Sprache, gut verdaut

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Die zweite Ausgabe der Idiome sind erschienen – ein Leseheft, das „Neue Prosa“ veröffentlicht. Den zahlreichen im Heft vorgestellten zeitgenössischen AutorInnen wurden Beiträge von und über Dieter Roth vorangestellt. Ein Mail-Interview mit dem Herausgeber Florian Neuner.

Die Idiome sind als „Hefte für Neue Prosa“ nun zum zweiten Mal erschienen, es geht um zeitgenössische Neue Prosa. Welche literarischen Posi­ti­onen, welches Spektrum wird vorgestellt und in­wie­weit sind die Idiome ein gegenbetriebliches Blatt?
Mir geht es um das weite Feld einer Literatur, die man Prosa als Sprachkunst nennen könnte. Denn es wird inzwischen kaum noch wahrgenommen, daß es diese Literatur jenseits marktkonformer Er­zählware à la Kehlmeier und Köhlmann oder wie die heißen, jenseits aber auch von Lyrik als Re­ser­vat des Wahren Guten Schönen überhaupt gibt. In­­sofern steht eine Publikation wie die Idiome quer zum Markt. Wir müssen Markt und Betrieb unterscheiden, denn für eine ästhetisch an­spruchs­vol­le Literatur existiert überhaupt kein Markt. Ihr wird allenfalls eine Nische im Litera­tur­betrieb zugestan­den. Zu den im Betrieb vorherrschenden Tenden­zen stehen die Idiome ge­wiß quer, wenn sie auch – freilich nur auf be­schei­denste Weise – irgendwie an diesem Betrieb partizipieren. Denn ich be­kom­me ein bißchen Geld für den Druck, und ab und zu werden mir auch Podien zur Verfügung ge­stellt.

Dem Heft vorangestellt ist ein kurzer Beitrag von Dieter Roth, „Prosa“ – und Sie leiten das Heft mit „Vorläufigem zu Dieter Roth“ ein: Dieter Roth, der Universalkünstler, der Totalkünstler und Solitär, der ebenso maßlos wie unsicher aufs Ganze ge­gan­gen ist, um sich von den Dingen, wie Sie schreiben, „schnell und wütend wieder abzuwenden“. Roth wird im Zusammenhang mit konkreter Kunst, Flu­xus, experimenteller Literatur, Avantgarde, Bil­den­der Kunst, Musik, usw. usw. … genannt. Wieso ha­ben Sie Roth für die Idiome ausgewählt?
Ein wichtiges Interesse der Idiome war es von An­fang an, abgerissene Fäden der Neoavantgarde wie­der aufzunehmen. Denn der Markt beschert uns nicht nur eine fade und flache Gegenwarts­lite­ra­tur, er bringt auch die innovativen Strömungen der fünfziger bis siebziger Jahre zum Ver­schwin­den. Anders wäre es ja nicht vorstellbar, daß Grass und Walser heute einen größeren Namen haben als, sa­gen wir: Heißenbüttel oder Wühr. Das geht so weit, daß wichtige Arbeiten eines Autors wie Chris Bezzel, der im 2. Heft auch vertreten ist, bis heute nicht publiziert sind! Es ist eben nicht so, daß Qua­lität sich schon durchsetzen würde, das ist eine faule Ausrede – und wenn, dann nur auf ganz lan­ge Sicht. Sollten sich in 200 Jahren noch Men­schen mit historischer Literatur beschäftigen, dann – davon bin ich überzeugt – wird sicher niemand die Romane lesen, die sich heute in unseren Buch­handlungen stapeln.
Viele Autoren meiner Generation kennen die Nach­kriegsavantgarde gar nicht mehr. Das ist schlecht für die Literatur und macht sie weder klüger noch interessanter. Dieter Roth nun war selbst unter den experimentellen Autoren der sechziger und siebziger Jahre ein Außenseiter. Der Schriftsteller Roth ist noch zu entdecken, während der bildende Künst­ler ja eine erstaunliche posthume Karriere ge­macht hat. Roth hat sich übrigens in erster Linie als Au­tor verstanden, der mit seiner Kunst das Geld verdient, um schreiben zu können. Und dann bin ich eben auf diesen Text mit dem schönen, program­matischen Titel „Prosa“ gestoßen und habe mir in den Kopf gesetzt, Heft 2 damit zu eröffnen.

