsstrategien in die Bauvorhaben. Jedoch sei eine Verordnung von Belebung und Aktivität „von oben herab“ durch einen „Kümmerer“ problematisch, denn dann gehe es irgendwann ohne ihn gar nicht mehr. Zuletzt diskutierte Georg Ritter mit dem Kölner Künstler Boris Sieverts über die „Hübschheit“ und „Schönheit“ – die eine meine der Lokalpolitiker, die andere verstehe er selbst als ästhetische Nachhaltigkeit. Und eine ebensolche Schönheit sei nur dadurch zu erzielen, dass man im öffentlichen Raum auf Überraschungen und Disharmonien stoßen könne, auf Brüche und Strukturreichtum. In der durchgeplanten Architektur der solarCity konnte er dieses Potential jedenfalls nicht erkennen.
Interessant verspricht angesichts der eingangs zitierten Lage in Auwiesen und der solarCity auch die nächste Podiumsdiskussion mit erwünschter Publikumsbeteiligung zu werden. Eingeladen ist dazu der Grazer Sozialpädagoge und Sozialhistoriker Joachim Hainzl, der mit Wolfgang Preisinger über europäische Stadtbilder der Gegenwart diskutieren wird (Termine siehe nächste Seite). Thematisiert werden dabei die Behübschungstendenzen in den Stadtzentren, die durch das unselige Begriffspaar „Sicherheit & Sauberkeit“ definierte Nutzung öffentlicher Räume und das Sozialdisziplinierungsnetz aus Bettel- und Alkoholverboten, Überwachungskameras, Ordnungswachen, etc. Dass Jugendliche diesen fehlenden Gestaltungsfreiraum vermehrt spüren, zeigt sich auch in ihren zum Teil eruptiven Reaktionen, die von den Medien zurzeit gerne ohne zugehörigen Kontext transportiert werden.
Worauf aber, wenn nicht auf einem solchen Diskurs könnte eine Adaptierung des öffentlichen Raumes fußen? Es wäre jedenfalls wünschenswert, dass sich die Jugendlichen Auwiesens und der solarCity auf der Suche nach Freiraum demnächst nicht in einem Planquadrat wiederfinden, sondern an runden Tischen endlich Gehör.
1 Der Linzer VP-Klubobmann Thomas Stelzer in den OÖ Nachrichten vom 15.12.2008
2 Einsehbar unter www.linz.at/politik_verwaltung/6268.asp
3 Gesprächsprotokolle unter http://peterarlt.at
Weitere Termine:
Mi, 14.01.09, 19.00 h, Joachim Hainzl (Sozialpädagoge und Sozialhistoriker, Graz), Schulzentrum solarCity, Heliosallee 140-142, solarCity (Treffpunkt Endhaltestelle)
Mi, 11.02.09, 19.00 h, Michael Zinganel (Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator, Wien/Graz), Tornado Bowlingcenter, Karl-Steiger-Straße 3, Auwiesen (Treffpunkt Endhaltestelle)
Mi, 11.03.09, 19.00 h, Katharina Blaas-Pratscher (Leiterin Kunst im öffentlichen Raum, Niederösterreich), Volkshaus Auwiesen, Wüstenrotplatz, Auwiesen (Treffpunkt Endhaltestelle)
„Vor Ort im Vorort“: Das Festival der Regionen im Vorfeld
Das Festival der Regionen widmet sich 2009 mit dem Thema „Normalzustand“ den tatsächlichen oder eingebildeten Normalzuständen städtischen Lebens. Es bleibt auch im Süden von Linz, im städtischen Umfeld Auwiesen und Solar City, bei seiner Ausrichtung von aktueller ortsspezifischer Kunst und Kultur. Nach der verstärkt installativen Ausrichtung der letzten Ausgaben setzt das Festival 2009 in den Wohnanlagen von Auwiesen und der solarCity schwerpunktmäßig auf Partizipation, Performance und Präsenz der Akteure vor Ort.
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ bis Mai 2009 der Festival-Vorberichterstattung und möchte anhand von stattfindenden Projekten, bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub)urbanen und künstlerischen Normalzustandes beleuchten, als Serie eine kleine Phänomenologie der Sichtbarmachung, des Zusammenlebens und Teilnahme zeichnen. In Teil 3 der Serie soll es um die Gesprächsreihe „Der öffentliche Raum der Stadt“ gehen – und um den Zusammenhang von „ästhetischem“ Kunstdiskurs und realen sozialen Problemfeldern.
Mehr Informationen zum FdR: www.fdr.at.
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spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014