Das Walzen der Baustelle

Das musste ja kommen. Die OÖ Nachrichten, während des Kulturhauptstadtjahres hin- und her­gerissen zwischen Medienpartnerschaft und Linz09-Bashing, lassen in der Ausgabe vom 6. März 2010 ihren Chefredakteur auf den kulturellen Status quo der Linzerstadt los: Gerald Mandlbauer suchte am Titelblatt der OON die „Kulturbaustelle“ Linz heim. Wolfgang Schmutz bietet eine Nachbetrachtung.

Die sprachlich wie inhaltlich zweifelhafte Botschaft gipfelt im Ruf nach der Heim­kehr des verlorenen Sohnes:
Der vermeintlichen Weisheit Schluss muss hier am Anfang stehen. Schließ­lich schaffte es Gerald Mandlbauer mit seinem Artikel „Baustelle Kultur: Holt Welser-Möst!“1, den ORF OÖ dazu zu bewegen, dem abtrünnigen, weil in der engeren Heimat als Paradekulturschaffender abwesenden Welser-Möst in die USA hinterher zu telefonieren. Der musikalische Direktor des Cleve­land Orchestra musste im OÖ Heute-Interview Auskunft geben, warum er bit­teschön nach Wien geht (als künstlerischer Leiter der Staatsoper), aber das arme Linz und insbesondere das Brucknerfest derart versauern lässt. Wel­ser-Möst war ausgesucht höflich, man will ja niemandem zu nahe treten, aber am Hörer der Interviewerin lauschend, hat er sich wohl gefragt, wo dieser Heimkehrer-Blödsinn herkommt. Aua, Frau Patsch, das war zum Fremdschämen.

Das scheint er nun also zu sein, der erste Diskurs über die künstlerische Zu­kunft nach Linz09, zumindest in den regionalen Medien. Für ordentlich Dampf hat dabei zuvorderst Mandlbauer gesorgt. Das fröhliche Bashing nimmt er in seinem Kommentar zunächst mit Verknappungen und eigenwil­ligen Zuschreibungen auf. Die Linz09-Leute seien die „Wanderheuschrec­ken“ des Kulturbetriebs, die lokale Politik freue sich über den summa summarum friktionsfreien Ablauf von Linz09. Ja, eh, natürlich ist das Jahr abgehakt, und die kulturpolitischen Zielsetzungen der Stadt sind indifferent wie ehedem, aber das wäre wahrlich eine längere Geschichte und Analyse wert gewesen. Ebenso wie das Wirken und Schaffen der Linz09-Leute und die mög­lichen Konsequenzen daraus, abseits der von Mandlbauer via „Wanderheu­schrecke“ unterstellten Verwüstung des Kulturlandstrichs. Aber beim ver­ba­len Betonieren kommt das eben alles schnell unter die Walze. Und die steu­ert Mandlbauer zielstrebig durch den hiesigen Kulturbetrieb, so wie er ihn versteht.

Die neuen oder erneuerten Kulturbauten sind zuerst an der Reihe. Mandl­bauer macht entlang der Donau mit AEC, Lentos und einer möglicherweise baulich adaptierten Kunstuniversität eine geliftete Stadt aus, eine „Frau in den besten Jahren“, zumindest räkelt sich diese vor den Augen des Chef­re­dakteurs, wenn er vom Südflügel des Schlosses herabblickt. Plumper Sexis­mus in der Stadtbeschau, das ist neu. Zum Glück blickt Mandlbauer nicht Richtung Bahnhofsgelände – was da an phallischem Potential geschlummert hätte!

Jedenfalls hält der sich an die urbane Silhouette schmiegende Panther Mandl­bauer fest: Zwischen allen Häusern kein Betrieb. „Power, Tatendrang, Modernität und Innovationskraft“ fehlten hier und die freie Szene stürme auch nicht zurück auf die von Linz09 verwehrte Bühne. Die Universitäten gehörten bitte an die Spitze eines veritablen Aufbruchs in neue, bessere Zei­ten, der aber so gar nicht stattfinden will. Folgt man dieser Analyse, so sollte also mit eine gehörigen Portion Managementtugenden ordentlich aufgeräumt und die künstlerische Emanzipation von oben nach unten erwirkt werden, während die „Freien“ doch bitte endlich wieder mehr Lebendigkeit zeigen soll. Zuschreibungen wie aus dem Klischeelehrbuch, und dass finanzielle und organisatorische Zwänge nicht gerade viel Spielraum lassen, we­der für etablierte Institutionen, noch für die Universitäten oder die soge­nann­ten Freien, spielt für Mandlbauer gar keine Rolle.

Für eine Diskussion über den notwendigen Strukturwandel ist keine Zeit. Schließlich beschäftigen den Chefredakteur vor allem die großen Institu­tio­nen in Linz und deren gegenwärtige Leiter. Das Schicksal von LIVA/Bruck­nerhaus und Landestheater nach den jetzigen Intendanzen liegt ihm offenbar am Herzen. Die berechtigte Frage nach der Ausrichtung und Program­mie­rung des künftigen Musiktheaters wird auf die programmatische Kan­nibalisierung des Brucknerhauses reduziert.

Komplett außen vor bleiben die bildende Kunst oder Formate wie das ebenso erfolgreiche wie konstant existenzbedrohte Filmfestival Crossing Europe. Mandlbauers Spektrum ist ein gutbürgerlich antiquiertes und geht auf fatale Weise mit der heimischen Förderpolitik konform. Nichts ist so wichtig wie (klassische) Musik und das Theater, ein Schelm, wer hier an die medialen Mitspieler denkt. Zu oberösterreichischen Festivals fallen dem Chef­re­dakteur dann nur Ars Electronica, Brucknerfest und Klangwolke (sic!) ein, denen er zuschreibt, in die Jahre gekommen zu sein. Schon schlimm, wenn diese Festivals an eine Frau erinnern, die ihr Alter ungeliftet zur Schau trägt, oder? Zugunsten dieses Profils kehrt Mandlbauer neuere verdiente Formate einfach unter den Teppich, zukünftige wie die Triennale sind ihm keine mü­de Silbe wert.

Was nun aber tun mit der Misere? Nicht verzagen, Mandlbauer fragen: Linz muss endlich Festspielstadt werden, ein zweites Bregenz, mit großen Künst­lern, mit klingenden Namen. Am besten man bedient sich dabei eines hier aufgewachsenen Künstlers, dessen internationaler Ruhm und Glanz zurück auf das Hoamatlånd fallen möge. „Holt Franz Welser-Möst endlich dorthin, wo er geboren ist, muss es daher heißen“ tönt Mandlbauer markig. Kultur­blut & Boden wollen zusammengeführt werden, könnte man da im Subtext lesen. Von „Heimkehr“ ist die Rede, Linz müsse alle Hindernisse dafür aus dem Weg räumen, „bei seiner Ehre“ gepackt werden.

Hier schließt sich letztlich der Reigen von Kunstverständnis und Sprachkul­tur. Gerald Mandlbauer lässt sich nicht lumpen – Berührungsängste mit re­aktionär anmutendem Wortgeplänkel kennt er nicht. Bleibt zu hoffen, dass künftige Diskurse mit weniger Plattitüden und einem Mehr an Qua­li­tät ih­ren Anfang nehmen können. Das würde nicht nur Welser-Möst gefallen.
 

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04/10
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

Eine Baustelle in ihren besten Jahren?

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