Verschwinden Perspektive Utopie

Eine zusammenfassende Werkschau dreier künstlerischer Projekte hat der Linzer Klangkünstler Wolfgang Dorninger in eine Box gepackt – drei Projekte, die über die letzten Jahre hinweg (ur)aufgeführt wurden: „Hisatsinom, über das Verschwinden“, „Nasca, über die Perspektive“ und „Shangri-La, Projektionen von Utopia“. Philip Hautmann hat die Box geöffnet.

„1989, als der Ostblock sich unter dem Druck des Wetterüstens neu gestalten musste und die Zei­chen dieses mächtigen Systems für wertlos er­klärt wur­den, war es für mich endlich an der Zeit, meine drei künstlerischen Hauptthemen ‚Ver­schwin­den‘, ‚Per­spektive‘ und ‚Utopie‘ in ein dreiteiliges mul­ti­me­di­ales Werk zu gießen“, so Wolfgang „Fadi“ Dor­nin­ger in der einleitenden Erklärung zu eben je­nem dreiteiligen Werk, das jetzt, gut 2 Jahrzehnte später, seine endgültige Form angenommen hat. Konkret hat man es mit Aufzeichnungen dreier Projekte zu tun, die über die Jahre hinweg uraufgeführt wurden: „Hisat­sinom, über das Ver­schwin­den“ (CD, Urauf­füh­rung 2001), „Nasca, über die Per­spektive“ (DVD, 2006) und „Shangri-La, Pro­jek­tionen von Utopia“ (Liveperformance, Linz 09) sowie einem Buch zu den drei Projekten.

Bei den Hisatsinom (800 v. Chr. – 1300 n. Chr.) han­delte es sich um eine von einer Priesterkaste ge­leitete Gesellschaft, die über ein außerordentliches Wissen in den Bereichen Astronomie, Geo­me­trie und Biologie verfügte und die daher den Sommermonsun und Winterregenfälle vorherzu­sa­­gen imstande war. Als Beherrscher des Wetters und der Natur verehrt, verfügten die Priester über eine hohe charismatische und mit den Insig­ni­en des Magischen verbrämte Macht, bis sich die Ge­sellschaft innerhalb weniger Generationen buchstäblich auflöste, verschwand. Wahrschein­lich war es eine Klimaverschiebung, die den Glau­ben an die Unfehlbarkeit der Priesterkaste zerstörte und einhergehend mit neuen Problemen in der Land­wirtschaft die Fundamente der Gesellschaft zer­stör­te. „Hisatsinom, über das Verschwinden“ ist ein musikalischer Versuch über das Verschwin­den kul­tureller Codes und dem Versuch ihrer Neu­­schaf­fung.

Das Thema „Perspektive“ wird von Dorninger an­hand der Folie der Nasca-Linien in Peru aufgearbeitet. Ebenso wie bei den Hisatsinom steht hinter diesen eindrucksvollen Zeugnissen eine Kul­tur (konkret eine Vorläuferkultur zu den Inka), die keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat und über die wenig bekannt ist – die verschwunden ist und Rätsel zurücklässt. Die Nasca-Linien sind eine sich über mehrere 100 Quadrat­kilometer erstreckende Anordnung von in den Bo­den geschürften riesigen und hochgradig ak­ku­rat gezeichneten Linien und Figuren, die erst aus der Luft als solche erkenntlich werden. Über die zu­grun­de liegenden Techniken sowie den Zweck die­ser Anordnungen kann nur gemutmaßt werden, die Zahl der Theorien geht in die Dutzend und reicht hin bis zu außerirdischen Kulturbringern. Wahr­scheinlich drückt sich darin eine Verbun­den­heit zur Natur wie auch zum Kosmos aus. Gernot Dirmoser vermutet im Buch eine „gigantische abs­trakte Lösung“, bei der es um „Blicklust und Mach­barkeit schlechthin“ geht. „Nasca, über die Per­spek­­tive“ ist ein multimediales Projekt in der Mu­sik mit 3D-Visuals interagieren (die im Übrigen von Wipeout-Kollaborateur Dietmar Bruckmayr ge­stal­tet wurden).