Noch einmal mit Roth fortgesetzt: Sie schreiben über sein literarisches Werk unter anderem: „Roth hat seine Texte durch gezielten Einsatz eines Gossen­vo­kabulars so konsequent besudelt, dass es schwer fällt, einen Blick auf ihre formalen Raffinessen zu richten. […] Er hat seine Literatur derart mit Schmutz imprägniert, dass es auch Jahrzehnte nach der ers­ten Publikation der Scheiße-Bände nicht so aussieht, als hätte diese ‚Schutzschicht‘ aus Dreck Schaden genommen.“ Sie stellen außerdem im Edi­torial ein Zitat von Roth voran: „die sprache kann nicht scheis­sen darum muss sie alles ganz verdau­en“. Eine ganz interessante Transformation dieser Radikalität ge­lingt durch die graphischen Emble­me, die auf dem Cover der Idiome abgebildet sind. Unter anderem ganz lustige, aber doch etwas zahmere Ge- und Ver­botschilder zum Thema Urinieren und Toilettieren. Was sagt das über die im Heft vorgestellte Litera­tur und ihre Radikalität in diesem Zusammenhang aus?
Nun, das Layoutkonzept für die Idiome hat ur­sprüng­lich Lisa Spalt entwickelt, von ihr stammt die Idee mit den Pictogrammen. Die gab es schon auf dem Umschlag des 1. Hefts, allerdings hatten sie da noch keinen inhaltlichen Zusammenhang. Mir schien es nun reizvoll, in diesem „Dieter-Roth-Heft“ die Pictogramme auf eine Linie zu bringen als kleine Roth-Hommage, zusammen mit der gelben Farbe des Covers. Als großartige Provokation wird das ja kaum jemand empfinden. Nicht einmal, wenn ich Photoserien von Exkrementen ge­bracht hätte, hätte das doch jemanden aus der Reserve locken können. Eine Provokation könnte eher darin liegen, daß hier anspruchsvolle Texte ernstgenommen werden, wo es doch heute überall nur auf die Verpackung ankommt. Mir gefällt aber dieser Effekt, daß man diese teilweise skurrilen Kloschilder ja nicht auf den ersten Blick als solche erkennt, so klein wie sie sind, sondern erst bei genauerem Hinschauen. Man muß schon ge­nauer hinschauen und sich auch auf die Texte ein­lassen, sonst hat man nichts von dem Heft.

Im Juni werden die Idiome in der Galerie Maerz vor­gestellt, drei AutorInnen, die in den Idiomen ver­tre­ten sind, werden lesen. Was erwartet uns?
Die drei Lesenden – Crauss, Steinbacher und Wan­deler-Deck – stehen für drei sehr unterschiedliche Positionen, auch unterschiedliche Generationen, mit denen ich zeigen will, wie groß dieses Spek­trum einer Prosa als Sprachkunst ist. Alle drei schreiben auch Lyrik, haben aber eben auch auf dem Feld der Prosa ihren eigenen, originellen An­satz. Christian Steinbacher treibt in seinen Tex­ten die Kunst der Abschweifung in irrwitzige Höhen. Crauss arbeitet viel mit Verfahren, die man aus der Musik kennt, und die man mit den Stich­wor­ten Remix und Sampling beschreiben kann. Eli­sa­beth Wandeler-Deck hat ebenfalls große Affi­nitä­ten zur Musik, speziell zur improvisierten, und das merkt man ihren Texten auch an, die immer wieder geradezu anarchische Bewegungen vollfüh­ren. In den Idiomen gibt es von ihr einen tagebuchartigen Text über Kairo. Ich werde außerdem Dieter Roth lesen, so daß diese historische Position noch hinzukommt.

In der Galerie Maerz wird am 02. Juni die 2. Nummer der Zeit­schrift „IDIOME. Zeitschrift für Neue Prosa“ präsentiert. Flo­ri­an Neuner wird die Veranstaltung im Rahmen der „linzer notate 3/09“ moderieren, Lesende werden sein: Crauss., Christian Steinbacher und Elisabeth Wandeler-Deck.
www.maerz.at

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06/09
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