Grossmaul, Sturschädel, Kommunist

Buchrezension und Interview: Erwin Riess lässt seinen Antihelden im neuen Roman am Herzens­fluss Donau ermitteln. „Herr Groll und der rote Strom“ ist kurzweilig, verdammt lustig und ebenso gescheit. Eine Lesung daraus folgt am 16. April in der Stadtwerkstatt, bei freiem Eintritt.

Wer ist hier die angeschlagenere Existenz: Herr Groll, der Rollstuhlfahrer (liebevoll nennt er sein Gefährt „Joseph III.“), der sich als einer der letzten aufrechten Kommunisten irgendwie durchs Le­ben schlägt und sich mit seiner juristisch frag­wür­digen „Firma“ ISTROS („Staatlich beeidete Le­bens- und Vermögensberatung“) finanziell über Was­ser hält? Oder doch sein herzkranker Freund Horst, der mit nicht minder krummen Geschäf­ten durch den Alltag taumelt? Groll jedenfalls macht sich ernsthaft Sorgen um Horst, dem er, nachdem dieser offensichtlich in eine Schlägerei geraten ist, drei Lebensregeln nahelegt. Die zwei­te lautet: „Alkoholentzug“. Das bedeutet in der Welt von Groll und Horst: nicht mehr als einen Doppler Wein täglich.
Lieb gewinnt der Leser diesen eigensinnigen, kau­zigen, gegen die Ungerechtigkeit der Welt erbittert ankämpfenden (und -redenden) Überlebenskünstler Groll rasch. Erwin Riess lässt seinen An­tihelden diesmal in der Lieblingsgegend des Au­tors in einem Kriminalfall ermitteln: an der Do­nau. Dort, wo Groll zu Beginn des Romans „Herr Groll und der rote Strom“ in der Hütte Horsts auf einen schönen Sommer hofft, wo es „noch eine Welt jenseits aller heimischen Spinner, Krisen­ge­winnler und Möchtegern-Nazis gibt“. Aber wo Groll hinkommt, verzieht sich die Idylle schnell. Bald wird am Donauufer unterhalb von Wien die Lei­che einer jungen Frau angespült. Freilich, ehe sich Groll ans Ermitteln macht, wird noch ausführlich monologisiert. Über die innenpolitischen Optionen in Österreich etwa. Mit beißender Iro­nie preist da Groll die Österreichische Volks­par­tei, die den zentralen Wert einer Klassengesell­schaft einzementiere: „Nur eine Welt mit stabilen Klassenschranken ist berechenbar.“ Böses Lob hat Groll auch für die Sozialdemokratie parat, „die der Volkspartei dabei nicht ins Geschäft pfuschte und die zweigeteilte Welt der Armen und Reichen nicht einmal in Gedanken antastete“. Ja, sogar der Welt­wirt­schaftskrise, vor deren Hintergrund sich das tur­bulente Geschehen ab­spielt, kann Groll „Posi­ti­ves“ abgewinnen. Pro­fi­tiert doch auch Anita, die Wirtin seines Ver­trau­ens und Begehrens, davon: „In Krisenzeiten fliegen die Leute nicht nach Bang­kok, wenn sie vö­geln wollen, dann tut es auch eine Kellnerin beim Heurigen um die Ecke.“

Erwin Riess, 1957 in Wien geboren, seit 1983 Roll­stuhlfahrer, 1984 bis 1994 im Wirtschafts­mi­niste­ri­­um tätig (Wohnbau­forschung/Barriere­frei­es Bauen), seither als freier Schriftsteller tä­tig, sollte vielen neugierigen Linzer LeserInnen bekannt sein. Re­gel­mäßig kommentiert Riess in seinen Groll-Ko­lum­nen in der „Versorgerin“, der Zei­tung der Kultur­stät­­te Stadtwerkstatt, politisch-gesellschaftliche Vor­­kommnisse. Und endlich er­fah­ren Groll-Fans in „Der rote Strom“ auch, wie Groll seinen rührigen Assistenten, den „Dozen­ten“, kennengelernt hat. Es geschah naturgemäß an der Donau. Groll fuhr mit seinem nur noch marod zu nennenden Auto, der Dozent radelte ihm entgegen und rettete sich mit einem halsbrecherischen Manöver, durch das er in die Donau plumpste. Groll „rettet“ ihn vor dem Ertrinken. Später hält der Dozent in seinen vergnüglich zu lesenden Notizen fest: Groll ausreden zu wollen sich als „Lebensretter“ aufzuplustern, wo dieser doch selbst den Unfall verursacht habe, sei bei diesem Sturschädel sinn- und hoffnungslos. Die subtile Re­vanche des ewigen Studenten der So­ziologie folgt sobald: „Der seltsame Lebens- und Vermö­gens­berater Groll aus Floridsdorf ist von nun an mein Studienobjekt.“
Frauenleiche am Donauufer, ausschweifende Her­renabende beim Nachbarn Horsts: Groll hat die Mörder rasch, zur Hälfte des Romans, ausgeforscht (was nicht allzu schwierig war, wo doch Horst al­les gewusst hat). Schuld war natürlich wieder ein­mal die herrschende Klasse. Was tut ein gewiefter Weltrevolutionär wie Groll in einer solchen Si­tuation? Er will sein Wissen in Bares ummünzen, mittels krimineller Machenschaften – macht ka­putt, was euch kaputt macht! Und da­mit beginnt das Chaos erst so richtig, was Erwin Riess weiterhin stilvoll und höchst unterhaltsam ausbreitet. Dass inmitten all des Trubels Groll noch genug Zeit findet, seine Variante Marx’­schen Philo­so­phie­rens vor seinen gebannt lauschenden Zuhörern zu erörtern, versteht sich fast von selbst. Alles mün­det in ein infernalisches Hochwasser, durch das sich die Donau rot verfärbt (warum, sei hier nicht verraten). Am Ende triumphiert das Gute, also Groll und seine Freun­de. Am Ende steht Groll wie­der mit leeren Händen da. Warum, das lohnt sich unbedingt nach­zulesen.

