Träumt?

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A, männlich
B, weiblich
A und B werden immer von den selben beiden Darstellenden gespielt, das in den einzelnen Szenen unterschiedliche Alter muß schauspielerisch herausgearbeitet werden.

(Textauszug)
3
A ca. 30
B ca. 30
Küche, schlicht, ähnlich (aber nicht identisch mit) der Küche der ersten Szene
eine Tür führt ins Nebenzimmer, ein Fenster
A sieht fern (Nachrichten)
B blättert in Zeitschriften/Prospekten

B    Geh, kannst bitte den Fernseher a bissal leiser drehn?
A dreht den Fernseher um eine Nuance leiser
B    Weißt, so eine ständige Lärmbelastung, die schlagt sich aufs Unterbewußtsein.
A schweigt, sieht fern
B    Der Professor Karling meint, man muß sein Unterbewußt­sein schon lieb haben.
   Elisabeth, bitte ...
B    Heutzutag vor allem, wo wir das Unterbewußte doch so lang vernachlässigt haben. Wir brauchen eine neue Kultur des Unterbewußten, sagt er, der Professor Karling.
A    Ich würd ma gern die Nachrichten anschaun.
B    Wir sollten nicht immer so rational sein, das müssen wir gar nicht, im Gegenteil: Wir sollten uns ruhig mal an unsere inneren Abgründe heranwagen.
A    Also, mir reichn die Abgründe der Politik.
dreht den Fernseher lauter
B    Der Mensch beschneidet sich selbst, wenn er vor seinen inneren Welten die Augen verschließt, dann is man dann nur noch ein halberter, ein halberter Mensch. Wenn überhaupt.
liest aus einem ihrer Prospekte vor
    „Erst an der eigenen seelischen Vielschichtigkeit, den lebendigen Tiefen des Unterbewußten, wird der Mensch heil.“ Das steht da. „Erst an der eignen seelischen Viel­schichtigkeit ...“
    Das ist doch ein schöner Gedanke, das gibt einem doch Kraft, nicht? Also, ich find das schön.
B setzt sich verspielt auf As Schoß, ein Prospekt in der Hand
B    Du hast eine vielschichtige Frau, Schatz, eine seelisch vielschichtige Frau.
gibt B ein Bussi
    Denn vor allem wir Frauen tragen die Verantwortung da­für, daß die kalte    Herrschaft des Realitätsismus endlich ihrem Ende zugeht. Steht da: „Die Frau in ihrer ganzheitlichen ...
A    Das is ja alles schön und gut. Aber ich würd mir jetzt einfach nur gern die Nachrichten anschaun. Dazu brauch ich kein Unterbewußtes, weißt, nur ein bissal eine Ruh.
B    Der Herr Professor Karling meint, wir sollen unser Unter­bewußtes nicht mit zu viel harten Fakten aus der Welt da draußen tot schlagen. Wir haben selber eine ganz wunderbare Welt in uns drinnen.
A schiebt B von seinem Schoß
    Bitte, Elisabeth, bitte. Die Nachrichten dauern eine viertel Stund am Tag, soviel Realität wirst mia ja noch zugestehn.
B    Na, gut. Sollst deine Dosis Realität habn, wennst is so unbedingt brauchst.
    Aber nur, wennst mir nacher erzählst, was du gestern träumt hast.
A sieht fern, B widmet sich weiter ihren Zeitschriften/ Prospek­ten
Die Nachrichten gehen zu ende. Wetterbericht.

