Gegen die Ordnungen

andenbeginngestellt-diefussballem2008isteinemännerfussballem2008 wenn5%-demdurchschnittösterreichischer bevölkerungentnommen-davonschwulsindhatösterreichandie25schwuleprofispieler inderbundesliga. (aus PRIDE – Das lesbisch/schwule Österreichmagazin Nr. 101/Dez. 2007). gleichzeitigkeiten und paradoxien/queer denken.

Anlässlich der Produktivität des Bereiches Kunstgeschichte mit dem Schwer­­punkt Gender Studies am 10. und 11. Jänner an der Kunstuni Linz hat spotsZ den Auftrag erteilt, das Thema aufzugreifen und zu berichten. Mir wurde die Ehre zuteil, da ich in meinem eigenen Auftrag als FROzine Re­dak­teurIn von Radio FRO – das hier zu erwähnende ausgezeichnete FREIE Lin­zer Stadtradio – eine Sendereihe zum Thema zu betreuen hatte.
„mehr(wert)queer“, so der Titel der Tagung, veranstaltet und organisiert von Univ.Prof.Dr.in Barbara Paul und Mag.a, schon bald Dr.in, Johanna Schaffer.
Die Tagung „mehr(wert)queer“ war als Feld theoretischer Ausei­nan­derset­zung mit den Möglichkeiten radikalpolitischer queerer Perspektiven konzipiert. Vor diesem Hintergrund wurde gefragt, wie visuelle Argumen­ta­tio­nen­(Bilder) – als Profession an der Kunstuniversität – mit rechtlichen und politischen Diskursen verwoben sind und interagieren.

queer
– wird auf dem Plakat zur Tagung, gestaltet von Stefanie Seibold, folgendermaßen beschrieben: (engl. für schräg, sonderbar, falsch, das negative Be­deutungsfeld des Wortes lässt sich gut mit dem des deutschen Begriffs „per­vers“ vergleichen). Queer ist ein ursprünglich homophobes und transphobes Schimpfwort. Im englischen und US-amerikanischen Sprachraum hat der Be­griff seit den 1980er Jahren, im deutschen seit Mitte der 1990er Jahre eine Rückaneignung durch die Personen und Kontexte erfahren, die damit abgewertet werden sollen. Heute wird queer zum einen als Begriff der politischen (Selbst-)Bezeichnung und zum anderen in theoretischer/kritischer Ar­­beit verwendet, um zum Teil und/oder auch programmatisch Wider­sprüch­liches zu bezeichnen: Umgangssprachlich gilt queer zunehmend als Iden­ti­tätsbezeichnung all jener Leute, deren sexuelle Lebensweisen nicht mit der heterosexuellen Norm übereinstimmen. Als theoretische Denkbewegung ar­­­gumentiert queer jedoch grundsätzlich identitätskritisch und zielt, ausgehend von Sexualität als gesellschaftliche Analyse Kategorie und als Ras­ter der Privilegienvergabe, auf die Demontage heteronormativer und identitätslogisch operierender Zwangsregime.

„queer denken“
– aus meinem Titel, zitiert das gleichnamige Buch von Andreas Kraß. Dort heißt es im Untertitel weiter „Gegen die Ordnung der Sexualität“. Weiter ge­dacht heißt das gegen Ordnungsprinzipien, Normalisierungen und Normie­rungen denken, die über das Feld der Sexualität, Regeln, Gesetze, Ökonomien und ihre hierarchisierenden Effekte Gesellschaft konstituieren/bilden. Es geht darum, das Verständnis für vergeschlechtlichte und sexuelle Verhältnisse – als Gesellschaft konstituierende Kräfte – zu bearbeiten. Queer begründet sich in der Analyse von Effekten identitärer und auf Binaritäten beruhender (Fest)Setzungen. Queer denken heißt demnach auch immer iden­titätskritisch zu denken.

bilder & queere kunstpolitiken
In den Vorträgen wurde eine Reihe von unterschiedlichen Beispielen aus Kunst und Kultur analysiert und zur Diskussion gestellt. Gefragt wurde, so Barbara Paul, wie beispielsweise „queere Bildpolitiken Normalitäts- und Nor­mativitätsdiskurse nachhaltig anfechten, verschieben und umarbeiten können oder vielleicht auch nicht.“ Dazu bieten sich die Vorträge von Claudia Reiche, Antke Engel und Renate Lorenz an. Ein Beispiel an Renate Lorenz Vortrag: „Art History is straigt. Vito Acconci is straight. Weglassen, Nicht-Ver­stehen und Evidenz-Verzicht als Mittel queerer Politiken.“ Dabei hielt sie ihren Blick auf die Repräsentation von Körper ohne Körper, da sie sich un­ter anderem gegen eine Normierung des Begriffes queer als identitätsstiftenden (Lifestyle-)Effekt wendet. Sie fragt „welche Möglichkeiten visueller Dar­stellung, bzw. welche Möglichkeiten der Lektüre visueller Darstellungen es gibt, Subjektivität und Lesbarkeit, Subjektivität und Zugehörigkeit zu re­präsentieren und zu produzieren, ohne auf die explizite Darstellung individu­eller Körper zurückzugreifen, die dafür einstehen sollen.“ Engel be­schreibt dabei die künstlerische Arbeit von Felix Gonzales Torres „Untitled(Ross)“ von 1991. 165 Pfund bunte Bonbons – das durchschnittliche Idealgewicht eines erwachsenen US-Amerikaners. Im Laufe des Ausstellungstages verschwinden diese, werden aber immer wieder nachgefüllt. Die Arbeit verweist im Titel (Ross) auf den, im selben Jahr an AIDS verstorbenen Lebens­partner von Torres. Doch das erfährt als BetrachterIn erst, wer beim Mu­se­umspersonal nachfragt. Die Arbeit erzeugt so im Museum eine Art (wissen­de) Gegenöffentlichkeit, in der die Regeln dessen, was lesbar, verständlich ist, verschoben sind. Lorenz verknüpft diese Gedanken mit dem foucaultschen Erfahrungs-Begriff. Verkürzt: Über Erfahrung werden gesellschaftliche Regeln angeeignet und so Subjekt(e) produziert. An dem Begriff ist be­son­ders spannend, dass Erfahrung vornehmlich dann gemacht wird, wenn es zum Bruch kommt, wie jemand sich (selbst) in der Welt empfindet. Ab­ge­sehen davon, dass mich diese Arbeiten sehr faszinieren, fand ich die Vor­stel­lung, die Renate Lorenz formulierte, eine spannende Herangehensweise an Körperdiskurse, ohne diese bemühen zu müssen – weil immer schwierig.

