Wichtig ist, wem der symbolische Wert zugute kommt.
In unserem Schwerpunkt gehen wir der Frage der Ausgrenzung nach, die im Kunst- und Kulturbereich passiert. Inwieweit sind MigrantInnen besonders davon betroffen?
Ich finde es sehr wichtig, sich vor allem die mehrfachen und unterschiedlichen Ausgrenzungen anzusehen, also die Frage nicht in dem Sinn auszulegen „wer ist mehr, wer ist weniger benachteiligt oder betroffen“, um sich damit nicht, wie es oft unwillentlich passiert, in eine Art „Steigerung der Elende“, um es nicht „Wettkampf um die Elende“ zu nennen, zu begeben bzw. einer sekundären Viktimisierung Vorschub zu leisten.
Natürlich gibt es gravierende Ausschlüsse im Kunst- und Kulturbereich und zwar auf mehreren Ebenen: Die fangen gewöhnlich dort an, wo man die MigrantInnen erst gar nicht sieht, und dieses „nicht sehen“ betrifft nicht allein Behörden und Institutionen, sondern erstreckt sich weitgehend eben auch über autonome Szenen und Zusammenhänge. „Bei uns gibt es keine MigrantInnen“ ist ein Satz, den ich schon öfters gehört habe, dabei sind MigrantInnen gerade mal vielleicht als Publikum, höchstens als TeilnehmerInnen mitgedacht.
Ein nächster Ausschluss passiert auf der Produktionsebene – denn die wenigsten migrantischen Selbstorganisationen oder MigrantInnen verfügen selbstverständlich über Ressourcen, und da sind durchwegs auch die symbolischen gemeint, um sich als ProduzentInnen regelmäßig hervorzutun, um Ausdrucksformen zu experimentieren, weiter zu entwickeln, sie zu präsentieren und ein Echo zu finden.
Eine dritte Ebene bezieht sich auf die über die vielen Jahre betriebene Förderpolitik: Kleine Beiträge wurden relativ unkompliziert und „niederschwellig“ unter dem Übertitel „Multikulti“ locker gemacht, d.h. kleines Geld für trachtige Feste mit kulinarischem Aufgebot. Diese sozusagen von der Mehrheitsgesellschaft extra produzierte Folklorisierung wurde und wird an eine weitgehende Exotisierung gekoppelt. MigrantInnen bekommen dabei die Rolle des „Anderen“ aufgestempelt, werden noch zusätzlich als „vormodern“ konstruiert und abgewertet, und auf diesem Weg kann der Skandal um ihren Ausschluss aus der Gemeinschaft der mit (Bürger)Rechten-Ausgestatteten verdrängt werden. In der Zwickmühle solcher für politische Legitimationszwecke hergestellter Widersprüchlichkeiten und mehrfachen Zuschreibungen – und aus ihr ausbrechend – haben MigrantInnen zu agieren. (Die Auswege kreisen somit gleichzeitig um die Kreativität des Umgangs damit, die kontinuierliche Selbstausbeutung, die Freude am gemeinsamen Tun, die geteilte Wut und die unterschiedlichsten [strategischen] Allianzen.)
Wie kann man dem entgegenwirken?
Es handelt sich hier um strukturelle Ausschlüsse. Und diese sind bekannter Weise kein Naturgesetz, sondern werden an verschiedensten Orten – ich meine Institutionen, Gesetzgebungen, (Alltags)Situationen, Ausschreibungsmodalitäten, Gremienbesetzungen usw. – produziert, aufrechterhalten, weitergegeben, verteidigt.
Es geht hier auch um eine starke Verwobenheit mit anderen Prozessen. Z.B. die Festivalisierung des Kulturbereichs, die wir in den letzten 10 Jahren immens spüren. Sie hinterlässt ihre Spuren überall und jegliche Organisationen aus dem Kulturbereich sind davon betroffen – klar. Nicht desto weniger macht es einen enormen Unterschied, ob eine Organisation schon Erfahrungen sammeln, in Ereignissen und Themen hineinwachsen konnte, ob diese gewaltige Verschlechterung erst inmitten einer Professionalisierung eingesetzt hat oder womöglich den gewöhnlichen Rahmen, in dem sich MigrantInnen erst zu organisieren bzw. als selbstständige ProduzentInnen zu agieren haben, abgibt. Weiters gibt es die Frage nach der Kontinuität – denn aus der hegemonialen Geschichtserzählung entfällt ständig die Tatsache, wie viel schon da war und ist. Doch oft kann sich aus den Aktivitäten keine Kontinuität entwickeln und somit „entschwindet“ Geleistetes wie auch die gesammelten Erfahrungen.
