Sommerliche Rush Hours

AutorIn: 
Am Mittwoch, den 24. Juni eröffnet am Bindermichl/Spallerhof „Bellevue – Das gelbe Haus“. Direkt über der Tunneleinhausung errichtet, wird das Bellevue über den Sommer zum Schauplatz: Zum Ort der Zustimmung und der Kritik, der dem Spektakulären ebenso Raum gibt wie dem Alltäg­lichen. Ein Interview mit Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper.

Am unkonventionellen Ort der Tunneleinhausung der A7 am Bindermichl/Spallerhof wird an der Kan­te ein Haus errichtet, das selbst, sagen wir, relativ konventionell erscheint. Im Einleitungstext formulieren sie den Slogan „Weiter wie gewohnt? Zeit­ge­nös­sische Alltagsphänomene öffentlich diskutiert.“ Welche Bedeutung haben hier die Faktoren „Ge­wohn­­heit“ und „Wohnen“ in einem spektakulären oder all­­täglichen Sinn, welche Phänomene wollen sie an die­sem Ort zwischen Autobahn und Park an­spre­chen?
Der Bindermichl/Spallerhof ist mit seiner Ent­ste­hungsgeschichte aus den 1940er Jahren ein markanter Stadtteil an der Linzer Peripherie. Ur­sprüng­lich als Siedlungsgebiet für die Arbeiter der Her­mann-Göring-Werke mit den entsprechenden Wohn­bauten erdacht, wurde die Umgebung der heutigen Mühlkreisautobahn (A7) zunehmend zur Ver­kehrs­hölle. Es folgt ein umstrittener verkehrspla­ne­ri­scher Gewaltakt: Die Überbauung mit der Er­rich­tung eines monumentalen Kreisverkehrs. Die Stadt­teile Spallerhof und Bindermichl wachsen durch die neu angelegte Parkanlage wieder zu­sam­men. Einerseits gewöhnten sich die Bewoh­ner­In­nen an Geschichte und Lärm, andererseits leben sie jetzt in einer beruhigten wesentlich aufgewer­teten Um­gebung. In diese neugeschaffene Idylle installieren wir unser temporäres Projekt BELLEVUE, das mit seiner stilisierten, vertrauten Form Bilder und Assoziationen weckt, die bewußt das Thema Haus als solches strapazieren. Das klassische Sattel­dach mit Gauben findet sich in der Nach­barschaft von Bellevue häufig wieder, angefangen beim kleinen Siedlungshaus bis hin zu den mehrgeschossigen Wohnblöcken. Unabhängig da­von geht es auch um die Metapher „Ein Dach über dem Kopf“ zu ha­ben, also um das Haus als schützende Hülle, als Mantel für alle Funktionen, die es in sich birgt.

Im gelben Haus wird über den Sommer vielseitiges Programm geboten. Können Sie die Program­mie­rung kurz umreißen, bzw. in welcher Weise soll öf­fent­li­cher Diskurs entstehen? Wer soll Teil­neh­merIn des Diskurses sein?
Wir wollen den Versuch unternehmen mit unterschiedlichen kulturellen Interessen an ein und dem­­selben Ort gemeinsam zu arbeiten. Einerseits la­den wir AnrainerInnen ein, bei Bellevue zu Gast zu sein und mitzuwirken. Andererseits arbeiten Künst­lerInnen und WissenschafterInnen vor Ort und be­ziehen sich mit ihren neu entstehenden Kon­zep­ten und Werken auf die Befindlichkeiten am Bin­dermichl/Spallerhof. Wir hoffen auf die Neu­gier­de der Anrainer und auf Gäste, die die Anreise auf den Bindermichl/Spallerhof auf sich nehmen. Viel­leicht ein Brückenschlag zwischen Hoch-, Pop- und Volks­kultur? So wird zum Bei­spiel das „De­part­ment für öffentliche Erschei­nun­gen“ aus Mün­chen eingeladen, um Phänomene des urbanen Lebens und For­men der Kom­muni­ka­tion vor Ort zu hin­ter­fragen. Dies soll durch die Sichtbarmachung der persönli­chen Meinung mittels eigens dafür angefertigter Fahnen passieren, mit denen die Bewoh­nerInnen öffentlich ihre Meinung darstellen können. Gene­rell möchten wir kleine Keile zwischen die lokalen Gewohnheiten treiben und Fragen stel­len, die hoffentlich Ge­schich­ten als Antwort zur Folge haben.

