Die langfristige Kunst des Zufalls

Experimentelles Konzert mit Boeff und ihren Gästen, dem Pianisten Daniel Opelt und dem Autor Tancred Hadwiger. Gitarren, Schlagzeug, Klavier und Literatur – Musik als Ursache, Poesie wie deren Wirkung. Ein Gespräch und Stimmungsbild unmittelbar vor dem Konzert in der Alten Welt am 12. Jänner 2008.

Daniel, du bist das neue Bandmitglied. Wird das ein längerfristiges Zu­sam­menspiel mit der Band?
Daniel Opelt: Mal schauen. Tancred war es, der heute von der Band zum Mit­spielen eingeladen wur­de und er hat mich einfach mitgenommen. Bis jetzt hat sich noch niemand von der Band be­schwert, dass ich da bin.
Boeff machen trotz oder mit uns heute ihr normales Programm. Falls Boeff denn so etwas wie ein normales Programm haben.

Das normale Programm von Boeff läuft unter an­de­rem auch unter „experimentell“. So steht es auf der Homepage. Ich stell mir unter experimentell ger­ne alles und nichts vor.
Raimund Vogtenhuber: Eigentlich haben wir zwei Programme. Das, was man letztendlich Rock nennt – und heute, mit der Lesung wird’s sicher ex­perimentell. Musik ist ja im Grunde ein ge­schlos­senes System. Notenlesen, Satzlehre, usw. Experimentell meint das riesige Feld, das außerhalb dieses Systems liegt. Ein Graubereich. Und den erforschen wir heute unter anderem mit Li­te­ratur.
DO: Das Hauptproblem des Experimentellen ist wahrscheinlich, dass das „Gegen-den-Strich-Fri­sie­ren“ der Dinge oft zum Konzept erklärt wird. Das ist manchmal ganz lustig, muss aber nicht das gro­ße Thema sein. Das Frisieren gegen den Strich ist sicher nicht der Inbegriff des Experimentellen.
RV: Experimentell heißt, Dinge auszuprobieren. Wo­bei es heutzutage natürlich kaum noch Sa­chen gibt, die nicht schon ausprobiert worden sind. Aber das soll auch nicht der Anspruch sein zu überlegen: Was gibt’s schon alles? Denn dann bleibt einem ohnehin nicht mehr viel anderes üb­rig als abzukupfern. Wir haben keine strikten Re­geln, versuchen, Dinge zu entwickeln oder Dinge einfach anders zu definieren. Das fängt eben schon damit an, dass wir „experimentell“ nicht als ge­schlos­senen Begriff sehen.
DO: Aber es stimmt schon: Experimentell ist als Begriff oft eine Verle­gen­heit. Ob improvisiert oder komponiert – jede Gruppe stellt sich doch letztlich ihre eigenen Regeln auf.
RV: Genau so machen wir es, wir stellen eine The­orie auf, und die wird dann untersucht, also ex­pe­rimentiert.

Als Künstler wird man ja nicht gern schubladisiert, gell?
DO: Naja, was da abläuft, ist schon ein bisschen lächerlich. Jeder Musiker schreibt mittlerweile in seinen Pressetext, er könne unmöglich schubladi­siert werden. Aber letztlich hat doch jeder seine Tendenzen.

Was spricht dagegen, sich einfach als Rocker zu de­finieren?
DO: Tun wir ja, aber mit Apostroph, also mit ironischem Unterton.
Edi Friedl: Wir spielen mit dem, was es gibt. Und dann schauen wir, was raus­kommt. (blickt auf den toten Hasen)
Oliver Siegl: Lauter Viecher. Viele Viecher auf der Bühne!

Und was wird Tancred heute für eine Rolle spielen?
EF: Tancred wird uns stören und wir ihn.

Das Interdisziplinäre ist doch letztlich eine Idee der Popkultur aus den 60ern. Künstler fingen an, sich aus allen Kunstrichtungen das zu nehmen, was ihnen für ihre Sache brauchbar schien. In den 80ern und 90ern diagnostizierte die Kunstrezep­tion einen Qualitätsverlust allerorten. Und seitdem geht die Entwicklung dahin, dass sich die Kunst­richtungen ihrer eigenen Referenzen besinnen.
DO: Die Gefahr besteht schon, wenn man die Gren­ze zwischen Malerei, Mu­sik und Literatur nicht exakt zieht. Es geht das Bewusstsein für’s einzelne Medium verloren.