Bei Shangri-La wiederum handelt es sich um ei­nen mystischen, innerhalb des Himalaya-Gebir­ges von der Außenwelt abgeschotteten Ort, an dem „per­fekte, friedfertige, langlebige Menschen“ hausen. 1937 durch Frank Capras Film „Lost Hori­zon“ aufs Tapet gebracht, sind die Vorstellungen von Shangri-La bis heute Teil der Populärkultur und eben Projektionen von Utopia. In Szene ge­setzt wird Dorningers eigene Projektion über ei­ne Live­performance bei Linz09 sowie über eine Fülle von interessanten Texten zum Thema Uto­pie und Ver­schwinden von Utopie im Buch. Ro­bert Misik beispielsweise weist darauf hin, dass Uto­pie we­niger eine Bestimmung eines Ortes bzw. Nicht-Or­tes ist („Utopia“ heißt Nichtörtlichkeit) son­­dern ei­ne Be­wegung innerhalb der Zeit, einem Ent­wurf des Be­wusstseins, der sich dem gesellschaft­lichen Status Quo progressiv widersetzt und da­durch dem Still­stand, der gleichbedeutend mit Rück­schritt ist. Ale­xander Leiffheidt versucht sich dem Thema über utopische Gemeinschaften anzunähern, den communities, um ernüchtert festzu­stel­len, dass die „com­munity“ aber leider „zu klein, zu neutral, un­ge­nau und beliebig (ist), um als Trä­ger von Uto­pie zu werden.“ Vielmehr wird sie ge­nau dadurch „kon­trollierbar“.

So viel zur hochinteressanten Thematik, nun ein kleiner Exkurs in die Gegenwart (und aus der Sicht des Autors): Das „Verschwinden“ von gesellschaftlicher „Perspektive“ und „Utopie“ ist freilich ein geläufiges Thema der heutigen Zeit. Wie der Doyen der heimischen kritischen Ökonomie Kurt Rothschild vor kurzem anmerkte, stand in seinen jungen Jahren eine Arbeiterschaft, von der ein Teil eine bessere Welt wollte, einer stockkonservativen gesellschaftlichen Elite gegenüber. Heute hin­gegen kontrastiere eine in Teilen fortschrittliche, kosmopolitische, den Utopieverlust betrauernde Elite mit arbeitenden Menschen, die für das Re­ak­­tionäre anfällig sind. Der amerikanische Poli­ti­ker und Theoretiker Robert Reich konstatiert eine ge­sellschaftliche Lähmung in den gegenseitigen Wi­der­sprüchen, die der Staatsbürger als Arbeit­neh­mer (will hohen Lohn, führt zu hohem Preis), Ar­beitgeber (will niedrigen Lohn, hohen Preis) wie als Konsument (will niedrigen Preis) und als An­leger (will hohe Rendite) in sich selbst trägt, die nicht nur einem Verlust von Utopie sondern überhaupt von Demokratie innerhalb eines entfesselten und auf nichts als sich selbst verweisenden „Su­perkapitalismus“ führt. Oder, einfacher ge­sagt, wenn innerhalb einer bröckelnden Basis der Er­werbssicherung für den Einzelnen das Thema nicht das der Besitzstandsmehrung, sondern das der Be­sitzstandswahrung ist, blickt eine Gesell­schaft zu­rück, und eher weniger nach vorne. Wenngleich, man bräuchte ja nur das bedingungslose Grund­ein­kommen einzuführen. Was aber wiederum, vom heutigen Blickwinkel aus, utopisch erscheint.

Wolfgang Dorninger: „Verschwinden Perspektive Utopie“ Boxset li­mi­tiert auf 100 Stück ist für EUR 49,90 bei base records erhältlich.
http://dorninger.servus.at, www.base.at

21
Zurück zur Ausgabe: 
04/10
FotoautorInnen: 
Gabriele Kling-Dorninger

Dorninger in Palpa, Peru – vor El Tumi auf dem Berg

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014