Verschwinden Perspektive Utopie
„1989, als der Ostblock sich unter dem Druck des Wetterüstens neu gestalten musste und die Zeichen dieses mächtigen Systems für wertlos erklärt wurden, war es für mich endlich an der Zeit, meine drei künstlerischen Hauptthemen ‚Verschwinden‘, ‚Perspektive‘ und ‚Utopie‘ in ein dreiteiliges multimediales Werk zu gießen“, so Wolfgang „Fadi“ Dorninger in der einleitenden Erklärung zu eben jenem dreiteiligen Werk, das jetzt, gut 2 Jahrzehnte später, seine endgültige Form angenommen hat. Konkret hat man es mit Aufzeichnungen dreier Projekte zu tun, die über die Jahre hinweg uraufgeführt wurden: „Hisatsinom, über das Verschwinden“ (CD, Uraufführung 2001), „Nasca, über die Perspektive“ (DVD, 2006) und „Shangri-La, Projektionen von Utopia“ (Liveperformance, Linz 09) sowie einem Buch zu den drei Projekten.
Bei den Hisatsinom (800 v. Chr. – 1300 n. Chr.) handelte es sich um eine von einer Priesterkaste geleitete Gesellschaft, die über ein außerordentliches Wissen in den Bereichen Astronomie, Geometrie und Biologie verfügte und die daher den Sommermonsun und Winterregenfälle vorherzusagen imstande war. Als Beherrscher des Wetters und der Natur verehrt, verfügten die Priester über eine hohe charismatische und mit den Insignien des Magischen verbrämte Macht, bis sich die Gesellschaft innerhalb weniger Generationen buchstäblich auflöste, verschwand. Wahrscheinlich war es eine Klimaverschiebung, die den Glauben an die Unfehlbarkeit der Priesterkaste zerstörte und einhergehend mit neuen Problemen in der Landwirtschaft die Fundamente der Gesellschaft zerstörte. „Hisatsinom, über das Verschwinden“ ist ein musikalischer Versuch über das Verschwinden kultureller Codes und dem Versuch ihrer Neuschaffung.
Das Thema „Perspektive“ wird von Dorninger anhand der Folie der Nasca-Linien in Peru aufgearbeitet. Ebenso wie bei den Hisatsinom steht hinter diesen eindrucksvollen Zeugnissen eine Kultur (konkret eine Vorläuferkultur zu den Inka), die keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat und über die wenig bekannt ist – die verschwunden ist und Rätsel zurücklässt. Die Nasca-Linien sind eine sich über mehrere 100 Quadratkilometer erstreckende Anordnung von in den Boden geschürften riesigen und hochgradig akkurat gezeichneten Linien und Figuren, die erst aus der Luft als solche erkenntlich werden. Über die zugrunde liegenden Techniken sowie den Zweck dieser Anordnungen kann nur gemutmaßt werden, die Zahl der Theorien geht in die Dutzend und reicht hin bis zu außerirdischen Kulturbringern. Wahrscheinlich drückt sich darin eine Verbundenheit zur Natur wie auch zum Kosmos aus. Gernot Dirmoser vermutet im Buch eine „gigantische abstrakte Lösung“, bei der es um „Blicklust und Machbarkeit schlechthin“ geht. „Nasca, über die Perspektive“ ist ein multimediales Projekt in der Musik mit 3D-Visuals interagieren (die im Übrigen von Wipeout-Kollaborateur Dietmar Bruckmayr gestaltet wurden).
Bei Shangri-La wiederum handelt es sich um einen mystischen, innerhalb des Himalaya-Gebirges von der Außenwelt abgeschotteten Ort, an dem „perfekte, friedfertige, langlebige Menschen“ hausen. 1937 durch Frank Capras Film „Lost Horizon“ aufs Tapet gebracht, sind die Vorstellungen von Shangri-La bis heute Teil der Populärkultur und eben Projektionen von Utopia. In Szene gesetzt wird Dorningers eigene Projektion über eine Liveperformance bei Linz09 sowie über eine Fülle von interessanten Texten zum Thema Utopie und Verschwinden von Utopie im Buch. Robert Misik beispielsweise weist darauf hin, dass Utopie weniger eine Bestimmung eines Ortes bzw. Nicht-Ortes ist („Utopia“ heißt Nichtörtlichkeit) sondern eine Bewegung innerhalb der Zeit, einem Entwurf des Bewusstseins, der sich dem gesellschaftlichen Status Quo progressiv widersetzt und dadurch dem Stillstand, der gleichbedeutend mit Rückschritt ist. Alexander Leiffheidt versucht sich dem Thema über utopische Gemeinschaften anzunähern, den communities, um ernüchtert festzustellen, dass die „community“ aber leider „zu klein, zu neutral, ungenau und beliebig (ist), um als Träger von Utopie zu werden.“ Vielmehr wird sie genau dadurch „kontrollierbar“.
So viel zur hochinteressanten Thematik, nun ein kleiner Exkurs in die Gegenwart (und aus der Sicht des Autors): Das „Verschwinden“ von gesellschaftlicher „Perspektive“ und „Utopie“ ist freilich ein geläufiges Thema der heutigen Zeit. Wie der Doyen der heimischen kritischen Ökonomie Kurt Rothschild vor kurzem anmerkte, stand in seinen jungen Jahren eine Arbeiterschaft, von der ein Teil eine bessere Welt wollte, einer stockkonservativen gesellschaftlichen Elite gegenüber. Heute hingegen kontrastiere eine in Teilen fortschrittliche, kosmopolitische, den Utopieverlust betrauernde Elite mit arbeitenden Menschen, die für das Reaktionäre anfällig sind. Der amerikanische Politiker und Theoretiker Robert Reich konstatiert eine gesellschaftliche Lähmung in den gegenseitigen Widersprüchen, die der Staatsbürger als Arbeitnehmer (will hohen Lohn, führt zu hohem Preis), Arbeitgeber (will niedrigen Lohn, hohen Preis) wie als Konsument (will niedrigen Preis) und als Anleger (will hohe Rendite) in sich selbst trägt, die nicht nur einem Verlust von Utopie sondern überhaupt von Demokratie innerhalb eines entfesselten und auf nichts als sich selbst verweisenden „Superkapitalismus“ führt. Oder, einfacher gesagt, wenn innerhalb einer bröckelnden Basis der Erwerbssicherung für den Einzelnen das Thema nicht das der Besitzstandsmehrung, sondern das der Besitzstandswahrung ist, blickt eine Gesellschaft zurück, und eher weniger nach vorne. Wenngleich, man bräuchte ja nur das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen. Was aber wiederum, vom heutigen Blickwinkel aus, utopisch erscheint.
Wolfgang Dorninger: „Verschwinden Perspektive Utopie“ Boxset limitiert auf 100 Stück ist für EUR 49,90 bei base records erhältlich.
http://dorninger.servus.at, www.base.at
Dorninger in Palpa, Peru – vor El Tumi auf dem Berg
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