Auf der Schlachtbank
Nach Worten und Liebe ringend versuchen drei verlassene Frauen diesem Anderen die Fahrerlaubnis über den eigenen Körper und das eigene Leben zu Beginn von Christian Wittmanns eindringlicher Inszenierung von Elfriede Jelineks „Über Tiere“ am Landestheater Linz wieder in die Hand zu drücken. Der Fahrschein wird jedoch erst zur Mitte des Stücks in menschenverachtender sprachlicher Drastik eingelöst werden. Bis dahin begnügt sich der vor allem in den lauten Tönen nuancenreiche Klaus Köhler damit, das verzweifelte Flehen seiner verflossenen Bekanntschaft(en) monoton und emotionslos zu verspotten und ihren Worten jenes Moment der Selbstvergewisserung zu entziehen, für das die Literatur-Nobelpreisträgerin Jelinek den Akt des Sprechens hält. Dico ergo sum, ich spreche also bin ich. Indem Wittmann die Worte einer einsamen Frau gleich zu Beginn des Theaterabends in Briefform einem Mann übergibt, entzieht er ihr die letzte Chance einer vom Anderen unabhängigen Selbstaffirmation und lässt bereits jene Desillusion über die Beziehung der Geschlechter anklingen, die der zweite Teil des Abends bis zum Exzess zelebriert.
Jelinek hat ihrem bereits 1986 entstandenen Text „Begierde & Fahrerlaubnis (Eine Pornographie)“ zwanzig Jahre danach die gerichtlichen Abhörprotokolle eines Wiener „Begleitservices“ beigefügt, die die Verdinglichung der Ware Frau in ihrer banalen Obszönität dokumentieren. „Über Tiere“ verdichtet die ohnehin rüde Sprache der Bestellung fleischlicher Lust zu einem Wortgemetzel, bei dem nur zerstückelte Leiber, verdorrte Seelen und abgestumpfte Empfindungen übrig bleiben. Wittmanns Vergnügen an Jelineks Sprachgewalt zeigt sich in der Unzimperlichkeit, mit der er sich ihre Wortgebilde aneignet. Er setzt die sprachliche Dekonstruktion fort, dröselt den als Prosamonolog konzipierten Text in seine dramaturgischen Einzelteile bzw. in vier ineinander fließende Rollen auf und macht ihn für sein persönliches kleines Bestiarium nutzbar.
Persönlich wird es auch für das Publikum. Barbara Novotny lässt ihren amüsiert-stechenden Blick über den beleuchteten Zuschauerraum streifen, nimmt sich genüsslich Zeit, um ein geeignetes Opfer aus dem Publikum auszuwählen und dann in beißender Komplizenschaft mit Silvia Glogner, Jenny Weichert und Klaus Köhler über seine körperlichen Qualitäten zu sinnieren. Körperbau, Funktionalität, Verfügbarkeit und die Bereitschaft, Lust zu empfinden, werden schamlos angepriesen, skeptisch diskutiert und schnell wieder verworfen. Der Flüchtigkeit ihres Interesses steht dabei die lange innere Unruhe gegenüber, die diese Einbindung in die sexuelle Fleischbeschau auszulösen vermag.
Die Videoeinspielungen romantisch klischeebehafteter Zuneigungsbekundungen auf der Leinwand im Hintergrund wirken als höhnischer Kontrapunkt zu den pragmatisch-schlüpfrigen Verhandlungen käuflicher Liebe an der Bühnenrampe. Dieser Zynismus spiegelt sich auch im nicht enden wollenden Gelächter zweier leichter Damen wider, als Silvia Glogner und Klaus Köhler versuchen, den anfänglichen Monolog der verlassenen, um Zuneigung heischenden Frau zur Mitte des Stücks wiederaufzunehmen.
Liebe ist in dieser Inszenierung längst einer zweckorientierten Form der Marktbeziehung gewichen, von deren machtvoll instrumentalisierter Sex und zwischenmenschliche Einsamkeit die vordergründigsten Ausprägungen sind. Dieses durchkapitalisierte Menschenbild schreibt jenes existentielle Dilemma fort, dem ein guter Teil der derzeitigen Programmierung des Landestheaters gewidmet ist. Wie schon Schauspieldirektor Gerhard Willert in seinen postmodern-dekonstruktivistischen Interpretationen von „Ich zittere I und II“, „Delirium zu zweit“ und auch „Romeo und Julia“ vorexerziert hat, sind zwischenmenschliche Beziehungen und profitmaximierende, auf Eigeninteressen fußende Sozialstrukturen auf tragisch-komische Weise miteinander verschränkt. Die Brisanz dieser redundanten Gegenwartsanalyse liegt dabei nicht zuletzt in der Beharrlichkeit begründet, mit der diese Geschlechterrollen real-sozial perpetuiert werden. Der pseudo-ironische Radio-Werbeslogan einer führenden österreichischen Drogeriekette, die mit der weiblichen Erkenntnis: „Mein Körper ist mein Kapital“, aktuell für ihre Pflegeprodukte wirbt, ist ein anschaulich abschreckendes Beispiel dafür.
Die Aussprüche von Anneliese Michel, jener unter religiösem Wahn leidenden, jungen Frau, die in den 1970er Jahren in Deutschland nach mehreren Exorzismen starb und in der originalen Schlussszene von Jelinek den verstümmelten weiblichen Körper metaphorisch zu Grabe tragen darf, werden von Wittmann durch die Textwiederholung des anfänglichen Leidens der verlassenen Frau(en) am Ende nivelliert. Silvia Glogner gelingt es zwar als Doyenne des Landestheaters Jelineks Pornographie, ihre unzüchtigen Darstellungen, ein drittes Mal sinnlich zu modulieren, die szenische Kraft der einsam im Dunkeln flackernden Grablichter wird derart jedoch ihrer Klimax beraubt.
Was bleibt ist ein verstörend unterhaltsamer Theaterabend, der Jenny Weichert als sprachgewandte Schauspielerin mit starker Bühnenpräsenz einen würdigen Einstand auf der Linzer Bühne feiern, Klaus Köhner nach einigen Anlaufschwierigkeiten zur schmierig-bösartigen Höchstform auflaufen und Barbara Novotny einmal mehr ihre Bandbreite mimischer Akrobatik unter Beweis stellen lässt. Ein Ohrenschmaus auf der Schlachtbank weiblicher Extremitäten.
Weitere Termine: 06., 13., 20., 28. April, 06. und 20. Mai, jeweils 20.00 h, Dauer: 1 Std. 15 min.
Spielstätte: Eisenhand
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