B    Und?
A    Was und?
B    Erzählst mia jetzt, was du gestern träumt hast?
A schweigt, schaut Wetterbericht
B    Weißt was? Ich mach uns ein Flascherl Wein auf und wir setzn uns zsamm und redn a bissal. Na, was meinst?
holt eine Flasche, zwei Gläser, öffent die Flasche usw.
    Man muß sich ja auch manchmal verwöhnen. In Ruhe und Muße zu sich selbst kommen, sagt der Professor ...
A    Wieso?
B    Was wieso? Na um Inseln des wahren Seins zu schaffen, um auf Entdeckungsreise ins innere Selbst zu gehen, gemeinsam, in gegenseitiger ehelicher Unterstützung. Das hab ich dir doch schon erklärt. Der Mensch muß
...
A    Das mein ich nicht.
B    Was meinst dann?
A    Wieso du mich nicht in Ruhe laßt mit deinem inneren Selbst, deinem Unterbewußten, überhaupt mit deiner Träumerei. Du weiß eh, daß ...
B    Gar nix weiß ich. Und du weißt es auch nicht! Du denkst nur, daß du s weißt.
    Aber wir können die unbekannten Länder in uns nicht verleugnen, nur weil wir noch nicht dort waren.
A    Elisabeth, jetzt begreif s doch endlich, da sind keine unbekannten Länder in mir!
B    Schatz, du sollst nicht so ignorant ...
A    Ich bin nicht ignorant. Ich akzeptier doch durchaus, daß du dich der Träumerei verschrieben hast. Trotz der un­zähligen Kritiker, trotz der Vernunft, die einem doch sagen müßte...
    Ich laß dich doch, ich will dich ja gar nicht davon abbringen. Ja, ich laß sogar zu, daß du den Lorenz da mit reinziehst. Was willst denn noch mehr von mia?
B    Ich will, daß du diesen Weg mit uns gemeinsam gehst! Wir sind schließlich eine Familie. Und überhaupt, was soll das heißn, daß ich den Lorenz da mit reinzieh. Du tust ja grad so, als würd ich ihn ins Verderben reißn! Das ist doch nichts weiter als Rationalitätsismuspropaganda!
    Wo ist der Lorenz überhaupt?
A    Der spielt.
B    Geh bitte, was is denn das für eine Antwort? Was soll ein fünfjähriger Bub denn sonst machn außer spieln?
A    Der Lorenz is in seinem Zimmer, irgendwo unterm Teppich.
B    Aber ...? Was macht denn der Bub unter dem Teppich? Hast ihm wieder ...
A    Er is halt gern ein Soldat, das is doch normal in seinem Alter ...
B    Haltst du das für normal, wenn ein unschuldiges Kind mit der Plastikpuffn in der Hand unter dem Teppich herumkriecht? Is er wieder auf Terroristenjagd oder was? Hast ihm wieder erzählt, was sich „auf der Welt so tut“?
A    Jetzt, bitte, aber! Unterstell mia nix.
    Er bekommt halt mit, wie s in der Welt so ausschaut.
B    Aber wie, wie bekommt er denn das mit? Ich erzähl ihm bestimmt nix von ...
    von den ganzen Schrecklichkeiten. Ich bestimmt nicht!
A    Ich versuch doch auch das Schlimmste von ihm fern zu haltn. Glaubst leicht ich zeig im Bilder, glaubst ich reib ihm unter die Nase, daß alle paar Tage ...
    Elisabeth, er is fünf Jahr alt! Haltst mich für an Un­mensch, oder was?
B    Nein, natürlich nicht. Nicht für einen Unmensch.
A    Aber?
B    Was aber?
A    Du hast gesagt, du haltst mich nicht für einen Unmensch.
B    Tu ich auch nicht.
A    Aber da war ein Aber, da war ein großes, lautes Aber hinter deinem Unmensch.
B    Wie bitte?
A    Jetzt stell dich nicht blöd! Das war so laut, das hast nicht einmal sagen müssn.
B    Was war so laut?
A    Das ABER!
B    Aber ...
A    Siehst!
B    Aber das war doch gar nicht so gmeint.
A    Nicht so gmeint, nicht so gmeint! Is immer alles nicht so gmeint, bei euch ...
    euch ...
B    Uns was?
A    Bei euch Traumfuzzis!
B    Traumfuzzis? Hast du jetzt Traumfuzzis gsagt? Dafür hältst du uns also?
    Nur weil wir nicht mehr länger dieser Lüge der Rationali­tät, dieser Mär von der Dunkelheit im Menschen, diesem Unterwerfungsmechanismus des schwarzen Schlafs – das is es nämlich: ein Unterwerfungsmechanismus, eine Lüge, der Professor Karling sagt imm ...
A    Laß mich bloß mit dem in Ruh! Komm mir nicht mit dem! Der will doch auch nix anderes, als alle nach seinem Muster ummodln. Aufoktruiern will er uns seine Träume, aufoktruiern. Dabei weiß doch jedes Kind, jedes Kind weiß, daß Träume ... echt war, ich wart ja nur drauf, daß da einmal was passiert. Hab ma nicht glernt aus der Geschichte? Na, hab ma nicht! Was passiert, wenn ma die Menschen auch im Schlaf mit Bildern überflutn tut. Na, hab ma nicht glernt! Muß erst wieda was passiern.
