In die Bude, fertig los!

Eine Stadt wird Tabakfabrik und damit endlich kreativ
Bei der heurigen Ars Electronica hat man die Tore der Linzer Tabakfabrik, stadtläufig auch „Tschickbude“ genannt, für das Publikum geöffnet. Eine Erfolgsgeschichte, medial und in Besucherzahlen. Die Zukunft des von der Stadt angekauften Areals ist derzeit (noch) offen. Eine Momentaufnahme zwischen Vorstudie, Zwischennutzung und ziemlich viel Wunschdenken.

Aller Anfang ist sperrig. Adäquat zur Größe des Geländes zwischen Holz- und Gruberstraße hat die Universität Linz ihren Studientitel gewählt: „Vor­studie zur kulturellen Nutzung des Areals der Austria Tabak Werke Linz“. Gut, muss sich ja auch nicht als Buch verkaufen. Gelesen sollte man dieses Werk aber dennoch haben, es steht auf der Homepage der Stadt Linz zum Download bereit.1

Der Kern der Vorstudie sind drei Nutzungsszenarien, die mit „Kreativstadt“, „Exzellenz“ sowie „Jugend, Toleranz und Material“ überschrieben sind. Man sieht schon, man will Linie reinbringen. Zugegebenermaßen gar nicht so ein­fach, denn die Tabakfabrik muss offenbar Vieles werden und Vieles sein. Als „Kreativstadt“ etwa ein Hort der Kreativwirtschaft samt EPU2-Park, die Heimat von Ateliers, Wohnungen, Kunstwerkstätten, Büros und der Zu­fluchts­ort für probende Tänzer und Schauspieler. Das alles inklusive Galerie, Gas­tro­nomie, Platz für „Mentale und Körperliche Entspannung“ und „Techno­tain­ment“. Ja, das ist immer noch das erste Szenario. Immerhin gilt es 80.000 m2 zu bespielen (das Wiener Museumsquartier hat 60.000 m2) und da will man sich nicht lumpen lassen.

Szenario Nummer zwei gefällig? Alsdann: Kreativwirtschaft, EPU-Park (dies­mal in anderen Gebäuden), Ateliers, Wohnungen, Kunstwerkstätten und Bü­ros, ein Hotel uuuuunndd (Tusch!) ein „Neubau für Tertiäre Bildungs­ein­rich­tungen und themenverwandte Aktivitäten“, aber bitte als zeitgenössisches Topding, das sich mit Behrens Architektur auf ungeahntes Niveau hoch­duellieren soll. Dazu noch postgraduale Bildungsangebote, eine Kultur­ein­richtung von nationaler Bedeutung und eine Tiefgarage. Alles exzellent und hochkarätig, versteht sich.

Bleibt die beeindruckende Kombi aus Jugend, Toleranz und Moral ... ähm Ma­terial. Da bleibt man dann vorsichtshalber bei der Zielgruppendefinition. Nur soviel: EPU-Park, Wohnungen, Kunstwerkstätten usw. sind wieder da­bei, diesmal allerdings auch Schulen. Im Köcher: eine individualisierte, eine mit Kunstschwerpunkt, eine mit Kinderoper und eine internationale. Men­schen mit Beeinträchtigungen sollen hier „geschützte Werkstätten“ erhalten (die es terminologisch genauso wie „Behinderte“ eigentlich nicht mehr gibt). Dazu noch ein Zitat, weil’s so schön ist: „Das Thema Toleranz wird vor allem durch die Ansiedlung dreier konträrer Zielgruppen repräsentiert: Kinder und Jugendliche, KünstlerInnen und DesignerInnen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen.“ Da müssen sich die jeweiligen Szenen aber ordentlich an­strengen, damit es nicht zum Clash of Civilizations kommt!

Warum so flapsig, meinen Sie? Die Vorlage macht den Ton, kann ich da nur sagen. So schlimm wie Schweizer Zollamts-Schweizerisch3 ist es zwar nicht, dafür aber auch nicht zum Lachen. Echt nicht. Denn eines wird hier schnell klar. Linz verändert sich wieder einmal, nach der Kulturhauptstadt muss gleich das nächste schicke Vermarktungslabel her. Und da jetzt alle auf Kre­ativstadt machen, also alle „Second Cities“, zumindest die im Ruhr­ge­biet, soll Linz das jetzt bitte auch tun und eine werden. Aber hurtig, den Graz ist schon als Designstadt deklariert (schon wieder schneller, diese Steirer).