Das soll nun nicht so wirken, als würde man gar nichts dagegen machen können. Wo Druck ist, wächst auch Gegendruck. Rezepte gibt es freilich keine, doch es gibt motivierende Beispiele für einen hinterfragten Umgang mit Verstrickungen in den Ausschlüssen: Ob es die Fähigkeit ist, Allianzen mit migrantischen Organisationen einzugehen, die Suche und die Entdeckung von anderem Publikum, eine reflektierte Einladungspolitik Kunst- und KulturproduzentInnen gegenüber, der Wille, MigrantInnen in der eigenen Organisation einzubinden und ihnen Entscheidungspositionen zu offerieren, ... Es geht auch darum, das wache Auge auf die Strukturen, die solche Ausschlüsse produzieren, zu richten, sie zu hinterfragen und sich an gemeinsamen Umformungen dieser zu beteiligen ...
Inwieweit spielt auch der Faktor Armut eine Rolle? Im Hinblick auf die passive Teilnahme als KonsumentIn, aber auch auf die aktiven Möglichkeiten, Kunst zu produzieren.
Die Armut der Mehrheitsgesellschaft spielt hier eine bedeutende Rolle. Denn wenn in einem der fünfreichsten Länder Europas Kunst und Kultur zu kostspieligen Unterhaltungsevents verkommen müssen, für eine langfristige und strukturerhaltende Kulturarbeit aber minimale Mittel zur Verfügung stehen, die Präkarisierung von Arbeits- und Lebenszusammenhängen in einem Ausmaß zunimmt, der nur AkteurInnen aus bestimmten privilegierten Schichten die Möglichkeit gibt, daran zu partizipieren, ist das ein Armutszeugnis. Das Diktat der neoliberalen Denkweise scheint flächendeckender zu werden: Bemühungen um die Eröffnung neuer Räume oder nicht kommerzialisiertes Experimentieren – was in den 70ern z.B. selbstverständlich war – sind heutzutage rar gesäht oder werden oft als unmöglich dargestellt. Dafür wird emsig an Richtlinien und überhaupt an einer Sprache gebastelt die sich dann in den Anträgen niederlässt, wo jede Aktivität „produktorientiert“, „messbar“ und besucherintensiv sein muss.
Wie kann Kunst und Kultur in bestehende Verhältnisse eingreifen bzw. bewirkt eine künstlerische Umsetzung von Kritik tatsächliche Veränderung? Welchen Zugang hat MAIZ?
MAIZ hat einen eigenen Weg eingeschlagen, weit weg vom abgetrampelten Pfad eines romantisch-naiven Glaubens an die „verändernde Kraft der Kunst“. Dennoch sehe ich Kunst und Kultur als Mittel, um zu intervenieren, Provokationen zu inszenieren und an Störungen, Unbehagen und sich daraus entwickelnden Prozessen zu arbeiten. Natürlich ist die Frage vorrangig, wie die Provokation gestaltet werden soll, damit gesellschaftliche Zuschreibungen nicht weitergegeben werden. MAIZ steht für einen sehr sorgsamen Umgang damit. Kunst soll nicht abgehoben dastehen, sondern Prozesse nach außen bringen oder selber welche anstiften. Daher gibt es die Entscheidung auf bzw. mit fiktionalen Ebenen zu arbeiten und diese auf ihre politische Tragbarkeit zu prüfen.
Du selbst arbeitest seit mehreren Jahren im Kulturbereich, was sind deine Erfahrungen?
Zunächst meine positiven Erfahrungen: Ein schöner Moment für mich war die Aussage einer mehrheitsösterreichischen Aktivistin, nach einem Workshop, in dem mehrheits- und migrantische KulturarbeiterInnen zusammengearbeitet haben. Sie meinte, ihr sei erst in diesem Austausch während des gemeinsamen Bearbeitens von Themen klar geworden, dass sie bis jetzt MigrantInnen nur zu „migrantischen“ Themen eingeladen hatte und somit in eine der Fallen des Essenzialismus hineingetappt war. Denn MigrantInnen sind Teil dieser Gesellschaft und können und wollen über alle gesellschaftlichen Fragen im Austausch sein, sich dazu äußern und Gehör finden.
Ebenfalls positiv für mich war die Frage, die aus der Ecke der freien Radios kam: Wie kommt es dazu, dass es als selbstverständlich betrachtet wird, 20 verschiedene Musiksendungen ins Programm aufzunehmen, wenn man aber eine kurdische Sendung hat, glaubt man, sie sei für die ganze Community repräsentativ. Wo also, von wem und in welchen Zusammenhängen wird drauf los verallgemeinert und wo wird selbstverständlich differenziert?