Es liegt nahe, im Gesamtzusammenhang des Pro­jek­­­tes Architektur und Örtlichkeit auch als soziales Gebilde zu verstehen. Sie haben in einem vergan­ge­nen Projekt „add on, 20 Höhenmeter“ am Wie­ner Wal­lensteinplatz einen „urbanen Cyborg“ kre­iert, der die öffentliche Sphäre in einer sehr ungewöhn­li­chen Wei­se hergestellt und auch ausgestellt hat. Beide Pro­jekte, „add on“ und „Bellevue“ sehen sehr un­ter­­schiedlich aus – gibt es dennoch Ge­mein­sam­kei­ten?
Beiden Projekten liegt der Ansatz zugrunde durch eine temporäre Intervention die Sichtweise auf ei­nen bestehenden Ort zu verändern bzw. einge­brann­­te Wahrnehmungsweisen zu irritieren. Die Arbeits­weise vor Ort basiert dabei auf der soziokulturellen Interaktion von AnrainerInnen, Gast­künst­ler­In­nen und BesucherInnen. Während „add on“ auf einem urbanen Platz, mitten in Wien statt­fand, agiert „das Haus zur schönen Aussicht“ am Linzer Stadtrand, an der Kante zwischen Auto­bahn und Landschaftspark. Einhergehend mit den dif­fe­rie­­ren­den Kontexten erklärt sich auch die un­ter­schied­liche äussere Erscheinungsform der bei­den Projekte.

Direkt neben der Tunneleinfahrt entsteht ja zurzeit auch ein weiteres Gebäude, soweit ich weiß, ein Sportcenter. Zumindest von der Perspektive der Au­tobahnfahrer, die in den Tunnel einfahren: Nimmt diese bauliche Aktivität dem Projekt Bel­le­vue et­was von seiner spektakulären Einzig­ar­tigkeit?
Der Ausbau des Sportpark Lissfeld mit der riesigen Trendsporthalle ist nicht zu übersehen, we­der vom Landschaftspark noch von der Straße aus. Nach­dem wir bereits vor zwei Jahren mit den ers­ten Projektideen zu BELLEVUE begonnen haben, konnten wir das Wachsen der Bau­stelle vom ers­ten Spatenstich an verfolgen. Als neugierige Nach­barn bieten wir als einen Pro­grammpunkt bei Bel­levue auch eine Führung durch die Baustelle des Sportparkes an. Was die Sichtbarkeit von BELLEVUE betrifft, sind wir über­­zeugt, dass sich das mar­kante Erschei­nungs­bild am Südportal des Tun­nels in die Erinnerungen der AutofahrerInnen und An­rainerInnen einprä­gen wird. Wobei sich das ei­gent­liche Spektaku­läre von BELLEVUE nicht alleine über die Zei­chen­haftigkeit, sondern vor allem über die In­ter­aktion vor Ort definieren wird … aber da­rüber muss sich letztlich jeder selbst ein Bild ma­chen, vom 25. Juni bis 13. September 2009, täglich von 11.00–23.00 h.

www.bellevue-linz.at, www.add-on.at, www.linz09.at

Das gelbe Haus am Bindermichl ist die Fortsetzung einer Serie von Interventionen von Peter Fattinger, Veronika Orso und Mi­chael Rieper im öffentlichen Raum. Die drei ArchitektInnen re­a­gieren seit knapp sechs Jahren mit temporären Eingriffen auf städtische Situationen. In Kooperation etwa mit Studierenden der Technischen Universität Wien entstand auf diese Weise eine begehbare Fassade vor einem städtischen Palais, die innerhalb von drei Wochen von 6000 Personen benutzt wurde. Im Gegen­satz dazu war „add on. 20 Höhenmeter“ eine im Zentrum eines Platzes stehende Installation mit widersprüchlichen Nutzun­gen, wodurch Befindlichkeiten und Lebensräume öffentlich verhandelt wurden. In Linz wird das Bellevue als Linz09 Kooperation realisiert. Es zitiert als soziales Gebilde den 10. Artikel der „Ams­terdam Declaration“, von Constant Nieuwenhuis und Guy Debord, 1958: „Unser Hauptgedanke ist der einer Konstruktion von Situationen – d.h. der konkreten Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft.“

21
Zurück zur Ausgabe: 
06/09
FotoautorInnen: 
Peter Fattinger

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014