Das klingt ja wie ein Plädoyer zur Konzentration aufs Wesentliche?
RV: Na, ich weiß nicht – ob es bei uns eine Kon­zentration aufs Wesentliche gibt?
Tancred Hadwiger: Also ich bin über die Musik zur Sprache gekommen. Und ich versuch mich auch in anderem. Nur – daheim bin ich in der Spra­che. Ich hab das Gefühl, in keiner anderen Ausdrucksform komm ich zu je­ner Qualität, die ich mit Sprache erreiche.

Und ich steh ja jetzt wieder mal in der Verle­gen­heit, mit Sprache etwas über Musik schreiben zu müssen. Kennt ihr einen Text über Musik, der dem, was da zu hören ist, zumindest im weitesten Sinne entspricht?
Goetz Auzinger: Wahrscheinlich eine Unmög­lich­keit. Frank Zappa hat mal gesagt: „Über Mu­sik reden ist wie zu Architektur tanzen.“
RV: Es gibt zwar keine autarke Musik, aber ein Problem der Kritik ist si­cher das ständige Heran­ziehen von Vergleichen. Analysen können schon in­teressant sein, aber als Künstler helfen sie dir nur selten weiter.
DO: Stimmt. Da gibt’s erstaunlichere Dinge. Etwa, dass Leute wie Olivier Mes­siaen oder Zappa Mu­sik geschrieben haben, die praktisch unspielbar ist.
RV: Oder die Idee einerseits und die Umsetzung der Idee andererseits. Das Streben nach Perfek­tion oder das Spiel mit dem Zufall. Und so weiter. Wo­bei ich nicht behaupten würde, dass der Zufall allein schon Kunst produzieren kann.
DO: Einer, der kein Instrument spielen kann, sich hinsetzt, irgendwas klimpert, und das als Kunst de­klariert ...
EF: Ja und? Kann ja auch Kunst sein ...
RV: Naja, vielleicht – und das war’s dann. Das ist kurzfristige Kunst.
TH: Trotzdem passiert es letztendlich einfach. Wie das automatische Schreiben. Die Sätze mö­gen nicht besonders sein, nicht schlecht oder dann wie­der sehr gut. Letztendlich passiert es, so wie eure Sa­chen – auf die ich meinen Reim finde. Und heute sag ich nicht 2009. Ich hab’s schon umgeschrieben. Es heißt 2010.
GA: Das heutige Konzert wird eine Vorschau auf unsere postkulturelle Phase!

Boeff gibt’s seit 1994. Ihr habt also mittlerweile so etwas wie Geschichte.
GA: Boeff ist die Geschichte der Grauzone.

Ist so etwas wie eine Entwicklung nachvollziehbar?
RV: Nein, nicht unbedingt. Aber wir waren ständig in Bewegung.

Ihr spielt, als stündet ihr nach Blues, Beat, Punk und Rap über den Dingen. Oder als wäre euch al­les wurst.
RV: ... was uns freilich immer ein bisschen peinlich ist.
DO: Ich glaub, man sollte schon nach Qualität streben, aber nicht unbedingt nach Perfektion.
RV: Perfektion ist nicht wichtig. Aber was man doch immer wieder anstreben sollte, ist ein gutes Konzert. Ein gelungenes Konzert ist ein State­ment in einem Kontext. Das kann politisch sein oder aber nicht. Auf der Bühne ist viel möglich, bis hin zur Verweigerung jeglicher Aussage.
GA: Das Moment der Überraschung ist wichtig.

Goetz, du bist Mathematiker. Gibt’s in der Mathe­matik auch Überraschungen?
GA: Wemiher. Aber im Prinzip ist Musik mit ih­ren Kadenzen, Tonleitern, Akkorden usw. ein ma­the­matisches System.

Denkt man als Musiker ähnlich wie ein Mathe­ma­tiker?
GA: Zumindest tut man sich als Mathematiker leicht, dieses Baukastensystem der trockenen Mu­siktheorie zu verstehen. Aber das ist ja nur ein Aspekt der Musik, denn dieses System ist offen. Die perfekte Melodie gibt es nicht. Das System muss interpretiert werden. In diesem Sinne ist Mu­sik eine Mischung aus Mathematik und Phan­ta­sie.

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02/08
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

Außer Musik auch Mittelwellengeräusche, Föhn, Rasierapparat, Gummihenne, Elektropapagei, ein toter Hase, Spielzeugspinnengetier – Viecher über Viecher gestalteten das Konzert im Keller der Alten Welt.

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