Die langfristige Kunst des Zufalls
Daniel, du bist das neue Bandmitglied. Wird das ein längerfristiges Zusammenspiel mit der Band?
Daniel Opelt: Mal schauen. Tancred war es, der heute von der Band zum Mitspielen eingeladen wurde und er hat mich einfach mitgenommen. Bis jetzt hat sich noch niemand von der Band beschwert, dass ich da bin.
Boeff machen trotz oder mit uns heute ihr normales Programm. Falls Boeff denn so etwas wie ein normales Programm haben.
Das normale Programm von Boeff läuft unter anderem auch unter „experimentell“. So steht es auf der Homepage. Ich stell mir unter experimentell gerne alles und nichts vor.
Raimund Vogtenhuber: Eigentlich haben wir zwei Programme. Das, was man letztendlich Rock nennt – und heute, mit der Lesung wird’s sicher experimentell. Musik ist ja im Grunde ein geschlossenes System. Notenlesen, Satzlehre, usw. Experimentell meint das riesige Feld, das außerhalb dieses Systems liegt. Ein Graubereich. Und den erforschen wir heute unter anderem mit Literatur.
DO: Das Hauptproblem des Experimentellen ist wahrscheinlich, dass das „Gegen-den-Strich-Frisieren“ der Dinge oft zum Konzept erklärt wird. Das ist manchmal ganz lustig, muss aber nicht das große Thema sein. Das Frisieren gegen den Strich ist sicher nicht der Inbegriff des Experimentellen.
RV: Experimentell heißt, Dinge auszuprobieren. Wobei es heutzutage natürlich kaum noch Sachen gibt, die nicht schon ausprobiert worden sind. Aber das soll auch nicht der Anspruch sein zu überlegen: Was gibt’s schon alles? Denn dann bleibt einem ohnehin nicht mehr viel anderes übrig als abzukupfern. Wir haben keine strikten Regeln, versuchen, Dinge zu entwickeln oder Dinge einfach anders zu definieren. Das fängt eben schon damit an, dass wir „experimentell“ nicht als geschlossenen Begriff sehen.
DO: Aber es stimmt schon: Experimentell ist als Begriff oft eine Verlegenheit. Ob improvisiert oder komponiert – jede Gruppe stellt sich doch letztlich ihre eigenen Regeln auf.
RV: Genau so machen wir es, wir stellen eine Theorie auf, und die wird dann untersucht, also experimentiert.
Als Künstler wird man ja nicht gern schubladisiert, gell?
DO: Naja, was da abläuft, ist schon ein bisschen lächerlich. Jeder Musiker schreibt mittlerweile in seinen Pressetext, er könne unmöglich schubladisiert werden. Aber letztlich hat doch jeder seine Tendenzen.
Was spricht dagegen, sich einfach als Rocker zu definieren?
DO: Tun wir ja, aber mit Apostroph, also mit ironischem Unterton.
Edi Friedl: Wir spielen mit dem, was es gibt. Und dann schauen wir, was rauskommt. (blickt auf den toten Hasen)
Oliver Siegl: Lauter Viecher. Viele Viecher auf der Bühne!
Und was wird Tancred heute für eine Rolle spielen?
EF: Tancred wird uns stören und wir ihn.
Das Interdisziplinäre ist doch letztlich eine Idee der Popkultur aus den 60ern. Künstler fingen an, sich aus allen Kunstrichtungen das zu nehmen, was ihnen für ihre Sache brauchbar schien. In den 80ern und 90ern diagnostizierte die Kunstrezeption einen Qualitätsverlust allerorten. Und seitdem geht die Entwicklung dahin, dass sich die Kunstrichtungen ihrer eigenen Referenzen besinnen.
DO: Die Gefahr besteht schon, wenn man die Grenze zwischen Malerei, Musik und Literatur nicht exakt zieht. Es geht das Bewusstsein für’s einzelne Medium verloren.
Das klingt ja wie ein Plädoyer zur Konzentration aufs Wesentliche?
RV: Na, ich weiß nicht – ob es bei uns eine Konzentration aufs Wesentliche gibt?