Die Projekte, in denen ich mitgewirkt habe, waren an der Schnittstelle Kulturarbeit und Antirassismus angesiedelt. Ein anderer gelungener Workshop war der Medienworkshop über „MigrantInnen in den freien Medien“ bzw. über migrantische Medien. Dazu eingeladen waren VertreterInnen von autonomen Mehrheitsmedien sowie migrantische MedienmacherInnen, z.B. von Öneri – einer türkischsprachigen Zeitung oder von der Onlineplattform Africanet. Im Zuge der späteren Vernetzungen sind wir auch auf „Gipsy-Radio“, ein autonomes Roma Radio in Österreich gestoßen, das in 80 Ländern gesendet wurde. Und übrigens kurz drauf eingestellt wurde, denn nach fünf Jahren unbezahlter Arbeit war die Situation nicht mehr haltbar. In all diesen Jahren wurde um Subventionen angesucht ...
Wir haben auf mehreren Ebenen gearbeitet: Die ReferentInnen waren mehrheitlich migrantische ExpertInnen, genauso wie die VeranstalterInnen, es ging einerseits um eine breitere Sichtbarkeit von MigrantInnen im autonomen Medienbereich, andererseits darum, verschiedene Communities zu vernetzen. Aus dem Workshop sind Kooperationen entstanden und eine gegenseitige Aufmerksamkeit für die Problematiken von den anderen, die dann auch in den eigenen Medien Platz fand. Offensichtlich wurde aber, dass auch in den autonomen Medien MigrantInnen nicht für gesamtgesellschaftliche Themen zuständig sind, sondern in ihrer Rolle als MigrantIn, die aus erster Hand über migrantische Themen berichten können, festgeschrieben werden.
Ein anderes Beispiel ist die Redaktion der „Kulturrisse“, die durch die Auseinandersetzungen um das von der IG Kultur Österreich durchgeführte Projekt „Fields of transfer“ herum mehrere MigrantInnen als Redaktionsmitglieder gewinnen konnte.
Unter welchen Bedingungen kann ein Projekt gelingen, was ist dabei wichtig, unter welchen Umständen wird es misslingen?
Wie schon gesagt, es gibt durchgehend schwerwiegende Ressourcenprobleme, es herrscht oft eine zermürbende Knappheit und dazu kommt die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsbedingungen. Davon sind zwar alle betroffen, aber MigrantInnen können zumeist nicht auf familiär generierte Mittel zugreifen, sie haben oft für ihre erworbenen Qualifikationen eine Abwertung erfahren, auch Universitätsabschlüsse werden hier nicht anerkannt. Ständig unter solchen Bedingungen zu arbeiten und zu leben ist eine enorme Herausforderung.
Zur Frage, wann ein Projekt für mich als gelungen gilt, seinen Sinn erfüllt: Ein wichtiges Kriterium ist die Frage, wem z.B. der symbolische Wert zugute kommt, sind es alle, die mitwirken oder ist es nur eine Person, die nach außen hin dafür steht und sich noch künstlerisch profiliert. Dies gilt besonders für die Kunst- und Kulturprojekte, die von/mit MigrantInnen gemacht werden.
Es hängt auch davon ab, wie die Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten sind, wer die Entscheidungen trifft, wer währenddessen und hinterher davon profitiert. Zusätzlich geht es um die Fragen: Werden dabei autonome Prozesse gestartet, finden Rückkoppelungen statt. Erst wenn dies alles stimmig ist, könnte man sagen, dass MigrantInnen nicht als eine Fläche für repräsentative Wünsche sondern als ProtagonistInnen erfahren und wahrgenommen werden.
Yabanci (der/die Fremde), Videoinstallation 2005, von Nilbar Güres, http://nilbargures.com Die Videoinstallation „Yabanci“ thematisiert die Wahrnehmung des/der Fremden als Objekt. Die Performance – ein Selbstexperiment im öffentlichen Raum – versucht, die eigene Reaktion auf den rassistisch-zuschreibenden Blick im Bild zu übersetzen. Entnommen aus der Dokumentation des zweijährigen Projekts „fields of TRANSFER, MigrantInnen in der Kulturarbeit“ der IGKultur Österreich. „fields of TRANSFER“ wurde als antirassistisches Vernetzungsprojekt konzipiert, das sich an Initiativen von MigrantInnen und Mehrheitsangehörigen im autonomen Kulturbereich richtete.
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