Ein Kämpfer

Rudi Gelbard: 1930 in Wien geboren, Kindheit in einer jüdischen Großfamilie. 1942 kommt Gelbard mit seiner Familie in das KZ Theresienstadt, von wo die Transporte in die Vernichtungslager im Osten gingen. Walter Kohl schreibt darüber in seinem Buch „Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer“, Christian Pichler rezensiert.

November 2008, Buch­prä­sentation von Wal­ter Kohls „Die dunklen Sei­ten des Planeten“ im Lin­zer Wissensturm. Nach der Lesung Publikums­fra­gen an die Hauptfigur des Abends, Rudi Gel­bard, den Kohl in den ver­gangenen Mo­­na­ten mehr­mals zu dessen Le­bens­ge­schichte interviewt hat. Gel­bard, eine imposante Erscheinung, ungemein be­le­­sen, redegewandt, char­mant. In seinen Antwor­ten virtuos zwischen Faktischem und Anek­doti­schem pendelnd, einem Boxer gleich, der sich manchmal lässig in die Seile fallen lässt, um da­raus wieder her­vorzuschnellen und – verbal – in die Of­fen­si­ve zu gehen. Ein Mann, der weiß, wo­für er kämpft: Ge­gen Faschismus jedweder Art, für eine hu­ma­ne­re Gesellschaft.
Vorweg zum einzigen Kritikpunkt an diesem un­ein­geschränkt wichtigen Buch: Rudi Gelbard be­kennt sich zur Sozialdemokratie, ja, bezeichnet sich selbst als „Zionist sozialdemokratischer Prä­gung“. Das ist die eine Seite. Au­tor Kohl lässt im Buch fast die gesamte sozialdemokratische Prominenz der vergangenen Jahre zu Wort kommen. Mate­ri­al dafür erhielt er bei Reden von zahlreichen Preis­verleihungen und Auszeichnungen an Gelbard. Nun hat aber die Sozialdemokratie bis in die jüngere Vergangenheit die Tra­di­tion des antifaschistischen Widerstandes einige Male – höflich ausgedrückt – schamhaft verborgen. Man erinnere sich etwa nur an die Anbiederung der Par­tei­spit­ze an die „Kro­nen Zeitung“ im Verlauf der Wahl zum National­rat 2008 (von Walter Kohl auch kritisch erwähnt; der Rezensent hält die „Kro­ne“ für de­­mokratie­ge­fähr­dender als selbst Jörg Haiders Freiheitliche Par­­­tei in den 1990ern. Weitere Infos zum komplexen Thema SPÖ/NS-Zeit: www.dokumenta­tionsarchiv.at/ SPOE/Braune_Flecken_SPOE.htm). Nun mag Kohls Ent­schluss, so­zial­demokratischen Politikern so viel Raum zu geben, vom enormen Res­pekt getragen sein, den Kohl gegenüber Gelbard lesbar emp­fin­det. Die An­spannung beim Schreiben (und in den Gesprächen mit Gel­bard), dieser Per­sön­lichkeit ge­recht zu werden, ist nachvollziehbar. Posi­tiv formuliert: Kohls Wille zur größtmöglichen Aufrich­tig­keit, die eigene Unsicherheit eingeschlos­sen, macht dieses Buch ungemein lesenswert, lässt es einem so nahe gehen.
Dennoch, antifaschistischer Widerstand ist nicht alleine und per se sozialdemokratisch.
Zu Wichtigerem, Rudi Gelbard: 1930 in Wien ge­bo­­ren, Kindheit in einer jü­dischen Großfamilie. 1942 kommt er mit seiner Familie in das KZ The­re­sien­stadt (nördlich von Prag), von wo die Trans­porte in die großen Vernichtungs­la­ger im Osten gingen. Die Familie überlebte, weil die Mut­ter in einer kriegswichtigen Produktion eingesetzt war. 19 andere Mit­glieder der Großfamilie waren er­mordet worden. Sein Vater, nach dem Auf­ent­halt im KZ ein ge­bro­che­ner Mann, starb wenig Jahre nach der Be­­frei­ung des Lagers. Auch die Mut­ter litt ihr ganzes wei­teres Leben an den Fol­gen des erlebten Grau­ens.
