Sprache, gut verdaut
Die Idiome sind als „Hefte für Neue Prosa“ nun zum zweiten Mal erschienen, es geht um zeitgenössische Neue Prosa. Welche literarischen Positionen, welches Spektrum wird vorgestellt und inwieweit sind die Idiome ein gegenbetriebliches Blatt?
Mir geht es um das weite Feld einer Literatur, die man Prosa als Sprachkunst nennen könnte. Denn es wird inzwischen kaum noch wahrgenommen, daß es diese Literatur jenseits marktkonformer Erzählware à la Kehlmeier und Köhlmann oder wie die heißen, jenseits aber auch von Lyrik als Reservat des Wahren Guten Schönen überhaupt gibt. Insofern steht eine Publikation wie die Idiome quer zum Markt. Wir müssen Markt und Betrieb unterscheiden, denn für eine ästhetisch anspruchsvolle Literatur existiert überhaupt kein Markt. Ihr wird allenfalls eine Nische im Literaturbetrieb zugestanden. Zu den im Betrieb vorherrschenden Tendenzen stehen die Idiome gewiß quer, wenn sie auch – freilich nur auf bescheidenste Weise – irgendwie an diesem Betrieb partizipieren. Denn ich bekomme ein bißchen Geld für den Druck, und ab und zu werden mir auch Podien zur Verfügung gestellt.
Dem Heft vorangestellt ist ein kurzer Beitrag von Dieter Roth, „Prosa“ – und Sie leiten das Heft mit „Vorläufigem zu Dieter Roth“ ein: Dieter Roth, der Universalkünstler, der Totalkünstler und Solitär, der ebenso maßlos wie unsicher aufs Ganze gegangen ist, um sich von den Dingen, wie Sie schreiben, „schnell und wütend wieder abzuwenden“. Roth wird im Zusammenhang mit konkreter Kunst, Fluxus, experimenteller Literatur, Avantgarde, Bildender Kunst, Musik, usw. usw. … genannt. Wieso haben Sie Roth für die Idiome ausgewählt?
Ein wichtiges Interesse der Idiome war es von Anfang an, abgerissene Fäden der Neoavantgarde wieder aufzunehmen. Denn der Markt beschert uns nicht nur eine fade und flache Gegenwartsliteratur, er bringt auch die innovativen Strömungen der fünfziger bis siebziger Jahre zum Verschwinden. Anders wäre es ja nicht vorstellbar, daß Grass und Walser heute einen größeren Namen haben als, sagen wir: Heißenbüttel oder Wühr. Das geht so weit, daß wichtige Arbeiten eines Autors wie Chris Bezzel, der im 2. Heft auch vertreten ist, bis heute nicht publiziert sind! Es ist eben nicht so, daß Qualität sich schon durchsetzen würde, das ist eine faule Ausrede – und wenn, dann nur auf ganz lange Sicht. Sollten sich in 200 Jahren noch Menschen mit historischer Literatur beschäftigen, dann – davon bin ich überzeugt – wird sicher niemand die Romane lesen, die sich heute in unseren Buchhandlungen stapeln.
Viele Autoren meiner Generation kennen die Nachkriegsavantgarde gar nicht mehr. Das ist schlecht für die Literatur und macht sie weder klüger noch interessanter. Dieter Roth nun war selbst unter den experimentellen Autoren der sechziger und siebziger Jahre ein Außenseiter. Der Schriftsteller Roth ist noch zu entdecken, während der bildende Künstler ja eine erstaunliche posthume Karriere gemacht hat. Roth hat sich übrigens in erster Linie als Autor verstanden, der mit seiner Kunst das Geld verdient, um schreiben zu können. Und dann bin ich eben auf diesen Text mit dem schönen, programmatischen Titel „Prosa“ gestoßen und habe mir in den Kopf gesetzt, Heft 2 damit zu eröffnen.
