Sommerliche Rush Hours
Am unkonventionellen Ort der Tunneleinhausung der A7 am Bindermichl/Spallerhof wird an der Kante ein Haus errichtet, das selbst, sagen wir, relativ konventionell erscheint. Im Einleitungstext formulieren sie den Slogan „Weiter wie gewohnt? Zeitgenössische Alltagsphänomene öffentlich diskutiert.“ Welche Bedeutung haben hier die Faktoren „Gewohnheit“ und „Wohnen“ in einem spektakulären oder alltäglichen Sinn, welche Phänomene wollen sie an diesem Ort zwischen Autobahn und Park ansprechen?
Der Bindermichl/Spallerhof ist mit seiner Entstehungsgeschichte aus den 1940er Jahren ein markanter Stadtteil an der Linzer Peripherie. Ursprünglich als Siedlungsgebiet für die Arbeiter der Hermann-Göring-Werke mit den entsprechenden Wohnbauten erdacht, wurde die Umgebung der heutigen Mühlkreisautobahn (A7) zunehmend zur Verkehrshölle. Es folgt ein umstrittener verkehrsplanerischer Gewaltakt: Die Überbauung mit der Errichtung eines monumentalen Kreisverkehrs. Die Stadtteile Spallerhof und Bindermichl wachsen durch die neu angelegte Parkanlage wieder zusammen. Einerseits gewöhnten sich die BewohnerInnen an Geschichte und Lärm, andererseits leben sie jetzt in einer beruhigten wesentlich aufgewerteten Umgebung. In diese neugeschaffene Idylle installieren wir unser temporäres Projekt BELLEVUE, das mit seiner stilisierten, vertrauten Form Bilder und Assoziationen weckt, die bewußt das Thema Haus als solches strapazieren. Das klassische Satteldach mit Gauben findet sich in der Nachbarschaft von Bellevue häufig wieder, angefangen beim kleinen Siedlungshaus bis hin zu den mehrgeschossigen Wohnblöcken. Unabhängig davon geht es auch um die Metapher „Ein Dach über dem Kopf“ zu haben, also um das Haus als schützende Hülle, als Mantel für alle Funktionen, die es in sich birgt.
Im gelben Haus wird über den Sommer vielseitiges Programm geboten. Können Sie die Programmierung kurz umreißen, bzw. in welcher Weise soll öffentlicher Diskurs entstehen? Wer soll TeilnehmerIn des Diskurses sein?
Wir wollen den Versuch unternehmen mit unterschiedlichen kulturellen Interessen an ein und demselben Ort gemeinsam zu arbeiten. Einerseits laden wir AnrainerInnen ein, bei Bellevue zu Gast zu sein und mitzuwirken. Andererseits arbeiten KünstlerInnen und WissenschafterInnen vor Ort und beziehen sich mit ihren neu entstehenden Konzepten und Werken auf die Befindlichkeiten am Bindermichl/Spallerhof. Wir hoffen auf die Neugierde der Anrainer und auf Gäste, die die Anreise auf den Bindermichl/Spallerhof auf sich nehmen. Vielleicht ein Brückenschlag zwischen Hoch-, Pop- und Volkskultur? So wird zum Beispiel das „Department für öffentliche Erscheinungen“ aus München eingeladen, um Phänomene des urbanen Lebens und Formen der Kommunikation vor Ort zu hinterfragen. Dies soll durch die Sichtbarmachung der persönlichen Meinung mittels eigens dafür angefertigter Fahnen passieren, mit denen die BewohnerInnen öffentlich ihre Meinung darstellen können. Generell möchten wir kleine Keile zwischen die lokalen Gewohnheiten treiben und Fragen stellen, die hoffentlich Geschichten als Antwort zur Folge haben.
Es liegt nahe, im Gesamtzusammenhang des Projektes Architektur und Örtlichkeit auch als soziales Gebilde zu verstehen. Sie haben in einem vergangenen Projekt „add on, 20 Höhenmeter“ am Wiener Wallensteinplatz einen „urbanen Cyborg“ kreiert, der die öffentliche Sphäre in einer sehr ungewöhnlichen Weise hergestellt und auch ausgestellt hat. Beide Projekte, „add on“ und „Bellevue“ sehen sehr unterschiedlich aus – gibt es dennoch Gemeinsamkeiten?
Beiden Projekten liegt der Ansatz zugrunde durch eine temporäre Intervention die Sichtweise auf einen bestehenden Ort zu verändern bzw. eingebrannte Wahrnehmungsweisen zu irritieren. Die Arbeitsweise vor Ort basiert dabei auf der soziokulturellen Interaktion von AnrainerInnen, GastkünstlerInnen und BesucherInnen. Während „add on“ auf einem urbanen Platz, mitten in Wien stattfand, agiert „das Haus zur schönen Aussicht“ am Linzer Stadtrand, an der Kante zwischen Autobahn und Landschaftspark. Einhergehend mit den differierenden Kontexten erklärt sich auch die unterschiedliche äussere Erscheinungsform der beiden Projekte.
Direkt neben der Tunneleinfahrt entsteht ja zurzeit auch ein weiteres Gebäude, soweit ich weiß, ein Sportcenter. Zumindest von der Perspektive der Autobahnfahrer, die in den Tunnel einfahren: Nimmt diese bauliche Aktivität dem Projekt Bellevue etwas von seiner spektakulären Einzigartigkeit?
Der Ausbau des Sportpark Lissfeld mit der riesigen Trendsporthalle ist nicht zu übersehen, weder vom Landschaftspark noch von der Straße aus. Nachdem wir bereits vor zwei Jahren mit den ersten Projektideen zu BELLEVUE begonnen haben, konnten wir das Wachsen der Baustelle vom ersten Spatenstich an verfolgen. Als neugierige Nachbarn bieten wir als einen Programmpunkt bei Bellevue auch eine Führung durch die Baustelle des Sportparkes an. Was die Sichtbarkeit von BELLEVUE betrifft, sind wir überzeugt, dass sich das markante Erscheinungsbild am Südportal des Tunnels in die Erinnerungen der AutofahrerInnen und AnrainerInnen einprägen wird. Wobei sich das eigentliche Spektakuläre von BELLEVUE nicht alleine über die Zeichenhaftigkeit, sondern vor allem über die Interaktion vor Ort definieren wird … aber darüber muss sich letztlich jeder selbst ein Bild machen, vom 25. Juni bis 13. September 2009, täglich von 11.00–23.00 h.
www.bellevue-linz.at, www.add-on.at, www.linz09.at
Das gelbe Haus am Bindermichl ist die Fortsetzung einer Serie von Interventionen von Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper im öffentlichen Raum. Die drei ArchitektInnen reagieren seit knapp sechs Jahren mit temporären Eingriffen auf städtische Situationen. In Kooperation etwa mit Studierenden der Technischen Universität Wien entstand auf diese Weise eine begehbare Fassade vor einem städtischen Palais, die innerhalb von drei Wochen von 6000 Personen benutzt wurde. Im Gegensatz dazu war „add on. 20 Höhenmeter“ eine im Zentrum eines Platzes stehende Installation mit widersprüchlichen Nutzungen, wodurch Befindlichkeiten und Lebensräume öffentlich verhandelt wurden. In Linz wird das Bellevue als Linz09 Kooperation realisiert. Es zitiert als soziales Gebilde den 10. Artikel der „Amsterdam Declaration“, von Constant Nieuwenhuis und Guy Debord, 1958: „Unser Hauptgedanke ist der einer Konstruktion von Situationen – d.h. der konkreten Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft.“
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