(real)politik(en) queeren
Befragt wurden Zusammenhänge mit realpolitischen Vorstellungen und Ord­nungen. Den politischen Kontext bildete also in diesem Fall der unantastba­re und unkorrigierbare Begriff Demokratie, und betrifft grundsätzlich auch die eigene Involviertheit in diese Kontexte, so Barbara Paul.
Demokratie ist einmal eine spezifische Regierungsform inklusive Macht­struk­turen und -effekte in politischer, ökonomischer und kultureller Hin­sicht. Aber das Konzept Demokratie bezeichnet auch Formen von Sozial­leben, von Gruppen und/oder Individuen sowie auch die Rolle jedes einzelnen im politischen Leben. Wie lassen sich heutige politische Praxen durch mehr queer bzw. einen mehrwert queer anfechten, wurde meiner Ansicht nach explizit in den Vorträgen von Josch Hoenes, Sushila Mesquita und Susanne Lummerding thematisiert. Hoenes und Mesquita verkreuzten in ihren Vorträgen Bildpolitiken mit dem deutschen und schweizerischen Rechts­diskurs über Transgender-/Transsexpersonen und Partnerschaft. Su­sanne Lummerding hingegen befragt in ihrem Vortrag: „Mehr genießen: Von nichts kommt etwas. Das Reale, das Politische und die Produk­tions­be­din­gungen – Zur Produktivität einer Unmöglichkeit“. Mit „von Nichts kommt nicht Nichts sondern etwas“ widerspricht sie der Moral der „rechtschaffenen produktiven Arbeit“ und regt zu einem radikal-kritischen Neudenken der Zusammenhänge von Politik, Ökonomie und Ethik. Die Ansprüche und Konsequenzen der mit ›queer‹ bezeichenbaren Praxen, so Lummerding sind keineswegs auf Fragen der sexuellen Identität, Sex­ualität oder einer Kritik von Hetero­norma­ti­vi­tät im Sinn von Sex und Gender reduzierbar, sondern sind jegliche Konstruktion von Bedeutung und damit Realität betreffend. Weiter ist Realität demnach ein nur temporäres Resultat von hegemonialen Ausverhandlungsprozessen.

grenzen (ver)queere
Zum Abschluss Grenzen aufbrechen heißt, als Iden­tität nicht darin gefangen zu bleiben, innerhalb von „sicheren“ Grenzen „anders“ zu sein. Denn nicht: Zuu aahnders – keine Schwarz-Af­ri­kanerIn, InderIn oder MexikanerIn, – und ohne Aufent­halts­genehmigung in Österreich, gerade in eine Schen­genkontrolle geratend zum Beispiel. So kön­nen mit der Argumentation von Lummerding ge­nau die­se Grenzen auch verqueert werden. Und es bleibt die Aufforderung, mehr zu denken und zu prak­tizieren in diese Richtung. Nachzuhören sind die Vorträge im Cultural Broadcast Archiv (CBA).

Literaturhinweise:
Andreas Kraß (Hrsg.), „Queer denken – Gegen die Ordnung der Sexualität (Gender Studies)“, Suhrkamp, Frankfrut am Main, 2003
Renate Kroll (Hrsg.) Lexikon: Gender Studies, Geschlechterforschung – Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, 2002.

Links und Personen:
Cultural Broadcast Archive: cba.fro.at
Antke Engel: www.antkeengel.de
Renate Lorenz: home.snafu.de/renate/Seiten/renatelorenz.html
Felix Gonzalez-Torres: www.queerculturalcenter.org/Pages/FelixGT/FelixIndex.html
Sushila Mesquita: Frauen in der Musik 2.0 – Zusammenfassung einer Diskussion im mica, www.mica.at/detail.asp?Id=9601&ChannelId=1823&TemplateId=1902&SetupId=72
Claudia Reiche: „Old Boys Network“: www.obn.org, „The Mars Patent“: www.mars-patent.org
Stefanie Seibold: www.clevergretel.com

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02/08
FotoautorInnen: 
Stefanie Seibold

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