Der Mensch oder das Geld
Jutta Ditfurth berichtet von ihrer Teilnahme am Protest gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Bonn, im Mai 1985: „Die Polizisten wachten vor dem Arztzimmer, dann schleppten sie mich in die Haftanstalt im Polizeipräsidium in der Ettstraße. Ich wurde erkennungsdienstlich behandelt (…). Mein Presseausweis war so viel wert wie Klopapier. Welchen Vorwurf machte man mir? Als Antwort nur Gelächter, so sicher fühlten sich staatliche Rechtsbrecher in einer von der SPD regierten Stadt. In diesen sonderbaren Momenten bekommt man eine sehr sinnliche Vorstellung von der ,Demokratie‘, in der man lebt. Nicht das erste Mal.“
Jutta Ditfurth ist eine kämpferische Frau. Der Traum von einer gerechten Welt ist ihr nicht bloß Phrase, sondern Anlass zu konkretem Engagement. In den 80ern Bundesvorsitzende der deutschen Grünen, 1991 aus der Partei ausgetreten wegen deren „Rechtsentwicklung“. Politisch aktiv, engagiert sie sich auch publizistisch. Vor wenigen Monaten hat sie in der Linzer Stadtwerkstatt aus ihrer Biographie „Ulrike Meinhof“ gelesen. „Passend“ zur Weltwirtschaftskrise ist nun bei Droemer das Buch „Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft“ erschienen. Anschaulich beschreibt sie darin die Verflechtung von kapitalistischen „Interessen“, globaler Umweltzerstörung, Sozialabbau in reichen Ländern, Ausbeutung inklusive verbaler Verarschung (IWF! Weltbank!) der „Entwicklungsländer“. In Summe ein wütendes Anlaufen gegen die Tatsache, dass der Kapitalismus seine Widersprüche in arme Länder auslagert (und sich doch noch immer als „Sieger“ im ideologischen Gefecht fühlt). Die Methode: Maximales Ausnutzen von menschlichen und Natur-Ressourcen, ohne sich auch nur einen Deut um die Folgen zu scheren. Manches, was sie in diesem Zusammenhang schreibt, ist zwingend, etwa zum Thema AKWs: „Es gibt Technologien, die sind ohne jede Rücksicht abzulehnen (…). Radioaktive Stoffe bedrohen für Zehntausende von Jahren die Erde. Plutonium von der Menge einer Apfelsine genügt, die ganze Menschheit umzubringen.“
Die stärksten Passagen im Buch sind jene, in denen Ditfurth von den Protesten der GlobalisierungskritikerInnen berichtet. Man möchte vor Wut aufheulen, wenn sie seitenlang die Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden auf den Weltwirtschaftsgipfeln – Hochämter des Kapitalismus – schildert. 2001 in Genua sei von höchster politischer Stelle die Ermutigung an die Exekutive ergangen, sie werde auf jeden Fall straffrei davonkommen. Resultat war ein blutiges Gemetzel, mitten in einer „Demokratie“. Frauenköpfe werden auf den Boden gedonnert, auf Menschen eingetreten, die auf dem Boden liegen. Keine „Notwehr“, sondern staatlich sanktionierter Sadismus: „Neue Festgenommene wurden mit farbigen Filzstiften im Gesicht markiert. Sie mussten Spaliere von Wärtern durchlaufen, die sie bespuckten und auf ihre Köpfe einprügelten. Die brüllten: ,Wer ist der Staat? Die Polizei! Wer ist der Chef? Mussolini!‘ oder ,Willkommen in Auschwitz‘. Die Polizisten sangen Lobgesänge auf Mussolini und auf Pinochet: ,uno – due – tre, viva Pinochet, quatro – cinque – sei, morti agli ebrei‘ (,eins – zwei – drei, es lebe Pinochet, vier – fünf – sechs, Tod den Juden‘).“
Eine Art „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ hält Ditfurth für unmöglich. Entweder das Geld zählt oder der Mensch. Und damit beginnt, bei aller Zustimmung, das Bauchweh des Rezensenten. Wie ein – oft genug mörderisches – kapitalistisches System umkrempeln? Ditfurth befürwortet im Extremfall auch Gewalt. Speziell ihre Nebensätze verursachen Unbehagen. Ist Barack Obama bloß ein sanfter Retter des Kapitalismus? Hat Kuba eine „fortschrittliche Regierung“? Wie bei Marx, den sie oft zitiert, ist die Analyse der Misere vortrefflich, aber wenn es um Alternativen geht – wenig mehr als Phrasen. Der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen als Folge der Weltwirtschaftskrise? Für Ditfurth, eine entschiedene Gegnerin von fremdbestimmter Lohnarbeit, sollte das doch gar nicht so schlimm sein (Vorsicht, Zynismus-Falle!).
Wollen Menschen Gerechtigkeit? Versaut Macht automatisch den Charakter? Was bedeutet es heute, „links“ zu sein? Auf die letzten Fragen hat auch Ditfurth keine Antworten.
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