Noch einmal mit Roth fortgesetzt: Sie schreiben über sein literarisches Werk unter anderem: „Roth hat seine Texte durch gezielten Einsatz eines Gossenvokabulars so konsequent besudelt, dass es schwer fällt, einen Blick auf ihre formalen Raffinessen zu richten. […] Er hat seine Literatur derart mit Schmutz imprägniert, dass es auch Jahrzehnte nach der ersten Publikation der Scheiße-Bände nicht so aussieht, als hätte diese ‚Schutzschicht‘ aus Dreck Schaden genommen.“ Sie stellen außerdem im Editorial ein Zitat von Roth voran: „die sprache kann nicht scheissen darum muss sie alles ganz verdauen“. Eine ganz interessante Transformation dieser Radikalität gelingt durch die graphischen Embleme, die auf dem Cover der Idiome abgebildet sind. Unter anderem ganz lustige, aber doch etwas zahmere Ge- und Verbotschilder zum Thema Urinieren und Toilettieren. Was sagt das über die im Heft vorgestellte Literatur und ihre Radikalität in diesem Zusammenhang aus?
Nun, das Layoutkonzept für die Idiome hat ursprünglich Lisa Spalt entwickelt, von ihr stammt die Idee mit den Pictogrammen. Die gab es schon auf dem Umschlag des 1. Hefts, allerdings hatten sie da noch keinen inhaltlichen Zusammenhang. Mir schien es nun reizvoll, in diesem „Dieter-Roth-Heft“ die Pictogramme auf eine Linie zu bringen als kleine Roth-Hommage, zusammen mit der gelben Farbe des Covers. Als großartige Provokation wird das ja kaum jemand empfinden. Nicht einmal, wenn ich Photoserien von Exkrementen gebracht hätte, hätte das doch jemanden aus der Reserve locken können. Eine Provokation könnte eher darin liegen, daß hier anspruchsvolle Texte ernstgenommen werden, wo es doch heute überall nur auf die Verpackung ankommt. Mir gefällt aber dieser Effekt, daß man diese teilweise skurrilen Kloschilder ja nicht auf den ersten Blick als solche erkennt, so klein wie sie sind, sondern erst bei genauerem Hinschauen. Man muß schon genauer hinschauen und sich auch auf die Texte einlassen, sonst hat man nichts von dem Heft.
Im Juni werden die Idiome in der Galerie Maerz vorgestellt, drei AutorInnen, die in den Idiomen vertreten sind, werden lesen. Was erwartet uns?
Die drei Lesenden – Crauss, Steinbacher und Wandeler-Deck – stehen für drei sehr unterschiedliche Positionen, auch unterschiedliche Generationen, mit denen ich zeigen will, wie groß dieses Spektrum einer Prosa als Sprachkunst ist. Alle drei schreiben auch Lyrik, haben aber eben auch auf dem Feld der Prosa ihren eigenen, originellen Ansatz. Christian Steinbacher treibt in seinen Texten die Kunst der Abschweifung in irrwitzige Höhen. Crauss arbeitet viel mit Verfahren, die man aus der Musik kennt, und die man mit den Stichworten Remix und Sampling beschreiben kann. Elisabeth Wandeler-Deck hat ebenfalls große Affinitäten zur Musik, speziell zur improvisierten, und das merkt man ihren Texten auch an, die immer wieder geradezu anarchische Bewegungen vollführen. In den Idiomen gibt es von ihr einen tagebuchartigen Text über Kairo. Ich werde außerdem Dieter Roth lesen, so daß diese historische Position noch hinzukommt.
In der Galerie Maerz wird am 02. Juni die 2. Nummer der Zeitschrift „IDIOME. Zeitschrift für Neue Prosa“ präsentiert. Florian Neuner wird die Veranstaltung im Rahmen der „linzer notate 3/09“ moderieren, Lesende werden sein: Crauss., Christian Steinbacher und Elisabeth Wandeler-Deck.
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