Aus der Ferne „... und Nachdenken ist da natürlich völlig falsch ...“

Armin Assinger, 13.01.2008, 12.56, ORF 1
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Armin Assinger sprach ein wahres Wort oder gleich einen ganzen Satz gelassen aus. Zwar bezog er es auf einen Skifahrer, der in Wengen die Abfahrt hinunter raste und in bestimmten Kurven darüber nachdachte, ob und was er richtig oder falsch machte. So zumindest deutete der Ko-Moderator Assinger den Fahrstil des Skifahrers, ich aber nehme ihn beim Wort und lege es um auf den Zustand einer Gesellschaft, die mir ja doch irgendwie ans Herz gewachsen ist. Auch mir wird ja gelegentlich der Vor­wurf gemacht, zu viel nachzudenken (und damit einen ach so lustigen Abend zu zerstören), was mich bislang immer recht betrübt machte – noch betrübter als das Ausmaß an Depression, in das mich Freun­de, die mir diesen Vorwurf machten, durch das Übermaß an Nachdenken schlittern sahen. Na­tür­lich, so offenbar die Meinung Vieler, geht Nachdenken nur, wenn man Schnaps oder Antidepressiva zur Hand hat. Und ich habe mir früh genug beides an- und wieder abgewöhnt, sodass ich gewappnet sein sollte gegenüber Stimmungen jeder Art.

Offenbar ist Nachdenken also eher Out und da darf man doch ruhig die Frage stellen: Warum? Auch ich merke beim Scheiben dieser Kolumne ja hin und wieder, dass Schreiben oftmals und erwünschterweise das Ergebnis von Nachdenken ist, irgendwie also auch ein Stück Arbeit, womöglich aber auch nur Zeitvertreib. Nachdenken also braucht zumindest Zeit und ein gewisses Basiswissen, schließlich soll­te man doch ÜBER ETWAS nachdenken können – ansonsten wäre es wie Legospielen ohne Lego­steine. Und alles in allem gesehen scheint Nachdenken ein Prozess zu sein, den man (wenn es ungeplanter Weise doch einmal passieren sollte) schon gar nicht der Öffentlichkeit mitteilen sollte, oder, Armin Assinger zufolge, etwas, das man sich keinesfalls anmerken lassen sollte und das einen schon gar nicht in seinem Handeln behindern darf.

Wenn also ein Skirennläufer den Berg hinunterrast und dabei nachdenkt, verliert er kostbare hundertstel Sekunden, hat also versagt im Sinne des Ziels, welches der Skirennläufer vor Augen hat. (Im Übrigen muss ich Armin Assinger natürlich insofern Recht geben, als ich selbst nur dann der Tätigkeit des Fernsehens nachgehe, wenn ich mal absolut NICHT nachdenken möchte.)

Was für Skirennläufer, wenn man so will, irgendwie ja noch in Ordnung geht, hält aber zurzeit auch in anderen Berufen Einzug: „Ich bin so glücklich darüber, bei dieser Arbeit muss ich gar nicht nachdenken“, sagte kürzlich jemand – weiblich, 25 Jahre, gerade mal ihr Studium abgeschlossen, nachdem sie eine Schreib-Tätigkeit in einem Institut annahm, in dem sonst nur gleichwertig ausgebildete männliche Vorgesetzte sitzen. Gut, dachte ich mir, noch jemand, den man einmal kannte und wollte nicht länger darüber nachdenken. Etwas, das aber so einfach nicht ist, sonst hätte dieser Satz ja wohl kaum Einzug in diese Kolumne gefunden. Ab hier nämlich bekam die ganze Nicht-Nachdenken-Misere einen anti-eman­zipatorischen Beigeschmack – obwohl dieses Thema mir (das wissen Menschen, die sich tatsäch­lich Tag für Tag darum bemühen, Frauen Männern gleichzusetzen) keines ist, das gleich links neben meiner rechten Herzkammer sitzt. Allerdings komme ich ob solch einer Aussage nicht umhin festzustel­len, dass sie dahin ziehen, die akademisch gebildeten Mädchen, und zwar nicht in die weite Welt, sondern hinter Vorzimmerschreibtische, und mit ihnen ein paar Träume.
 
Irgendwann wurde offenbar das Ende einer Utopie verkündet und ich habe es einfach nicht mitgekriegt. Plötzlich steht man da, im falschen Film und kommt sich erschreckend alt vor. Denn offenbar wurde al­les, was weh tut, woran man sich den Kopf stoßen könnte, was einem peinlich sein könnte, was man in Frage stellen könnte, durch rosarote Wattebällchen ersetzt. Überidentifikation nennt man das wohl. Überidentifikation mit einem Mädchenschema, um möglicherweise zu einem klaren, erstarkten Frauen­bild zurückzukehren, soviel will ich ja noch zugestehen. Ist das ein Umweg, den man einschlagen muss oder bloß Attitüde, die eine davon abhält, sich zu langweilen oder eine Nacht allein verbringen zu müssen? Rehaugen, die wie aus Comix abgeschaut den männlichen Beschützer stumm um Hilfe rufen sind wieder en vogue, und haben halt doch eben nicht mehr an Inhalt und Bedeutung zu bieten als bei Walt Disney. Bambi war übrigens männlich und bei der Gelegenheit stelle ich die Frage, warum sich Männer kaum Gedanken darüber machen, wohin die nachgeborene Generation steuert.

Denken Männer grundsätzlich weniger nach? Machen sie sich weniger Sorgen und sind deshalb attraktiver, cooler und besser geeignet für jede Art besser bezahlter Jobs? Eine rein rhetorische Frage, allerdings scheint es manchmal, als wolle hier eine weibliche Generation, deren Gleichberechtigung sozusagen in bester interpassiver (© Robert Pfaller) Manier von Müttern oder älteren Schwestern und Freund­innen erbracht wurde, ihren gleichwertig ausgebildeten, männlichen Mitstreitern den Weg ebnen. Ganz im Sinne von: „Hach, ich will doch nicht uncool sein und meine Kompetenzen hervorkehren ...“ Wer das Binnen-I verwendet, hat noch lange keinen Beitrag zu emanzipatorischen Denkleistungen erbracht, mehr als Feigenblatterfüllungsgehilfin ist da als Titel nicht drin. Das erkennt man spätestens an den amtli­chen Briefen, in denen brav das Binnen I verwendet wird und jedes Amt seinen Obolus flugs damit er­füllt hat. Zu nehmen, was einem geboten wird, und damit zufrieden zu sein, ist einfach das Gegenteil von selbstständigem Handeln, Leben und Denken. Ebenso wie das sich Fügen in eine Gruppe von Ge­schlechtsgenossinnen, die stets opferbereit auf eben jenen Status verweist und meint, alleine daraus Rechte ableiten zu können. (Die Zugehörigkeit zur Gruppe „weiblicher Mensch“ sagt absolut noch gar nichts aus über mich als Mensch). Da muss es doch noch mehr geben an Ideen, Vorschlägen, Theorien und Thesen. Ich bitte ganz dringend darum. Aber möglicherweise bin ich ja nur eine, die zuviel nachdenkt und davon Falten und graue Haare kriegt und Partys crasht. (Wartet nur, bis das wieder In und cool wird ...)

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