Allgemeine Verunsicherung

Vor der Gemeinderatswahl im September 2009 kam das Thema „Stadtwache“ wieder ins politische Gespräch. Gegner wie Befürworter beriefen sich auf dieselbe Sicherheitsanalyse der Johannes Kepler Universität. Nun wurde die Gruppe mehrheitlich beschlossen, soll aber nicht „Stadtwache“, sondern „Ordnungsdienst“ heißen und uniformiert für Ruhe und Sauberkeit sorgen. Wie aus einer Schein­debatte ein druckfähiger Kompromiss wurde.

Vergangenen Sommer, als Linz noch einigermaßen euphorisch damit be­schäftigt war, die Kulturhautstadt Europas zu sein, verfinsterte sich plötzlich die Miene von Erich Watzl. Der auch für Kultur zuständige Vize­bür­ger­meister war auf ein neues Thema und Aufgabenfeld gestoßen: die innere Sicherheit. Seine Stirn in Falten gelegt, wie Uncle Sam einen Zeigefinger auf den Betrachter richtend ließ sich Watzl für seine Wahlkampagne fotografieren. „Linz muss sicherer werden“ lautete der Slogan, der dicht plakatiert die Stadt alarmierte. Andere ÖVP-Plakate zeigten ein scharfes Messer oder warnten mit der Abbildung einer Spritze vor der angeblich außer Rand und Band geratenen Drogenkriminalität in Linz. Im Gemeinderat wurde erneut über das alte FPÖ-Thema „Stadtwache“ diskutiert. Deren Errichtung fand aber nur bei ÖVP und FPÖ Zustimmung und also keine Mehrheit. Erst nach der Ge­meinderatswahl schwenkte die SPÖ. „Unsere Zustimmung war ein Kom­pro­miss. Wenn man für 6 Jahre eine Gesprächsbasis braucht, ist man auch von den anderen Parteien abhängig und muss gewisse Kompromisse eingehen“, sagt heute Stadtrat Dr. Franz Leidenmühler.

Bereits vor sechs Jahren hatte die FPÖ im Linzer Gemeinderat für eine „Stadt­wache“ gewettert. Bis hinauf zur Ebene der Innenministerin wurde darüber diskutiert. Doch weder 2004 noch im vergangenen Sommer war klar, welche genauen Aufgaben die Truppe in Linz eigentlich übernehmen kann. Welche kommunalen Defizite im Speziellen gedeckt werden sollten. Ähnliche, als Beispiele bemühte Einrichtungen in Graz, Innsbruck, Wels oder in deutschen Städten sind so unterschiedlich organisiert, betitelt und beauftragt, dass sich von diesen keine Definition ableiten lässt. Ohne Un­ter­scheidung wurde in Linz von „Sicherheit“ und „Ordnung“ gesprochen, als sei Sicherheit das Überthema und Ordnung ein Teil davon. Man berichtete von Problemvierteln, zitierte Zeitungsberichte und winkte mit Sicher­heits­dos­siers. Interessanterweise nutzten beide Seiten – die Befürworter und Geg­ner der Einrichtung – die selbe kriminologische Analyse der Johannes Kepler Universität als Grundlage jeder Argumentation.

Diese „Kriminologische Sicherheitsanalyse 2007“ ist ein 6-bändiges Werk, das von der Stadt Linz beim Zentrum für Rechtspsychologie und Krimi­no­lo­gie in Auftrag gegeben wurde und einerseits amtliche Kriminalitäts­er­he­bun­gen, andererseits vorhandene Datensätze einer Befragungen aus dem Jahr 2004 zur erlebten Kriminalität und zum Sicherheitsempfinden der Linzer so­­wie eine Medienanalyse zur Kriminalitätsberichterstattung auswertet. Un­term Strich belegt die Studie, dass Linz im Vergleich zu anderen Städten relativ sicher ist und keine große Drogenszene beheimatet, dass aber ein Fünftel der Linzer Bevölkerung Gefühle der Unsicherheit empfindet, dass es problematischere und weniger problematische Stadtteile gibt und: dass die Berichterstattung eine Verzerrung aufweist, vermutlich da die Redak­tio­nen in Linz sitzen. Während die SPÖ und die Grünen diese Daten im vergan­ge­nen Sommer als Argumente gegen einen Ordnungsdienst verstanden ha­ben und auf die immanente Relativität der Ergebnisse hinwiesen, erinnerten ÖVP und FPÖ an das furchtsame Bevölkerungsfünftel und erhoben den Zeigefinger.

