Verfehlte Identitäten
Dabei vereinigt die von Andrea Bina kuratierte Ausstellung Objekte der hauseigenen Sammlung mit Exponaten aus dem Nordico-Museum und einiger externer Leihgeber, „die allesamt eine Verortung im Stadtgefüge beinhalten.“1 Zur Illustration wird dem Besucher beim Gang durch die Ausstellung ein Stadtplan an die Hand gegeben, der genaueren Aufschluss über den topographischen Bezug der jeweiligen Arbeit gibt. So unterschiedlich wie die Bezüge sind auch die gezeigten Arbeiten, die zwischen Gemälde, Zeichnung, Fotografie, Film, Raumplanung und Konzeptkunst siedeln und deren Entstehung bis in die jüngste Gegenwart datiert. So ergeben sich nach dem Anspruch der AusstellungsmacherInnen „Verflechtungen, Vernetzungen, Ergänzungen, aus vielen einzelnen Segmenten wird ein Ganzes.“ Dieses Vorhaben markiert gleichermaßen Qualitäten wie Problematiken einer solchen Schau.
Museen sind Orte, die Topographien stiften. Sie übersetzen die Gegebenheit der Verhältnisse in kinematographische Prozesse und bringen nach dem Prinzip der Reihe dadurch neue Sinnzusammenhänge hervor. Eine neue Abfolge der Wirklichkeit, eine veränderte Katalogisierung der Bilder, zeigt uns Dinge in einem veränderten Licht. Durch die unmittelbare Konfrontation scheinbar entfernt liegender Objekte im Museumsraum erleben wir die Dinge in verstörend neuen Zusammenhängen. Sie treten in ein Korrespondenzverhältnis, das ihre widersprüchlichen, nicht subsumierbaren Botschaften überhaupt erst sichtbar werden lässt. Alte Denkmuster werden kritisch hinterfragt, wir lernen uns neu zu positionieren. Gegenüber den Bildern, die Wirklichkeit bedeuten, wird die Möglichkeit eines je veränderten und veränderbaren Standpunkts als Grundbedingung für Sehen überhaupt zur vordringlichen Aufgabe.
Zwangsläufig rückt in einer solchen Betrachtungsweise das Einzelobjekt in den Hintergrund und macht einer Sicht auf die Ordnungen Platz, die Kuratorin und Ausstellungsarchitektur den Werken durch Auswahl und Positionierung im Raum auferlegt haben. So werden in einem Raum der Ausstellung gleich 25 denkbar verschiedene Ansichten der Stadt an einer Wand zu einem neuen, zusammenhängenden Tafelbild verschmolzen.
Dieses Bemühen um Ordnung ist freilich stets verbunden mit einem Gewaltakt, der auch in der Ausstellung nicht ausgespart bleibt. Leere Straßenzüge, Industriearchitektur, die Auflösung von Wohngebiet (Harter Plateau, St. Peter), leerstehende Wohnungen oder triste Bedingungen in „geordneten Wohnverhältnissen“ im scheinbaren Gegensatz zur unzivilisierten Natur bilden einen motivischen Schwerpunkt in den Arbeiten vieler der beteiligten KünstlerInnen (exemplarisch: SOCIAL IMPACT, Margherita Spiluttini, Edgar Knaack, Gregor Graf).
Ordnungen kennen aber immer auch ein Gegenüber, das sich ihnen widersetzt, sich nicht einer gegebenen Ordnung fügen will.
Die Statik der Architektur, die unverrückbaren Wahrzeichen einer Stadt, stehen in scharfem Kontrast zur Dynamik sozialer und politischer Verhältnisse, die auch im Stadtbild ihren Niederschlag finden. Bekannte Orte erscheinen fremd oder lassen sich erst gar nicht wieder auffinden, die Nachbarn von früher sind verstorben oder weggezogen, alte Geschäftslokale haben neue BesitzerInnen, leerstehende Gebäude und Industrieanlagen warten auf eine neue Nutzung. Das Gedächtnis der Stadt ist durchzogen mit der eigenen, trügerisch-widersprüchlichen Erinnerung an eine nicht mehr nachvollziehbare Topographie.
Die Identität des Ortes und seiner BewohnerInnen erweist sich als brüchiges Konstrukt, das in der Ausstellung wenig ironisch Platz in einem „Linzer Zimmer“ mit Fünfzigerjahre-Biedermeier und Golddekor bekommt und „Arbeiterkultur und bäuerliche Tradition einerseits verbunden mit dem Gedanken an Repräsentation und Bürgerlichkeit andererseits (interpretiert)“. Das ist symptomatisch für eine Präsentation, die überzeugt durch Arbeiten, die sich nicht einem Ort verschreiben, sondern den Versuch machen, zu fragen, wo man überhaupt steht und stehen kann. Da kann es dann schon vorkommen, dass, wie in einer Arbeit von Robert Jelinek, „Linz an der Donau“ mit „Linz am Rhein“ (BRD) die Plätze tauscht.
Andererseits will die Ausstellung immer aufs Ganze zielen und verfehlt damit radikal den künstlerischen Anspruch der ausgestellten Arbeiten, die gerade auf eine Fragmentierung des tradierten Stadtbilds zielen. Dem Lentos Kunstmuseum gelingt es so zum zweiten Mal in Folge in Kooperation mit Linz 09 aus hervorragenden Exponaten eine enttäuschende Ausstellung zu ordnen. Der Präsentation von Linz als Hauptstadt der Kultur mag das entsprechen, der ernsthaften Beschäftigung mit Linz als Schauplatz künstlerischer Auseinandersetzung und ihrer Verwerfungslinien freilich nicht.
1 Dieses und alle folgenden Zitate entstammen dem Pressetext zur Ausstellung.
& Drupal
spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014