Sie haben davon geträumt …

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Gerhard Willert spürt in den Linzer Kammerspielen mit Joël Pommerats „Ich zittere (1 und 2)“ der conditio humana zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach, legt dabei ihre Widersprüche offen und deutet an, dass Einsamkeit eine obsolete Facette des Menschen ist. Ein Annäherungsversuch.

… von einem Theater, das die „zutiefst verunsicher­te westliche Gesellschaft in der Krise“ (Pommerat) auf die Bühne bringt, in ihre ambivalenten Ein­zel­tei­le zerlegt und poetisch verdichtet wiedergibt? Einem Theater, das jenseits traditioneller Drama­tur­­gien vom Alltäglichen und Intimen, Außer­ge­wöhn­lichen und Grotesken auf das große Dilem­ma unserer Zeit verweist und vice versa? Im umstrittenen Diptychon „Ich zittere“ des enfant terrible des französischen Gegenwartstheaters Joël Pom­merat werden Sie (in einer Inszenierung von Ger­hard Willert) möglicherweise eine Antwort finden.
 
Vor einem in allen Farben spielenden Glitzer­vor­hang, auf einer ansonst spartanisch eingerichteten Bühne nimmt Sie Lutz Zeidler als weißgeschminkter, eleganter Conférencier mit schmeichelndem Te­nor auf eine Reise mit, auf der Sie im szenischen Staccato allegorischen Einzelschicksalen begegnen, die, scheiternd und zerrissen, all das verkörpern, was heutzutage in unserem Leben und in unserer Gesellschaft nicht zu stimmen scheint: Eine Frau im hellrosa Negligé, ihren von innerer Unruhe ge­beutelten Körper kaum auf den hochhackigen Schu­hen haltend, versucht sich nach einer halbherzigen Kampfansage an die Kapitalismusmüdigkeit in der Beschimpfung der Machthaber ebendieses Sys­tems. Ihre brüchige Stimme wird durch die Wucht von Katharina Hofmanns aufreizender, ironisch überhöhter Gesangseinlage brutal erstickt. Kleid und Vorhang funkeln dazu passend in blutigem Rot um die Wette – die eskapistische Betäubungspolitik der Unterhaltungsindustrie scheint ihres Zynis­mus überführt zu sein. Doch wie schon die nächste Sze­ne verdeutlicht, hält der kommunistische „Realis­mus“ keinen adäquaten Gegenentwurf bereit. Eine junge Frau tritt in den Lichtkegel vor das Mi­krofon und erzählt die Geschichte ihrer intellektu­ellen Mutter, die sich ihr entfremdete, um in einer Fabrik bis zur Selbstverstümmelung das proletarische Schicksal verstehen zu lernen, mit dem Ziel, „hart und effizient zu werden wie eine Maschine, nur nicht so empfindlich“. Einhändig und fingerlos rückt ebendiese im Arbeitskittel ihrer Tochter auf den zitternden Leib, um ihr „Nothing Compa­res To You“ ins Ohr zu hauchen. Die scharfe Trennung der Figuren durch Helmut Janacs Lichtregie lässt dabei ihre beider Einsamkeit noch deutlicher hervortreten und spiegelt eine im Verlauf des Stü­ckes wiederholt variierte These in Negation wi­der: „Sie und ich, meine Damen, meine Herren, wir sind in Wirklichkeit schon immer zusammen“. Ein isolierter Mensch ist nicht überlebensfähig, wir alle sind in einem sozialen „Gewebe“ unauflöslich miteinan­der verbunden. Wie viele dieser szenischen Ein­blicke wird dieses Bild, begleitet vom scharfzüngig süffisanten Kommentar des Conférenciers, schluss­endlich von der Schwärze der unbeleuchteten Bühne verschluckt.

In nur wenigen Spielminuten gelingt es Pomme­rat/ Willert derart die ehemals utopischen Gedanken­ge­bäude der zwei konkurrierenden wirtschaftspolitischen Weltbilder des Westens einzureißen, ihr auf materielle Bedürfnisse verkürztes Menschen­bild aufzubrechen und gleichzeitig Hoffnung zu spen­den, dass es einen Ausweg gibt: Die Er­kennt­nis, nicht alleine zu sein. Jenseits postmoderner Ide­enskepsis verschreibt sich dieses „philosophische Lachprogramm“, um die Eigendefinition eines großen österreichischen Sozialkritikers, Thomas Bern­hard, zu zitieren, einer Kritik der Moderne und ihrer zur Zweckrationalität pervertierten Ver­nunft, deren neoliberalistische Ausbeutungsver­hält­nisse nur eine Spielart der mannigfaltigen Be­schneidungen des zoon politikon darstellen.

