Ein Kämpfer
November 2008, Buchpräsentation von Walter Kohls „Die dunklen Seiten des Planeten“ im Linzer Wissensturm. Nach der Lesung Publikumsfragen an die Hauptfigur des Abends, Rudi Gelbard, den Kohl in den vergangenen Monaten mehrmals zu dessen Lebensgeschichte interviewt hat. Gelbard, eine imposante Erscheinung, ungemein belesen, redegewandt, charmant. In seinen Antworten virtuos zwischen Faktischem und Anekdotischem pendelnd, einem Boxer gleich, der sich manchmal lässig in die Seile fallen lässt, um daraus wieder hervorzuschnellen und – verbal – in die Offensive zu gehen. Ein Mann, der weiß, wofür er kämpft: Gegen Faschismus jedweder Art, für eine humanere Gesellschaft.
Vorweg zum einzigen Kritikpunkt an diesem uneingeschränkt wichtigen Buch: Rudi Gelbard bekennt sich zur Sozialdemokratie, ja, bezeichnet sich selbst als „Zionist sozialdemokratischer Prägung“. Das ist die eine Seite. Autor Kohl lässt im Buch fast die gesamte sozialdemokratische Prominenz der vergangenen Jahre zu Wort kommen. Material dafür erhielt er bei Reden von zahlreichen Preisverleihungen und Auszeichnungen an Gelbard. Nun hat aber die Sozialdemokratie bis in die jüngere Vergangenheit die Tradition des antifaschistischen Widerstandes einige Male – höflich ausgedrückt – schamhaft verborgen. Man erinnere sich etwa nur an die Anbiederung der Parteispitze an die „Kronen Zeitung“ im Verlauf der Wahl zum Nationalrat 2008 (von Walter Kohl auch kritisch erwähnt; der Rezensent hält die „Krone“ für demokratiegefährdender als selbst Jörg Haiders Freiheitliche Partei in den 1990ern. Weitere Infos zum komplexen Thema SPÖ/NS-Zeit: www.dokumentationsarchiv.at/ SPOE/Braune_Flecken_SPOE.htm). Nun mag Kohls Entschluss, sozialdemokratischen Politikern so viel Raum zu geben, vom enormen Respekt getragen sein, den Kohl gegenüber Gelbard lesbar empfindet. Die Anspannung beim Schreiben (und in den Gesprächen mit Gelbard), dieser Persönlichkeit gerecht zu werden, ist nachvollziehbar. Positiv formuliert: Kohls Wille zur größtmöglichen Aufrichtigkeit, die eigene Unsicherheit eingeschlossen, macht dieses Buch ungemein lesenswert, lässt es einem so nahe gehen.
Dennoch, antifaschistischer Widerstand ist nicht alleine und per se sozialdemokratisch.
Zu Wichtigerem, Rudi Gelbard: 1930 in Wien geboren, Kindheit in einer jüdischen Großfamilie. 1942 kommt er mit seiner Familie in das KZ Theresienstadt (nördlich von Prag), von wo die Transporte in die großen Vernichtungslager im Osten gingen. Die Familie überlebte, weil die Mutter in einer kriegswichtigen Produktion eingesetzt war. 19 andere Mitglieder der Großfamilie waren ermordet worden. Sein Vater, nach dem Aufenthalt im KZ ein gebrochener Mann, starb wenig Jahre nach der Befreiung des Lagers. Auch die Mutter litt ihr ganzes weiteres Leben an den Folgen des erlebten Grauens.