B    Ich kenn dich nicht. Nein, so kenn ich dich nicht.
A    Dann lernst mich endlich kennen. Komm her, schau mich an, schau der Realität ins Aug. Das is nämlich die Realität.
B    Ich kenn dich nicht. Ich kenn dich nicht. So nicht. Nein, so nicht.
A    Schau mich an!
    Los komm, komm Elisabeth, schau mich an. Und wach endlich auf aus deiner Träumerei.
B    Nein!
A    Wach auf!
B    Das kann ich nicht, nein, ich kann dich nicht anschaun! Geh weg!
    Verschwinde! Du bist nicht ...
A    Doch. Doch ich bin. Und wie ich bin. Ganz real bin ich, aus Fleisch und Blut, schau her, greif mich doch an. Schau nur, zwick mich, ganz weiches Fleisch, so wie deins, verletzlich, ganz real. Ich weiß das, ich nehm das zur Kenntnis, ich leb damit. Verstehst, Elisabeth, ich leb! In der Realität! Und ich tu mein bestes, daß das so bleibt. Ich flücht mich nicht in bunte ... Nein! Das weiß ich zu verhindern.
B    Verhindern?
Du hast. Du.
Nein!
stürzt zur Kredenz, reißt eine Schublade auf, wühlt in Medikamentenpackungen
A    Ja! Kapierst du s jetzt endlich?
B    Wie konntest du nur? Wie konntest du? Die Pulva! Die warn nur für den Notfall. Das was so abgesprochn, nur für den Notfall! Verrat! Verrat is das!
A    Verantwortungsbewußtsein. Verantwortungsbewußtsein ist das. Einer muß ja normal bleiben. Einer von uns muß doch mit beiden Beinen im Leben stehen.
    Stell dir nur vor, was passieren könnt, wenn wir alle ...
B    Du! Du! Ich dachte, wir machen das gemeinsam, als Familie. Ich hab mich bemüht, so bemüht hab ich mich, gekämpft ... Und du, du hast mich die ganze Zeit hintergangen. Du ... Verräter !
geht mit blosen Fäußten auf B los
    Du hast mich belogn. Die ganze Zeit belogn.
A    kann ihre Faustschläge in Schach halten
    Ich hab aufgepaßt. Auf euch hab ich aufgepaßt. Auf dich. Auf den Lorenz.
B läßt von A ab
    Den Lorenz?
    Was hast du mit dem Lorenz gemacht? Was hast du ihm angetan? Lorenz!
    Lorenz!
will ins Nebenzimmer, zu Lorenz stürmen
A hält B am Arm fest
    Gar nix hab ich ihm angetan. Gar nix. Dem Lorenz geht es gut. Weil ich aufgepaßt hab! Ja, ich hab aufgepaßt, daß er sich zumindest noch ein bißchen zurechtfindt in der Welt ...
B    Lorenz! Lorenz!
    Laß mich los! Loslassn. Ich will zu Lorenz ...
A    Jetzt zieh das Kind da nicht mit rein.
B    Ich soll das Kind da nicht mit reinziehen? Ich? Ja, wer hat denn ... ihn reingezogen, ihn instrumentalisiert? Du! Du hast einen Keil getrieben.
    Zwischen mich und den Lorenz. Jetzt versteh ich das erst. Du hast einen Keil getrieben zwischen Mutter und Kind. Mit deine traumstoppendn Pulva, du Scheusal! Du Rea­li­tätsist, du! Laß mich los! Laß mich sofort los! Du ... du ...
A    Elisabeth, ich bitt dich.
B    Nein! Loslassen, sofort. Ich will ...
A    Elisabeth, denk doch ...
B    Laß mich!
A läßt B los
B stürmt ins Nebenzimmer

    Lorenz! Lorenz!
A    Aber ...
B    Stimme ist aus dem Nebenzimmer zu hören
    Wo bist du? Wo ...
    Was machst denn unter dem Teppich? Das ist doch ... Komm her ... Komm raus da, Lorenz ...
Bubenstimme Peng! Mama! Du bist tot!
Maschinengewehrgeknatter, nur kurz
man hört A zu Boden fallen

spotsZ veröffentlicht GewinnerInnen des Musentempel-DRAMAWETTBEWERBS. Die dritte Vorauswahlrunde des Au­tor­Innenwettbewerbs, veranstaltet von Theater Phönix und dem KV Musentempel, haben March Höld mit „Träumt?“ und Daniel Wild mit „pacman city blues“ für sich entschieden. Die Dra­matikerinnen werden mit den GewinnerInnen der vorangegangenen Entscheidungsrunden zur Finalrunde im Mai eingeladen.
Der Sieger/die Siegerin des ganzjährigen Wettbewerbes erhält einen Stückauftrag für die Spielsaison 2010/2011.
Die vollständigen Texte und Infos zum weiteren Procedere des Wettbewerb: www.myspace.com/musentempel

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