Das hierfür eine Ästhetik verwendet wird, die sich dem durch technologisierte Medien gefilterten Wahr­nehmungs- und Deutungshorizont des westlichen Publikums anpasst, erscheint nur logisch. Wie weißes Rauschen umfängt das schwelende, zi­schende Sounddesign von Marco Palewicz die Dia­loge und Erzählungen der SchauspielerInnen, deren Stimmen sich vom Körper lösen und aus der Konserve stimmungsvolle Tableaux überlagern kön­nen. Der ungewohnt hohe Einsatz von Schwarz­bildern, also Momenten, in denen die Bühne unbeleuchtet dem/der BetrachterIn Zeit zu Reflexion und Introspektive schenkt, erinnert an Experi­men­­tal­filme und lässt Reminiszenzen an die Monta­ge­the­orie des reflexiven Intervalls eines sowjetischen Avantgardefilmers der 1920/30er Jahre, Dziga Ver­tov, zu. So gleicht auch das gesamte „Cabaret“-Pro­gramm einem Zappen durch die Kanäle des Le­bens­(-TV). Lyrische Momente lösen verstörende, komische lösen tragische ab, sodass thematisch und at­mosphärisch das Spiel jeden Moment kippen kann.

Der zweite Teil des Abends geht über die Erkennt­nis der gemeinschaftlichen Verbundenheit hinaus und stellt anhand der Biographie des Confé­ren­ciers, mittels derer sich nun die Lebenslinien vieler Figuren des ersten Teils kreuzen, den Men­schen vor eine neue Herausforderung. Nun gilt es, die nur durch die Abwertung der Anderen ermöglichte „Krankheit der Verschönerung des Selbst“ zu heilen und sich mit der eigenen Mittelmä­ßig­keit zu konfrontieren. Nicht trotzdem zu lieben, son­dern deshalb, präsentiert ein Unterfangen, das den Conférencier der Apokalypse immer näher bringt. Seine Abenteuer sind dabei gespickt mit Zi­taten aus der Populär- und Theatergeschichte. Dop­­pel­deu­tig amüsant gestaltet sich seine Affäre mit einer meerjungfräulichen Sirene, die ihren in schwar­zem Latex gehaltenen (Fisch-)Schwanz ge­gen zwei Beine eintauscht, im Gegenzug dazu aber ihre Stimme verliert und sich demgemäß nicht weh­ren kann, als der Conférencier, enttäuscht durch ih­re zuvor herbei gewünschte Verwand­lung, ihr Schwei­­gen als Abneigung deuten will und sie verlässt.

Ebenso zeugt ein weißer Harlekin, der einen kritischen „Zuschauer“ von der Bühne holt und im wahrs­ten Sinne des Wortes (mund)tot macht, vom theatergeschichtlichen Selbstbewusstsein Joël Pom­merats sowie seinem dramaturgischen Wil­len, sich das Publikum nie allzu lange in Deu­tungs- und Interpretationssicherheit wiegen zu lassen.

Das Ensemble stellt sich mit zurückgenommenem, daher umso intensiverem Schauspiel den Auf­ga­ben dieses Theaterexperiments, das sich nichts Ge­ringerem als der Darstellung eines revolutionären Menschenbilds verschrieben hat. Ganz nach der Vorstellung des französischen Philosophen Fran­çois Flahaut, einer der wichtigsten Inspira­ti­ons­quellen Pommerats, wird der Mythos der Mo­derne entlarvt, scheint das Konzept eines abgelöst vom Kollektiv rein sich selbst verwirklichenden In­dividuums endgültig entzaubert zu sein. Dass hier­bei Fragen offen bleiben, macht den Reiz dieses zuerst sinnlich, dann rational packenden The­a­ter­abends aus, bei dem sich Magie und (Des-) Illusion die Hand reichen und der den/die Zu­schauerIn mit neuen Augen wieder in die Welt entlässt.

Weitere Vorstellungstermine: 09., 17. Juni, Kammerspiele Linz

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06/09
FotoautorInnen: 
Christian Brachwitz

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