Tatsächlich wird in der Zusammenfassung der Sicherheitsanalyse an meh­re­­ren Stellen auf deren begrenzte Aussagekraft hingewiesen. Dr. Helmut Hir­ten­lehner, Kriminologe an der JKU und einer der verantwortlichen Auto­ren der Studie, unterstreicht dies nochmal: „Polizeidaten sind aus kriminologischer Sicht weitgehend wertlos. Nur zirka 10 Prozent der Kriminalität spielt sich im Hellfeld ab.“ Statistisch erfasste Daten werden als Hellfeld bezeichnet – al­les, was nicht im Polizeiprotokoll steht, ist Dunkelfeld. „Wir haben in Österreich das Problem, das wir keine kontinuierliche Dunkelfeld­for­schung ha­ben, wie in Großbritannien. Ohne Dunkelfeldforschung lässt sich aber nichts über die Kriminalitätsentwicklung eines Landes sagen.“ Nicht einmal ten­den­­ziell.

Veränderte Polizeipraktiken, neue Strukturen oder die Anzeigen­bereit­schaft verzerren den Blick auf das Hellfeld. Auf dem Papier kann es zu einem sprung­haften Anstieg bestimmter Delikte kommen, deren Häufigkeit sich realiter überhaupt nicht verändert. Beispiele dafür seien die im letzten Jahr in Österreich massiv diskutierte Kinderkriminalität, die früher bloß nicht zu Protokoll genommen wurde, oder die Jugendkriminalität in Deutschland, die sich im Dunkelfeld nicht verändert hätte, aber so breit debattiert würde, dass danach die Anzeigenbereitschaft hinaufginge und nun die Deliktrate im Hellfeld eklatant gestiegen sei. „Wenn ich eine law-and-oder-Politik verfol­ge, stürze ich mich auf die Hellfeldgeschichten. Da findet man immer einzelne Zahlen, die bedrohlich aussehen.“ Eine relevante Argumentations­grund­la­ge für politische Entscheidungen müsste jedoch über Jahre hinweg in qua­li­tativen Befragungen und Untersuchungen entstehen.

Nachdem die Sicherheitsdiskussion im Wahlkampfsommer so laut war, wur­den in der Folge mehrere neue „Sicherheitsstudien“ veröffentlicht. Im Auf­trag der ÖVP fragte das market-Institut: „Wie sicher fühlen Sie sich, wenn sie nach Hause gehen müssen?“ und fächerte das Linzer Unsicher­heits­po­ten­tial in tageszeitspezifische Ängste auf – abends fühlten sich 32 Prozent der Befragten unsicher, nachts 41 Prozent. Auch die Haltung gegenüber einer Stadtwache wurde im Rahmen dieser Studie erhoben – 70 Prozent der Befragten hielten „die Idee“ für „gut“ oder „sehr gut“. Während im neuen Jahr das österreichische Bundeskriminalamt die „drittniedrigste Krimina­li­täts­rate seit 2003“ veröffentlichte, führte auch das Meinungs­forschungs­ins­ti­tut Imas die erste von zwei aktuellen Studien über das Sicher­heits­emp­fin­den durch. Diese wurde ohne Auftraggeber im Eigeninteresse publiziert und schaffte es auf die Titelblätter von „Krone“ und „Heute“. „Hilferuf nach mehr Sicherheit – 76 Prozent der Österreicher erklären, es sollte mehr gegen die Kriminalität unternommen werden“, titelte der Umfragebericht.