Kohls vorsichtige Annäherung an Gelbard: Wie einen porträtieren, der weiß, dass jeder Bericht über ein einzelnes Schicksal der Ungeheuerlichkeit von Millionen in der Shoa Ermordeten nicht gerecht werden kann? Der selbst mit der Erinnerung ringt und sie anzweifelt? Der etwa deshalb in den ersten Jahren, nachdem er befreit worden war, jede Lektüre zum Thema Theresienstadt mied, damit seine Erinnerungen möglichst unverfälscht bleiben mögen? Der auch um die Widersprüchlichkeit jeder menschlichen Existenz weiß und deshalb billige Gut-Böse-Kategorien ablehnt (Gelbard betont, in Theresienstadt habe er gelernt, nicht über andere zu urteilen). Gerne gibt er folgende Erzählung zum besten, die jede Schwarz-Weiß-Malerei relativiert. Einmal wird der Bub Gelbard von HJ-Burschen umzingelt, Kohl zitiert von der Tonbandaufnahme: „Der älteste, der Fähnleinführer, dem würde ich sogar heute noch die Hand geben! Der hat mich einmal umgedreht und mir einen Spitz gegeben. (...) Dann hat er mir natürlich noch einen Spitz gegeben, klar, das hat er allein schon für die anderen machen müssen, und dann hat er gesagt: Na gut, Klaaner, na guat, klaaner Judenbua – schleich di, klaaner Judenbua! (...) Na ja, es war eine menschliche Haltung, so unglaublich es klingt, dass man jemanden lobt, der einem einen leichten Fußtritt gibt (...)“
Gelbard berichtet von Struktur und Organisation des KZ Theresienstadt. Über persönlich erlittenes Leid gibt er nur sehr begrenzt Auskunft. Wiewohl kein Vernichtungslager, verursachten die NS-Verbrecher auch in Theresienstadt menschliche Qualen, die jede Vorstellungskraft übersteigen. Wütend beklagt Gelbard die Mär vom „Vorzeigelager“ Theresienstadt. An der bis heute wirksamen Nazi-Propaganda hat – nur eines der vielen aufschlussreichen Details des Buches – ein Herr namens Kurt Gerron großen Anteil: Gerron, der u.a. im Kino-Welterfolg „Der blaue Engel“ von 1930 den Zauberkünstler spielte, wurde 1941 verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. In der Hoffnung, das Grauen dadurch zu überleben, drehte er 1944 einen Nazi-Propagandafilm über das Lager. Wenige Wochen später wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Walter Kohl hat ein Buch wohl ganz im Sinne Gelbards geschrieben: Kenntnisreich und gut lesbar, prall an (zeitgeschichtlichen) Fakten, die nicht zuletzt Argumente gegen alle Relativierer bzw. Verharmloser der NS-Zeit liefern. – Nur ein weiteres Detail: Gelbard berichtet davon, wie beim Abtransport aus Wien der Mob johlte: „Ha, ha, jetzt führen s’ die Jüdelach, jetzt führen s’ sie ins (... KZ)“. Hingegen in Prag hätten die Menschen gerufen: „Nazdar!“ („Servus!“) und „Haltet aus!“, „Hitler bald kaputt!“. Ein nicht unwesentlicher Mentalitätsunterschied, den Gelbard auch nach der Befreiung 1945 in Wien feststellte. Er und drei Freunde baten an der Kassa eines Kinos in Hernals um Stehkarten (das Kino war ausverkauft). Die Billeteurin hatte wohl den anderen Besuchern von den „frechen“ Buben erzählt, die rasch von WienerInnen umstellt waren. Kohl berichtet: „Wieder greift Gelbard zum härtesten Wienerisch, als er die Szene hörspielartig nachstellt: ,Es Scheißjuden, warum hobts ihr übahaupt – wieso sads es ned vergast wurdn!?‘“
Eine Pflichtlektüre, zumal für jene, die die Wahrheit über das Grauen noch immer verdrängen. Kürzlich musste der Rezensent – wir befinden uns im 21. Jahrhundert! – mit anhören, wie ein älterer Herr, der gerne das Wort „literarisch“ in den Mund nahm, ungefragt seinen relativierenden Sprach-Müll zum Thema NS-Zeit auskotzte: „Des wor net nur sauba, oba des kummt imma wieda vor.“
Walter Kohl: „Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer“. Edition Geschichte der Heimat, Grünbach 2008, 238 S.
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