Vermummung sieht anders aus
1. Mai in Linz: Die Maifeierlichkeiten des „überparteilichen und internationalistischen Aktionskomitees“ wurden von der Linzer Polizei aufgehalten und durch Prügel seitens der Polizei verhindert. DemonstrantInnen wurden am Losgehen gehindert, weil ihre Identität von den Beamten festgestellt werden sollte. Der Grund: angebliche Vermummung. Da keine Vermummung vorlag (siehe Beispielfoto; auch nach polizeiinternen Aussagen nicht) und eine Feststellung der Identität damit einer Überprüfung gleichkäme, wer bei einer angemeldeten und genehmigten Demonstration mitgehen dürfe, verweigerten dies die – vornehmlich – jugendlichen DemonstrantInnen. Danach wurden diese mehr als 2 Stunden eingekesselt und, laut Aussagen der im Kessel sitzenden Jugendlichen „verbal schikaniert“ (Linker Pressedienst – Pressekonferenz zu den Polizeiübergriffen).
Im Gegenzug war es weder zu verbalen noch sonstigen Aggressionen der Eingekesselten auf die Polizei gekommen, sondern zum anhaltenden, unerträglichen Zustand eines quasi-kriminellen Festhaltens. Von anwesenden Personen darauf angesprochen wurde von Polizisten mitgeteilt, dass dieser Befehl von „ganz oben“ käme und man sich nicht einmischen solle.
Im Zuge der seitens der Beamten immer nervöser werden Situation kam es dann zu Ausschreitungen und Prügel der Polizei gegenüber vorwiegend jugendlichen DemonstrantInnen und zu Festnahmen (unter anderen des sich auch einmischenden Vizerektors der Linzer Kunstuniversität, der binnen weniger Tage karenziert war, um die Finanzverhandlungen der Kunstuni nicht zu gefährden und dem mittlerweile ein Preis für Zivilcourage zuerkannt wurde).
Bezeichnenderweise gibt es zu den Vorfällen von Anwesenden und Passanten aufgenommene Fotos und (Handy)Videoaufnahmen von prügelnden Polizisten, jedoch wurden bisher keine Aufnahmen bekannt, die, wie von Seiten der Polizei behauptet, Aggression der DemonstrantInnen belegen – was doch einigermaßen verwundert, da jede Demonstration von der Polizei selbst durch Bilder dokumentiert wird.
Mittlerweile spricht man von „Krawallen am 1. Mai“, die angebliche Vermummung wird größtenteils als feststehende Tatsache akzeptiert – und mitunter von mancher Zeitung sogar durch „Symbolbilder“ von schwarzen Kampfmaschinen, die keiner Realität entsprechen, sondern vielmehr völlig zusammenhanglos aus Bildarchiven aus dem Internet gezogen sind, untermalt. Politischen Aufrufen, man müsse sich in einer Demokratie doch bei einer Demonstration nicht vermummen, da das völlig legitime Grundrechte von BürgerInnen seien, stehen solchen Kuriosa gegenüber, dass von einer ÖVP-Politikerin gefordert wurde, „die Stadt soll jenen Organisationen“, die gegen so ein Vorgehen unterschrieben haben (es waren innerhalb weniger Tage mehrere hundert Initiativen und Einzelpersonen), „keine Förderungen auszahlen, die nun im Bündnis die Polizei vorverurteilen“ – was einem neuerlichen Unterwandern von Grundrechten gleichkommt.
Es würde eine zumindest symbolische „Vermummung“ bedeuten, die Personen oder Initiativen in Kauf nehmen müssten, sofern sie doch Stellung beziehen möchten. So einen quasi-vermummten Protest hat Linz nun auch schon gehabt, in Form von Flugblättern, die Kulturhauptstadtbesucher vor Polizeiübergriffen in Linz warnen – pikanterweise in einer Aufmachung, die den Anschein erweckt, als sei sie von Linz09 als Kulturhauptstadt herausgegeben worden. Dass diese sich davon distanziert, war klar und erwartbar, jedoch: In welchem Gegensatz steht das kulturelle offene Klima, das durch Linz09 propagiert wird – zu einem solchen Vorgehen und zum darauf folgenden weitgehenden Schweigen der PolitikerInnen? Feststeht, dass zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte ein friedlicher Maiaufmarsch der Linken verhindert wurde. Bleibt dann nur die Frage: warum? Und was soll, wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, „von oben angeordnet“ bedeuten? Nahe liegt, dass durch eine „Verzögerungstaktik“ der Polizei ein Aufeinandertreffen der Linken mit den Rechten verhindert werden sollte, die in Urfahr ihre FP-Wahlparty zum 1. Mai feierte. Vermutet werden kann, dass es leichter von der Hand geht, ein paar Linke zu Sündenböcken zu machen, als sich mit den Rechten anzulegen. Demokratische Grundprinzipien scheinen sich zurzeit ziemlich vermummt zu haben, in dem Jahr, in dem sich Linz als kulturell offene Stadt präsentieren will.
8. Mai in Linz: Eine Woche danach hat sich bereits einiges getan. Viele empörte Einzelpersonen und Organisationen haben sich im Bündnis gegen Polizeigewalt zusammengeschlossen. Video- und Fotomaterial wurde zusammengetragen, eine Medienaktion und eine Pressekonferenz sowie eine erneute Demonstration geplant und durchgeführt. Hatten anfangs viele Teilnehmende der Demonstration noch ein mulmiges Gefühl, ob es erneut zu Auseinandersetzungen und zu Gewalt kommen würde, so verlief der Gang vom Bernaschekplatz bis zum Hauptplatz ebenso strahlend wie die Sonne am Himmel drüber. Fast konnte man sich wieder wohlfühlen. Selbst der Polizei dürfte klar gewesen sein, dass es auf keinen Fall zu Störungen kommen dürfe, damit, die ganze unangenehme Sache möglichst bald unter den Teppich gekehrt und vergessen werden kann. Falls sie überhaupt wahrgenommen wurde, wie es der stadtregierenden Partei gelungen ist, sich bedeckt und in beharrliches Schweigen zu hüllen, fein nach dem Grundsatz, worüber man sich nicht äußert, das war nicht und am Ende glaubt man es selber schon. Etwas nervöser verhielt sich da schon die ÖVP, die nicht schnell genug mit Drohungen da sein konnte. Was macht man mit unartigen Kindern? Man streicht ganz einfach das Taschengeld.
Feststeht, dass es darum geht, die ganze Angelegenheit nicht unter den Teppich zu kehren, fest steht, dass es irgendwann im Herbst (zeitkompatibel zu den Wahlen) zu Verhandlungen kommen wird. Feststeht, dass eine kurzfristig entstandene Solidarität auch dann noch vonnöten sein wird.
Information und Spendenkonto für die Betroffenen der Polizeigewalt unter http://gegenpolizeigewalt.servus.at, http://andreame.at/node/275
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