Dass die Fragen und möglichen Antworten der Imas-Studie sehr emotional for­muliert wurden, diente dem Zweck, sagt Meinungsforscher DDr. Paul Ei­sels­berg: „Wir sind hier im Land der subjektiven Eindrücke. Als Demoskopen messen wir nicht die Kriminalität auf der Straße, sondern die Einstellung der Bevölkerung“, erklärt er, und: „Bereits vor der Wirtschaftskrise waren die Men­schen stark verunsichert. Der Bürger ist eine Art Wirtschaftsprophet. Der Eindruck der Gesamtvolkswirtschaft ist für alle Lebensbereiche ein sehr prägender.“ Trotzdem Eiselsberg von einer starken Verbindung zwischen Al­ters- und Abstiegsängsten und dem subjektiven Unsicherheitsempfinden aus­geht, hält er die alarmierende Formulierung seiner Studie für gerechtfertigt. „Wir leben davon, dass die Menschen un­sere Studien wahrnehmen“. Mittlerweile hat das Imas-Institut die zweite Studie zum Thema Sicher­heit erstellt – diesmal im Auftrag der ÖVP. „Wir le­gen die Zahlen auf den Tisch. Welcher Weg da­nach zu gehen ist, ist eine Frage der Politik.“

Dass es vorwiegend soziale Ängste sind, die das Si­cherheitsgefühl beeinträchtigen, ist auch die zen­trale These des Essay „Kriminalitätsangst – klar abgrenzbare Furcht vor Straftaten oder Projek­ti­ons­­fläche sozialer Unsicher­heits­lagen“ von Hel­mut Hirtenlehner, 2009 im Journal für Rechts­po­li­tik veröffentlicht. Hirtenlehner betrachtet die Kri­minalitätsfurcht als Resultat un­ter­schwelliger Existenz- und Zukunftsängste in postmodernen, pre­kären Ge­sellschaften und belegt an Hand von Forschungsbeispielen, dass in sozialstaatlichen Län­­dern tatsächlich weniger Kriminalitätsangst zu beobachten ist. In Bezug auf die Stadtwache-Diskussion meint Hirtenlehner nur: „Was man noch gegen Kriminalitätsangst tun kann? Keine Un­sicherheitsgefühle schüren.“

Aber dieser Verzicht wäre eben auch nicht billig. Die Sicherheitsdiskussion und der Handel mit Angstszenarien ist gegenwärtig für viele Be­tei­lig­te ein all­zu lukratives Thema. International (Ter­ror­ismus!), national (Migration!) und auf lokaler Ebene (Jugendliche, Obdachlose, wasweißich!). Nun wird die Stadtwache, wie mittlerweile bekannt ist, nach dem Wunsch der SPÖ „Ord­nungsdienst“ heißen und ausdrücklich nicht für Sicherheit, son­dern für Sau­berkeit, Ruhe und die Erfüllung verwaltungsrechtlicher Funktionen sorgen, wie Franz Leidenmühler erklärt. In 2er-Teams und un­be­waff­net werden die Ordnungsdiener mit Hun­de­be­sit­zern oder Straßensängern sprechen. Und in manchen Menschen die Sehnsucht nach ein bisschen mehr Uniform im Stra­ßenbild erfüllen.

Gleichzeitig mit der Einigung im Sicherheitsrat hat die Initiative „Linz braucht keine Stadtwache“, die auch mit den Grünen verlinkt ist, bereits über 1000 Unterschriften gesammelt. Die Unter­stüt­zer­liste liegt nun am Magistrat auf. Kommen mehr als 3000 Wahlbe­rech­tigte innerhalb von vier Wochen mit Lichtbildausweis zum Un­terschreiben (auch jene, die bereits unterschrieben haben), muss der Ge­meinde­rat den Antrag behandeln.
Informationen: www.stadtwachelinz.at

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