Herbeizitiert werden zu diesem Behufe Traditionen jüngeren Datums, die Logik erschlägt einen geradezu: Weil wir ja das AEC haben, soll die Kreativ­wirtschaft vor allem eine web-programmierende und web-kommunizierende sein, weil wir die Kunstuniversität haben, müssen Labore im Zeichen des Designs und der Hybridkunst rein in die Tabakfabrik. Ganze Verwer­tungs­ketten zwischen Kunst, kreativen EPUs und Kleinunternehmen sollen hier entstehen, und das am besten mit universitärer Anbindung. Finanzstadtrat Mayr möchte dafür die Kunstuni umsiedeln, Kulturstadtrat Watzl macht sich für die Medizinuni stark, die Parteikollege Pühringer so vehement fordert, und Musikkritiker Michael Wruss regt ob der akustischen Qualitäten einzelner Bauten an, die Planungen für die Bruckneruniversität nochmals zu überdenken. Den Herren Politikern an solchen Gedanken sicher nicht fremd: Für Unis zahlt vor allem der Bund.

Im Zentrum des Geschehens soll aber zweifelsohne die Kreativwirtschaft ste­hen. Wirtschaftsstadträtin Susanne Wegscheider, stellvertretende Vor­sit­zen­de des Aufsichtsrats der Tabakfabrik Linz Entwicklungs GmbH setzt je­den­falls große Hoffnungen in diesen Sektor, wie sie im Telefoninterview deut­lich werden lässt. Land Oberösterreich und Stadt Linz werden hier ge­meinsame Wege beschreiten, so wie sie es schon 2006 bei einer ersten Stu­dien zum diesbezüglichen Potential der Linzer Stadtregion taten4. In­zwi­schen ist man weiter, und für die Kreativwirtschaft werde es auch bald ein „räumliches Zeichen“ geben, so Wegscheider. Eine dafür von Stadt und Land gegründete und getragene Gesellschaft, Fifty-fifty auf drei Jahre finanziert, wie einst Linz09, soll ihr Büro in der Tabakfabrik beziehen.

Grundsätzlich müsse man sich in Sachen Kreativwirtschaft, wie auch mit der Ausrichtung der Tabakfabrik, aber noch Zeit lassen, meint die Wirt­schafts­stadträtin. Im Auge habe sie vor allem die Wertschöpfung und Ar­beits­plätze, dazu sei auch Industriellenvereinigung und Wirtschafts­kam­mer mit an Bord. Ein veritabler Tanker sticht da also in die kreative See. Das Ziel: Ein eigenes „Branding“ für Linz, das uns von all jenen Konkurrenten un­­terscheidet, die auch Kreativstadt werden wollen. Es geht um eine Mar­ke, die möglichst attraktiv auf die fernab der Heimat kreativ Tätigen wirken soll und jene, die deswegen extra hierher kom­men wollen. Linz könnte noch eine „urbane Szene“ werden, so Wegscheider. Frei übersetzt heißt das wohl: Nach Linz09 weiß man endlich, wo Linz ist und dass es gar nicht so schiach ist, und jetzt, aufgepasst, haben wir auch tolle Woh­nun­gen und kreative Arbeitsplätze anzubieten. Und zwar in der Tabakfabrik. Also kommet, ihr kreativen Kinder!

Bis es soweit ist, üben wir uns noch in Zwi­schen­nutzung. Die Ars war eine erste, und demnächst wird es vor Ort eine Musicalproduktion zu sehen ge­ben. Im kommenden Jahr sollen gar program­ma­tische „Rauchzeichen“ aufsteigen. Nebulos ist auch noch so manch anderes. Die Tabakfabrik Linz Ent­wicklungs GmbH hat einen Geschäfts­füh­rer, der nichts zur Zukunft sagen will, weil die Au­ßen­kommunikation zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und ope­rativer Leitung noch nicht akkordiert ist. Und untereinander, so vernimmt man, wird auch sonst noch nicht rasend viel geredet. Wenn Sie übrigens selbst Kontakt aufnehmen wollen, nehmen Sie nicht die Telefonnummer oder Mail­ad­res­­se auf der Homepage der Stadt Linz, die sind bei­de veraltet und laufen ins Leere; Stand: 24.09.5 Die Ars Electronica habe das soeben aus dem Ma­gis­trat entkoppelte Büro ordentlich in Schach gehalten, so die offizielle Begründung für die Kontakt­sack­gasse. Wenn das alles nur kein Omen für die end­gültigen Pläne mit der Tabakfabrik ist. Denn in Linz ist schon so manches zu hoch Gegriffene am Boden der Realität angekommen und darob eher einfallslos geraten.

1    www.linz.at/images/Vorstudie_ATW_Nachnutzung.pdf
2    Steht nicht für „Ein prekäres Unterfangen“ sondern für „Ein­per­so­nenunternehmen“
3    www.youtube.com/watch?v=E5agWxzWTsc&feature=player_ embedded
4    www.liqua.net/liqua/images/dokumente/krw_kreativwirtschaft_in_der_stadtr...
5    www.linz.at/politik_verwaltung/47601.asp

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10/10
FotoautorInnen: 
Susi Windischbauer

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