Aus der Ferne – Die Raison

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Da sitze ich also, kurz, bevor der Sommer beginnt, der Früh­ling schon wieder endet und die Stadt sich in dem verbesserungswürdigsten Zustand befindet, den ich an ihr jemals bemerkt habe. Manche Menschen reden viel, andere wie­de­rum schweigen, wobei das Schweigen das ist, was alles noch viel erbärmlicher macht. Ich versuche mich als Schreib­sprechtanzmaschine, teile mich wieder einmal in ganz Viele und beklage schon aus diesem Grund den – wie ich höre zum Glück nur kurz angedrohten - Cern-Ausstieg. Alles tut körperlich weh, weil ich mich zu schnell, zu viel und zu rastlos bewege, und tut seelisch weh, weil ich Trägheit und Schweigen so schwer fasse.

Die Einen bewegen sich aus Raison nicht, weil sie unter Vor­behalt der Krise nicht mehr alleiniger Herr in ihren Häusern sind und die Bankdirektoren jetzt am Tisch sitzen dürfen, wenn über Kunst und Gesellschaft gesprochen wird. Die Ei­nen fehlen dann auf den Straßen, weil sie mit den Bank­di­rektoren essen müssen. Sehr raisonable. Vernünftige Kunst machen wir dann, und vernünftige Kunst müssen wir uns dann ansehen. Die Raison kann in Zeiten der Krise gar nicht hoch genug bewertet werden und man darf ihr stets soweit vertrauen, dass sie selbst recht gut weiß, wann es Zeit ist, für einen Moment unter den reichgedeckten Tisch zu schlüp­fen und nicht hinzusehen. Die Straßen nämlich, die sollten ge­rade jetzt voll sein von ganz Vielen, die sich das auf die Straße gehen nicht verbieten lassen, aus Gründen des dringend notwendigen Bekenntnisses zu Demokratie und freier Meinungsäußerung. Die Anderen wiederum schwei­gen, um Mehrheiten nicht zu verlieren, anstatt ihre Mehrheit zu nutzen. Um deutlich zu machen, dass kein Schielen nach Wäh­ler­innen und Wählern, die es auf der rechten Couchhälfte ohnehin schon viel gemütlicher finden, Schweigen rechtfertigen kann und darf. In diesem Fall machen weder eine be­müh­te Jugendorganisation noch Ge­meinderatsmitglieder einen schweigenden Bürgermeister auch nur ansatzweise er­träglich. Die Raison, die alles er­klärt, zudeckt und letzt­endlich im Keim erstickt.
Würde Schweigen gleichbedeutend mit Zuhören sein, dann wäre alles für einen Moment gut. Es scheint aber nicht so, als würde sich diese Hoffnung erfüllen, im Gegenteil, das Schweigen auf der einen Seite ermuntert geradezu die an­de­re Seite, unfassbare Vorschläge zu machen, die auch oder eigentlich schon gar nicht mit einer bevorstehenden Wahl im Nacken gerechtfertigt werden können. Jenen, die auf die Straße gehen, um genau dieses allen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zustehende Recht erneut einzufordern, mit Streichungen ihrer Budgetmittel zu drohen, ist eine Vorgangsweise, die keine Vergleiche mehr zulässt, sondern für sich selbst in ihrer undemokratischen Haltung spricht.

Wieder Andere meinen, sie würden schon Provokation üben, weil sie die Mechanismen der schenkelklopfenden Sprü­che und Witze kennen und es reiche, wenn sie die Substantiva und die Protagonisten austauschen. Ein tiefer Schmäh aber bleibt ein tiefer Schmäh, haltlose und übergriffige Beleidi­gungen bleiben diese, und beileibe nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich – auch wenn ihn einer macht, der von sich denkt, er würde auch nach fünf Bier noch kluges Zeug re­den. Solange die Systeme nicht in ihrer Ordnung überdacht und nötigenfalls tiefgreifend verändert werden oder zumindest der Wille dazu erkennbar ist, bleiben es die Systeme der Mehrheitsgesellschaft, und solange es zutiefst eigennützige Begehrlichkeiten und Machtansprüche sind, die als Antriebsfeder der vorgeblich intellektuellen Provokation dienen, bleibt eben diese Provokation eine leicht durchschaubare und nur scheinbare, die bloß der eigenen Karriere­pla­nung dienen soll. Sie ändert nichts und führt sich selbst ad absurdum.
Meine eigene Karriereplanung hat sich übrigens auf die Spit­ze getrieben, ist umgekehrt und hat mir ein paar unfassbar schöne Alternativen ins Ohr geflüstert. Die werde ich in den kommenden Wochen mal ausloten – fernab von Stra­te­gie, Politik, Raison und Bankenwesen.

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