Der Realitätenverhandler

Narren, Clowns und Komiker waren zu allen Zeiten jene, die die Realitäten ungestraft am nächsten verhandeln, Dinge beim Namen nennen und Zustände bezeichnen konnten. Auch bildende Künstler wie Bernd Pfarr gehören dazu.

Die „Komischen Welten“ eines Großen dieser Kunst der Komik kann man noch bis 09. April in der Galerie der Stadt Wels betreten. Und wahrhaft sind es geniale Welten von höchst unterschiedli­chen bildnerischen Aggregats­zu­ständen, in de­nen man Bernd Pfarrs Realitätsverhandlungen begegnen kann. Das Gemeinsame ist ein komisches Grund­naturell, das an der Oberfläche bril­lant zu amüsieren und zu erschrecken weiß und bei tiefe­rem Einsinken längere Inkubationszeit einfordert, die einem nicht gewiss werden lässt, ob man wirk­lich versteht, was man zu sehen glaubt. Si­cher­heitshalber versteckt man das Lachen im Hals.

In einem Cartoon sieht man einen schwarzhäutigen Mann – in diesem Fall scheint „Neger“ die tref­­fende und politisch einzig korrekte Bezeich­nung zu sein – einem bärtigen Kolonialherren das Es­sen servieren, der darauf mit, „Schon wieder Gi­raf­fenhirn! Ich kann’s nicht mehr sehen!“, reagiert. Im nächsten Bild sieht man den Neger Müll­ton­nen aus der Küche wegtragen, in denen Giraffen mit angebohrten Köpfen stecken: „Was soll ich denn da erst sagen?“, sagt er fragend.
Ein großformatigeres Acrylbild ist mit „Bildnis Dr. Schupf“ untertitelt. Nor­ma­lerweise würde man das Portrait eines ehrenrührigen, hochverdienten und bebrillten älteren Herrn erwarten. Nein, na­tür­lich nicht oder doch? Aus einem intensiv roten Bild starrt ein weißäugiger Mann, dessen Hand­hal­tung vielleicht verrät, dass er ein Flaschen­fa­brikant ist? Aber seine stark ausgeprägten Brüste werfen die Frage auf, ob es sich denn um einen Mann handelt? Und überhaupt?
„Wenn ein Leser zu mir sagt, er habe nur die Hälf­te verstanden, so freut mich das“, erwiderte Pfarr das Bitten der Zeit-Redaktion um so manch erklärendes Wort zu seinen Bildern. Oder warum kotzt ein stehendes, mit einer Hand an einem Baum ge­stütztes Krokodil? Deswegen? „Ein Gnu hatte Hek­tors Autoschlüssel gestohlen. Wutentbrannt fraß Hek­­tor das Gnu mit Haut und Haaren. Erst zu spät bemerkte Hektor, dass es wohl nur noch eine Mög­lichkeit gab, wieder an den Autoschlüssel zu kommen.“ Der Schuldige ist al­so das Gnu, der Auto­schlüssel oder …

Pfarr zeigt sich in seinen Acrylbildern als Maler von Rang, der in der Tra­di­tion und dem Ver­mö­gen der Großen stand. Er vermochte es, mit seinen Ge­­mäl­den in den Niederungen der niederen Kunst der komischen Zeichnung und Malerei das Klas­sische wiederzuerschaffen. Und dabei schüttelte er die Rea­li­tät vor Lachen in eine Echtheit zurück, dass Fragen wieder Fragen sein mussten.

„Realität ist für mich immer nur das, was jeder als Realität empfindet. Wir le­ben alle in verschiedenen Welten. Wir haben zwar eine Schnittmenge, wo wir uns verständigen können, doch das emotionale Empfinden ist sehr sub­jek­tiv. Ich würde gerne allen Leuten austreiben, dass ihre Realität ‚Realität‘ ist und nicht nur eine bizarre Sicht der Dinge.“, merkte Bernd Pfarr einmal an.

Bernd Pfarr (1958–2004) gehörte mit Hans Trax­ler, F.W. Bernstein, F.K. Waech­ter, Robert Gern­hardt, Eckhard Henscheid, Chlodwig Poth und An­deren zum inneren Kern der „Neuen Frank­furter Schule“, die ein Kollektiv von Schrift­stel­lern und Zeichnern ist, die sich aus der Redak­ti­on der Satire­zeit­schrift „pardon“ entwickelte und deren Publikationsorgan nach 1979 die „Titanic“ wurde. Pfarrs Werk umfasst klassisch gezeichnete Cartoons und Co­mic-Strips sowie Gemälde, die durch unerwartete Textierung eine Hoch­zeit des Komischen mit der Malerei feiern. Mit der Serie über den Auto­ver­werter Dulle (publiziert in der Humorzeitschrift Kowalski) trieb er die Er­zähl­tech­nik des Comics in neue Höhen. Gleichzeitig schuf er für Titanic die Cartoonfigur Sonder­mann, die es von 1987 bis 2004 auf mehr als 400 Car­toons und Strips brachte und deren Bedeutung sich u.a. darin manifestiert, dass der jährlich vergebene Son­dermann-Preis zu den begehrtesten deutschen Auszeichnungen für Zeichner zählt. In Acryl­tech­nik ausgeführte ko­mi­sche Gemälde sorgten von 1994–99 im Zeit-Magazin für große Beachtung. Von Bernd Pfarr sind rund 20 Einzelbände er­schie­nen. „Bernd Pfarrs Bü­cher sind so schön, dass man in ihnen wohnen möchte“, schrieb die tageszeitung, die Journalistin Elke Heidenreich be­zeich­nete Pfarr als den „Kafka unter den Malern“.

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04/10
FotoautorInnen: 
Bernd Pfarr © Edel Entertainment GmbH

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