Tancred Hadwiger: Also ich bin über die Musik zur Sprache gekommen. Und ich versuch mich auch in anderem. Nur – daheim bin ich in der Sprache. Ich hab das Gefühl, in keiner anderen Ausdrucksform komm ich zu jener Qualität, die ich mit Sprache erreiche.
Und ich steh ja jetzt wieder mal in der Verlegenheit, mit Sprache etwas über Musik schreiben zu müssen. Kennt ihr einen Text über Musik, der dem, was da zu hören ist, zumindest im weitesten Sinne entspricht?
Goetz Auzinger: Wahrscheinlich eine Unmöglichkeit. Frank Zappa hat mal gesagt: „Über Musik reden ist wie zu Architektur tanzen.“
RV: Es gibt zwar keine autarke Musik, aber ein Problem der Kritik ist sicher das ständige Heranziehen von Vergleichen. Analysen können schon interessant sein, aber als Künstler helfen sie dir nur selten weiter.
DO: Stimmt. Da gibt’s erstaunlichere Dinge. Etwa, dass Leute wie Olivier Messiaen oder Zappa Musik geschrieben haben, die praktisch unspielbar ist.
RV: Oder die Idee einerseits und die Umsetzung der Idee andererseits. Das Streben nach Perfektion oder das Spiel mit dem Zufall. Und so weiter. Wobei ich nicht behaupten würde, dass der Zufall allein schon Kunst produzieren kann.
DO: Einer, der kein Instrument spielen kann, sich hinsetzt, irgendwas klimpert, und das als Kunst deklariert ...
EF: Ja und? Kann ja auch Kunst sein ...
RV: Naja, vielleicht – und das war’s dann. Das ist kurzfristige Kunst.
TH: Trotzdem passiert es letztendlich einfach. Wie das automatische Schreiben. Die Sätze mögen nicht besonders sein, nicht schlecht oder dann wieder sehr gut. Letztendlich passiert es, so wie eure Sachen – auf die ich meinen Reim finde. Und heute sag ich nicht 2009. Ich hab’s schon umgeschrieben. Es heißt 2010.
GA: Das heutige Konzert wird eine Vorschau auf unsere postkulturelle Phase!
Boeff gibt’s seit 1994. Ihr habt also mittlerweile so etwas wie Geschichte.
GA: Boeff ist die Geschichte der Grauzone.
Ist so etwas wie eine Entwicklung nachvollziehbar?
RV: Nein, nicht unbedingt. Aber wir waren ständig in Bewegung.
Ihr spielt, als stündet ihr nach Blues, Beat, Punk und Rap über den Dingen. Oder als wäre euch alles wurst.
RV: ... was uns freilich immer ein bisschen peinlich ist.
DO: Ich glaub, man sollte schon nach Qualität streben, aber nicht unbedingt nach Perfektion.
RV: Perfektion ist nicht wichtig. Aber was man doch immer wieder anstreben sollte, ist ein gutes Konzert. Ein gelungenes Konzert ist ein Statement in einem Kontext. Das kann politisch sein oder aber nicht. Auf der Bühne ist viel möglich, bis hin zur Verweigerung jeglicher Aussage.
GA: Das Moment der Überraschung ist wichtig.
Goetz, du bist Mathematiker. Gibt’s in der Mathematik auch Überraschungen?
GA: Wemiher. Aber im Prinzip ist Musik mit ihren Kadenzen, Tonleitern, Akkorden usw. ein mathematisches System.
Denkt man als Musiker ähnlich wie ein Mathematiker?
GA: Zumindest tut man sich als Mathematiker leicht, dieses Baukastensystem der trockenen Musiktheorie zu verstehen. Aber das ist ja nur ein Aspekt der Musik, denn dieses System ist offen. Die perfekte Melodie gibt es nicht. Das System muss interpretiert werden. In diesem Sinne ist Musik eine Mischung aus Mathematik und Phantasie.
Außer Musik auch Mittelwellengeräusche, Föhn, Rasierapparat, Gummihenne, Elektropapagei, ein toter Hase, Spielzeugspinnengetier – Viecher über Viecher gestalteten das Konzert im Keller der Alten Welt.
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