Kontext Krypta, österliche Inszenierung

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Wie wirkt ein symbolbeladener Kontext auf bildnerische Arbeit und vice versa? Reflexionen anhand Judith Huemers Installation „Goldstück“ im unterirdischen Grabgewölbe der Ursulinenkirche ...

Es wird doch nicht regnen? Nach einem Anruf von Tanja B. von spotsZ (vor ein paar Tagen) un­ter­breche ich die Aufbauarbeit meiner Ausstel­lung (-> Stadtrand Memory) im Nordico und bin unterwegs in Richtung Linzer Land­straße. – Es geht um die Rauminstallation „Goldstück“ von Ju­dith Huemer in der Ursulinenkirche. Dort werde ich schon erwartet: Die Türe zur Krypta im Mit­telgang wird aufgeschlossen. Vorbei am bunten Blumenstrauß, der den Einstieg markiert, steigen wir (der Mesner und ich) die Stufen hinunter. Dort ist es dunkel und kühl, unwillkürlich bleibe ich ste­hen, bis das helle Vier­eck der Video­projektion den niederen Gewölberaum erhellt. Zu sehen: die Abbildung einer herkömmlichen Alu-Leiter, mi­nu­tenlang. Dann steigt eine dunkel gekleidete Frau mit einer Stoffrolle auf den Schulter auf der Lei­ter immer höher. Oben bleibt sie stehen, lässt den Stoff an sich hinun­terrollen, sodass sie dahinter verschwindet. Jetzt füllt die österreichische(?) Fah­ne, rot-weiß-rot, das Bild, bis der Loop von vorne beginnt ... Aus dem Off die Rufe: Goldstück, Golld­stük, Gooldstück
Im Nebenraum (dem Aufbahrungsraum der Non­nen, wie mir gesagt wird) sind über dem Kopf Schnü­re gespannt, an denen Fotoarbeiten mit stark­farbigen Stoffrollen hängen; in unterschiedlichen Variationen. (Erst später er­fahre ich, dass die­se „personal flags“ zum Mitnehmen gedacht sind.) Ich fotografiere den Raum, mein Begleiter gibt mir noch Informationsmaterial dazu, dann geht’s wieder nach oben.

Am Rückweg wird mir die Frage von Kunst und ihrem Kontext sehr be­wusst. Eine Arbeit, in eine kirchlichen Umgebung gestellt, ist mit anderen Sym­bolsystemen verbunden als in einer Galerie oder im öffentlichen Raum oder ...
Hängen doch Symbolsysteme so eng mit der Er­lebniswelt des in einer be­stimm­ten Kultur verankerten Menschen zusammen, dass es früher eine Gleich­stellung von Bezeichnendem und Bezeich­ne­tem bedeutete. Die jahrhundertealte christliche Ikonographie ordnet buchstäblich jedem Gegen­stand ein bestimmtes assoziatives Bedeutungs­ge­flecht zu. Der Weg in eine Krypta hinunter, die als Bestattungsort diente, verweist immer auch auf die Letzten Dinge und eine Leiter (-> Ja­kobs­leiter) auf eine Verbindung zwischen Irdi­schem und Himmlischem. Textiler Stoff steht immer auch für irdische Stoff­lichkeit, die beim Ableben zu­rück­gelassen wird. Das Ewige (-> Gold) dagegen findet seinen Weg durch die „porta coeli“, das Him­mels­tor.
Die mitzunehmenden bunten „personal flags“ evo­zieren etwa folgende Les­art: Nach Abstieg ins Dun­kel und dortiger Wandlung steigt in einem Kreis­lauf neues Leben in allen Farbschat­tierun­gen wieder nach oben; Zyklisches und Eschato­lo­gisches, Tod und Auferstehung ...
In einem Galerieraum wäre die Interpretation wohl ganz anders ausgefallen und hätte eine eskapistische Note bekommen ...

Eine zweite kunsttheoretisch relevante Kontext­ebe­ne ist die des „Oeuvres“: Die Arbeit einer Künst­lerIn wird als Entwicklungsgeschichte verständlich. Wie sehr behält er/sie ein Thema, eine Tech­nik bei, wie groß und nuanciert ist die Varia­ti­ons­breite? Schließlich gibt es noch eine dritte kontextuelle Ebe­ne, jene zeitgenössischer Ausdrucks­tendenzen und das Verhältnis zu dem je­weils be­trachteten Werk: – Um etwas darüber im vorlie­gen­den Fall zu er­fahren, treffe ich mich mit Ju­dith Huemer in einem Wiener Kaffeehaus. Sie trägt einen pink Blazer und eine geräumige Gold­handtasche. Beides farbliche „trademarks“ auch ihrer Arbeit. Wir unterhalten uns angeregt, meinen Fragen zur Interpretation dieser, ihrer Arbeit weicht sie aber (fast erwar­tungs­gemäß) aus, um eindeutige Decodierungen zu vermeiden. Die Her­­me­neu­tik überlässt sie, wie in heutiger Kunst­pra­xis üblich, professionellen Deu­tern.

Aus dem Gespräch und dem mitgegebenen Ka­ta­log lassen sich folgende ge­meinsame Nenner ih­rer Arbeit erkennen: häufige Verwendung des Ma­terials Stoff in kräftigen Farben als Aus­drucks­mit­tel, Bekleidung, Verhüllung. Per­for­mative Ele­men­­te, die Nähe zum Rezipienten suchen und Wieder­ho­lun­gen vermeiden wollen. Wobei das unmittelbar persönlich Erlebte thematisiert wird. Zur Ori­entierung übergibt sie mir noch einen Über­blicks­katalog ihrer bisherigen Arbeiten, der sie als Meisterin eines bildnerischen Subjek­tiv-Uni­versums ausweist ...
So stiegen 2002 im Wiener Museumsquartier hun­derte pinkfarbige Luft­bal­lons mit der Aufschrift Da bin ich (in einer früheren Version von 2000: „Judith lebt“) in den Himmel. Bei der Fotoserie „ba­lance of mind“ 2003 wurden bei Straßen­händ­lern gekaufte knallbunte Decken zu Overalls verarbeitet, in denen unterschiedlich eingenommene Befindlichkeitsposen vor dem ebenso färbigen Hin­tergrund getarnt verschwinden. (gezeigt u.a. im Mu­se­um der Moderne/Salzburg)
Bei der Serie „overall“ 2006 (Stift Admont/Galerie Fotohof Salzburg) fotogra­fiert sie (ein traditionell-kunsthistorisches Sujet aufgreifend) den Falten­wurf dunkler Mönchskutten, und evoziert die da­mit verbundenen Bedeu­tungs­kon­notationen.
Die Fotoserie „balcony session“, 2007 in New York stellt sie ihre pinkfarbig strumpfbehosten Beine dialektisch den Wolkenkratzern gegenüber.

Judith Huemer in Linz: Ursulinenkirchen-Krypta, Fr 13.00–15.00 h, Sa 17.45–19.00 h, So 18.00–20.00 h bis 02. April bzw. nach telefonischer Anmeldung; oder: www.judithhuemer.net

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04/10
FotoautorInnen: 
Judith Huemer, Ulrich Kehrer

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