Diese Literaturrezension ist auch nachzulesen im online-Rezen­si­ons­teil des Stifterhauses www.stifter-haus.at

Warum wählten Sie in „Der rote Strom“ wieder die Ich-Form als Er­zähl­modus?
Groll tritt in allen Romanen als Ich-Figur auf, dies ist der dritte Groll-Roman. Die ersten beiden spielen in Ungarn („Giordanos Auftrag“, Snuff-Pornos mit behinderten Menschen) und Italien „Der letzte Wunsch des Don Pasquale“. Ich glaube, daß man heutzutage nicht mehr als allwissender Erzähler agieren darf, die Wirklichkeit wird sub­jektiv ge­brochen erlebt, also kann man nur subjektiv über sie schrei­ben. Wer sich eines allwissenden Erzählers bedient, lügt von Wort zu Wort. Au­ßerdem ist Herr Groll ja ein recht eigenartiger Cha­rak­ter, dem kann man in seiner radikalen Subjektivität schon zuhören.

Einen wesentlichen Hintergrund des Romans bildet die gegenwärtige Ka­pitalismuskrise. Verursacht durch persönliche Gier oder ein Sys­­tem­fehler?
Weder noch. Das Profitsystem kann nur so existieren: mit Gier, Be­trug und Finanzblasen. Aus diesem Grund wird ja auch nichts da­ran geändert – trotz großer Versprechen der Politik. Die nächste Bla­se kommt bald. Gier und platzende Blasen sind kein Sys­tem­fehler, sondern ökonomischer Alltag.

Die Frage ist zu verlockend: In welcher Beziehung stehen Sie zu Ihrer Haupt­figur Groll?
Die unwahrscheinlichsten Geschichten sind selbst erlebt, manche All­tagsbegebenheiten sind Fiktion. Groll ist die Zuspitzung meiner Per­son, und das nicht nur im Positiven.

Gibt es ein reales Vorbild für den „Dozenten“, Grolls treuen As­sis­tenten?
Es gibt zwei Vorbilder. Da ich auf Intervention von Herrn Groll die Na­men der beiden Herren nicht bekanntgeben darf, müssen Sie wei­terrätseln. Bei Überweisung einer höheren Summe läßt Herr Groll aber mit sich reden.

Warum macht sich Groll das Leben nicht leichter und passt sich an?
Herr Groll würde sagen, Anpassung an menschenfeindliche Ver­hält­nis­se ist zu anstrengend. Man verbiegt sich dabei das Rück­grat. Und das ist bei Querschnittgelähmten doppelt schlimm. Ge­gen Unge­rech­tigkeit und Diskriminierung aufzutreten ist aufregend – und lustvoll. Man erlebt mehr, und man erlebt, wie man sich in der Auseinan­der­setzung selbst verändert. Lustig ist diese Exis­tenz­form allerdings nur für die wenigen Menschen mit Witz.

Groll zieht die (süd-)osteuropäische Gegend an. Wär auch einmal eine westeuropäische Metropole wie Paris als Handlungsort denkbar?
Paris kennt jeder Maturareisende. Ich hab’s als 15-jähriger als Tram­­per per Interrail kennengelernt, das war 1972. Osteuropa kennt kaum wer, diesbezüglich sind die Nachkommen der Donau­mo­nar­chie ganz schön borniert. Außerdem bin ich der Donau verfallen, die führt eben in den Osten. Was sich aber in den östlichen Do­nau­ländern öko­no­misch und politisch abspielt, ist ein europäischer Skandal, zu dem Eu­ropa schweigt. Heuer werde ich das erste Mal seit 35 Jahren nicht nach Ungarn/Visegrád fahren. Ich mag paramilitärische Garden nicht. In Ungarn ist der Faschismus mittlerwei­le bestimmende Ideo­logie ge­wor­den – in der einst bürgerlichen Mit­te, bei den Aufsteigern und Kri­senverlierern und, das ist das Bedrohliche, in der jungen Ge­ne­ra­tion Ju­gend. Die Ungarn proben den Hechtsprung in finstere Zeiten. Ös­ter­reich hinkt da nach. Aber es holt auf. Insofern könnte es sein, daß ich im Herbst vielleicht doch wieder in Tokaj Fischsuppe esse.

Erwin Riess: „Herr Groll und der rote Strom. Roman“. Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2010, 278 Seiten.

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