Kohls vorsichtige Annäherung an Gelbard: Wie ei­nen porträtieren, der weiß, dass jeder Be­richt über ein einzelnes Schicksal der Unge­heu­er­lich­keit von Millionen in der Shoa Ermordeten nicht gerecht wer­den kann? Der selbst mit der Er­in­ne­rung ringt und sie anzweifelt? Der etwa deshalb in den ers­ten Jahren, nachdem er befreit wor­den war, jede Lek­türe zum Thema The­resienstadt mied, damit sei­ne Erinnerungen möglichst unverfälscht bleiben mögen? Der auch um die Wider­sprüchlichkeit je­der menschlichen Exis­tenz weiß und deshalb billige Gut-Böse-Kategorien ablehnt (Gelbard betont, in Theresienstadt habe er gelernt, nicht über an­de­­re zu urteilen). Gerne gibt er folgende Er­zählung zum besten, die jede Schwarz-Weiß-Malerei re­la­ti­viert. Einmal wird der Bub Gel­bard von HJ-Bur­schen umzingelt, Kohl zi­tiert von der Tonband­auf­nah­me: „Der älteste, der Fähnlein­füh­rer, dem wür­de ich so­gar heute noch die Hand geben! Der hat mich einmal umgedreht und mir einen Spitz gegeben. (...) Dann hat er mir natürlich noch einen Spitz gegeben, klar, das hat er allein schon für die an­de­ren ma­chen müssen, und dann hat er gesagt: Na gut, Klaa­ner, na guat, klaaner Ju­den­bua – schleich di, klaaner Judenbua! (...) Na ja, es war eine mensch­li­che Haltung, so unglaublich es klingt, dass man je­man­den lobt, der einem einen leichten Fußtritt gibt (...)“
Gelbard berichtet von Struktur und Organisation des KZ Theresienstadt. Über persönlich erlittenes Leid gibt er nur sehr begrenzt Auskunft. Wie­wohl kein Vernichtungslager, verursachten die NS-Ver­bre­cher auch in The­re­sienstadt menschliche Qua­len, die jede Vorstellungskraft übersteigen. Wü­­tend beklagt Gelbard die Mär vom „Vorzei­gela­ger“ The­resienstadt. An der bis heute wirksamen Nazi-Pro­paganda hat – nur eines der vielen aufschlussrei­chen Details des Buches – ein Herr namens Kurt Gerron großen Anteil: Gerron, der u.a. im Kino-Welt­erfolg „Der blaue Engel“ von 1930 den Zau­ber­künst­ler spielte, wurde 1941 verhaftet und nach The­­re­si­enstadt de­portiert. In der Hoffnung, das Grau­en da­durch zu überleben, drehte er 1944 ei­nen Nazi-Propagandafilm über das Lager. Wenige Wochen spä­ter wurde er nach Auschwitz de­por­tiert und dort ermordet.
Walter Kohl hat ein Buch wohl ganz im Sinne Gel­bards geschrieben: Kennt­nisreich und gut lesbar, prall an (zeitgeschichtlichen) Fakten, die nicht zu­letzt Argumente gegen alle Relativierer bzw. Ver­harm­loser der NS-Zeit liefern. – Nur ein weiteres De­tail: Gelbard berichtet davon, wie beim Ab­trans­­port aus Wien der Mob johlte: „Ha, ha, jetzt führen s’ die Jüdelach, jetzt führen s’ sie ins (... KZ)“. Hin­ge­gen in Prag hätten die Menschen gerufen: „Naz­dar!“ („Servus!“) und „Haltet aus!“, „Hitler bald ka­putt!“. Ein nicht unwesentlicher Menta­litäts­un­ter­schied, den Gelbard auch nach der Befreiung 1945 in Wien feststellte. Er und drei Freun­de ba­ten an der Kassa eines Kinos in Her­nals um Steh­karten (das Kino war aus­verkauft). Die Bil­le­teur­in hatte wohl den an­de­ren Besu­chern von den „frechen“ Buben er­zählt, die rasch von Wie­ner­In­nen um­stellt wa­ren. Kohl be­rich­tet: „Wie­der greift Gel­bard zum härtesten Wie­ne­risch, als er die Szene hör­­spiel­ar­tig nachstellt: ,Es Scheißju­den, warum hobts ihr üba­haupt – wie­so sads es ned ver­gast wurdn!?‘“
Eine Pflichtlektüre, zumal für jene, die die Wahr­heit über das Grauen noch immer verdrängen. Kürz­lich musste der Rezensent – wir befinden uns im 21. Jahrhundert! – mit anhören, wie ein älterer Herr, der gerne das Wort „literarisch“ in den Mund nahm, ungefragt seinen relativierenden Sprach-Müll zum Thema NS-Zeit auskotzte: „Des wor net nur sauba, oba des kummt imma wieda vor.“

Walter Kohl: „Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer“. Edition Geschichte der Hei­mat, Grünbach 2008, 238 S.

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aus Walter Kohl „Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer“

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